Forderungen in EU nach Sanktionen gegen Ungarn

In der EU mehren sich die Rufe nach Sanktionen gegen Ungarn wegen des dortigen Pandemie-Notstandsgesetzes. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn forderte in einem Interview heute die Verbannung Ungarns aus den Ministerräten der EU.

Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke verlangte den Ausschluss der FIDESZ-Partei von Regierungschef Viktor Orban aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Die EVP hatte bereits im März vergangenen Jahres die Mitgliedschaft der FIDESZ ausgesetzt. Eine endgültige Entscheidung hat sie bisher aber nicht getroffen.

Das ungarische Parlament hatte am Montag ein Gesetz gebilligt, das es Orban erlaubt, weitgehend unbegrenzt per Dekret zu regieren. Er kann nun den am 11. März wegen der Coronavirus-Pandemie verhängten Notstand ohne Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern. Kritiker und Kritikerinnen sehen darin eine Instrumentalisierung der Coronavirus-Krise, um Orbans ohnehin schon umfassende Machtstellung weiter deutlich auszubauen.

Asselborn fordert „strikte politische Quarantäne“

„Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass innerhalb der EU eine diktatorische Regierung existiert“, sagte Asselborn der deutschen „Welt“. Er forderte, Ungarn in der EU unter „eine strikte politische Quarantäne“ zu setzen. Die ungarische Regierung dürfe am Tisch der europäischen Institutionen keinen Platz mehr haben.

Auch EU-Parlamentspräsident David Sassoli übte harte Kritik am ungarischen Notstandsgesetz. „Niemand darf diese Pandemie dazu benutzen, unsere Freiheiten zu untergraben“, sagte der Italiener gestern in Brüssel. „Wir wollen mit unseren Demokratien intakt aus dieser Krise hervorgehen.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte gestern eine direkte Konfrontation mit Budapest vermieden. Ohne explizit Bezug auf Ungarn zu nehmen, mahnte sie jedoch Verhältnismäßigkeit bei Notfallmaßnahmen aller EU-Staaten an.

Ungarns Justizministerin verteidigt Notstandsgesetz

Die ungarische Justizministerin Judit Varga verteidigte gestern in der ZIB2 das Notstandsgesetz und die De-facto-Ausschaltung des Parlaments in Budapest. Das ungarische Parlament habe mehr Kompetenzen als normalerweise in solchen Situationen und könne die Maßnahmen beenden, so Varga. Es sei „Mode in Europa, Ungarn zu kritisieren“, sagte die ungarische Ministerin.

Das sei der „liberale Mainstream, der die Medien beherrscht“. Alle sollten das zweiseitige Gesetz lesen und nicht den Irreführungen der Medien glauben. Ungarn habe in wichtigen Fragen konservative Ansichten, „wir sind europäisch, aber kritisch“. Eine Unterdrückung der Pressefreiheit in Ungarn stellte Varga in Abrede.

Ungarns Justizministerin zu Notstandsgesetz

Ungarns Justizministerin Judit Varga erörtert, warum Ungarn das einzige Land mit einem Notstandsgesetz ohne zeitliche Beschränkung ist. Die UNO, der Europarat und die OSZE verurteilen diese Vorgehensweise. Im Interview spricht die Ministerin von „unbegründeten Vorwürfen“ und geht auch auf die Pressefreiheit im Land ein.

Online würden regierungskritische Stimmen fast 80 Prozent der Meldungen ausmachen, außerdem falle jede Form von Meinung, auch Kritik an der Regierung, nicht in die Zuständigkeit des Notstandsgesetzes.

Verfassungsgericht will Regierung stärker kontrollieren

Das ungarische Verfassungsgericht will die Regierung nach der Verabschiedung des umstrittenen Notstandsgesetzes verstärkt kontrollieren. „Die Gefahrensituation (offizielle Bezeichnung für die aktuelle Notlage, Anm.) bedeutet, dass das Verfassungsgericht die höchste Kontrolle über die Verordnungen der Regierung ausübt – in etwaiger Ermangelung von Sitzungen des Parlaments. (…) Der Verfassungsgerichtshof wird ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Entscheidungen der Regierung, die während der Gefahrensituation gefällt werden, lenken, denn diese betreffen die gesamte Gesellschaft“, hieß es in einer Mitteilung von Verfassungsgerichtshofpräsident Tamas Sulyok.