Pflegepersonal in einem Krankenzimmer
ORF.at/Birgit Hajek
Mehr Geld, weniger Arbeitszeit

Sozialwirtschaft einigt sich auf KV-Abschluss

Mitten in der Coronavirus-Krise haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) bei den Kollektivvertragsverhandlungen geeinigt. Die 125.000 Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich erhalten heuer 2,7 Prozent mehr Lohn, 2022 kommt eine Arbeitszeitverkürzung.

Es sei ein „verantwortungsvoller“ Abschluss „mit Verantwortung für die besondere Situation“ erzielt worden, sagte Eva Scherz, Verhandlerin für die Gewerkschaft GPA-djp. Sie betonte, dass der Abschluss auf drei Jahre ohne die aktuelle Krise nicht so schnell erfolgt wäre. Alle Beschäftigten, die während der Coronavirus-Krise arbeiten und Kundenkontakt haben, erhalten zusätzlich eine Prämie in der Höhe von 500 Euro.

Die Verbreitung des Coronavirus habe alle aus der Bahn geworfen, so die Gewerkschaft, auch alle Protestmaßnahmen wurden auf Eis gelegt. Die Pandemie habe einen „enormen Einfluss auf die Branche“, so Scherz. Einerseits seien die Beschäftigten im Arbeitsalltag besonders gefordert, andererseits sei die wirtschaftliche Unsicherheit groß. „Viele brauchen endlich ihre Gehaltserhöhung“, so die Verhandlerin über einen Beweggrund für den raschen Abschluss.

Eckpunkte der Einigung – Gehaltserhöhung, Arbeitszeit, Prämie
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Reduktion auf 37-Stunden-Woche

Im Detail sieht dieser so aus: Für 2020 gibt es rückwirkend ab 1. Februar eine Gehaltserhöhung von 2,7 Prozent und ab 1. Jänner 2021 eine Gehaltserhöhung in der Höhe der Inflationsrate plus 0,6 Prozentpunkte. Am 1. Jänner 2022 wird die generelle 37-Stunden-Woche eingeführt. Für die 70 Prozent Teilzeitbeschäftigten bedeute das noch einmal eine Gehaltserhöhung von 2,7 Prozent, so die Gewerkschaft. Derzeit gilt in der Branche die 38-Stunden-Woche, viele Beschäftigte arbeiten jedoch Teilzeit.

„Erleichtert“ und „positiv gestimmt“ zeigte sich am Mittwoch Erich Fenninger, Vorsitzender der Sozialwirtschaft und Geschäftsführer der Volkshilfe. Er sprach von einer „schwierigen Situation“ in den Verhandlungen, da die Gewerkschaften wenig Bewegungsspielraum gezeigt habe. Auf Arbeitgeberseite habe es zwar schon länger eine Mehrheit für eine Arbeitszeitverkürzung gegeben, aber nicht die notwendige Dreiviertelmehrheit.

Prämie als „Gefahrenzulage“

Er zeigte sich froh über die erzielte Arbeitszeitverkürzung, er hätte keinen Abschluss ohne entsprechende Einigung haben wollen. Als Sozialarbeiter wisse er um die Belastung der Arbeit in der Branche. Vor allem im Bereich der Pflege müssten die Rahmenbedingungen für Beschäftigte verbessert werden. Die Prämie von 500 Euro sei auch ein „Zeichen der Wertschätzung“, sagte Arbeitnehmervertreterin Scherz, von dem geschätzt 60 bis 70 Prozent der Beschäftigten profitieren würden. Auch Fenninger bezeichnete die „Gefahrenzulage“ als „wichtige Anerkennung“ und forderte die Regierung auf, diese aus Bundesmitteln noch aufzubessern. Er sehe darin einen „Charaktertest“ für die Regierung.

Es seien lange und harte Verhandlungen gewesen, die Arbeit habe sich aber gelohnt. Das Ergebnis sei wirtschaftlich machbar und ein deutliches Zeichen der Wertschätzung „für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so Walter Marschitz, SWÖ-Verhandlungsführer. Man werde sich auch mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Prämie von 500 Euro steuerfrei ist, analog zu den Prämien im Lebensmittelhandel.

Gewerkschaft zufrieden, Forderung nach 35 Stunden bleibt

„Mit 2,7 Prozent plus reiht sich dieser Abschluss heuer in die Topliga der Kollektivvertragsabschlüsse“, sagte Michaela Guglberger, Verhandlerin für die Gewerkschaft vida. Mit der Verkürzung der Arbeitszeit auf 37 Stunden sei außerdem ein erster Schritt in Richtung Attraktivierung des Berufs gelungen, so Guglberger und sprach insgesamt von einem „guten Gesamtpaket“.

Den Abschluss erachten Scherz und Guglberger zwar als Erfolg, die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bleibe aber „natürlich“ aufrecht und werde in die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen aufgenommen. Diese sind zwar erst für 2022 geplant, die Gewerkschaften wollen aber auch bis dahin mit den Arbeitergebern über eine Modernisierung des Kollektivvertrags für die Branche verhandeln, um sie so auch attraktiver zu machen. Entsprechend äußerte sich auch die Arbeitgeberseite.

„Richtungsweisend für andere Branchen“

Abseits der Verhandler gab es ebenfalls fast durchwegs positives Feedback zum Abschluss. Kärntens Arbeiterkammer-Präsident Günther Goach sieht darin ein Zeichen der Wertschätzung der Arbeit der Beschäftigten in der Branche und „die einzig richtige Antwort auf die aktuelle Krise“, hieß es in einer Aussendung. Das Ergebnis müsse „richtungsweisend für weitere Branchen“ sein. Er forderte zudem die Regierung auf, die Steuerfreiheit für Boni im Rahmen der Coronavirus-Pandemie zu beschließen.

Erfreut zeigte sich auch FPÖ-Obmann Norbert Hofer, die Einigung zeuge von einem großen Verantwortungsbewusstsein der Verhandlungspartner. Nach der Krise müsse die Politik die Schwachstellen des Pflegesystems beseitigen, forderte er und plädierte für die Gründung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung als Trägerorganisation.

Nicht weit genug geht die in der Einigung enthaltene Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden dem Gewerkschaftlichen Linksblock im ÖGB. Er vermutete hinter der Nachricht vom KV-Abschluss am Mittwoch einen „bösartigen“ Aprilscherz.

Verhandlungen seit November

Die KV-Verhandlungen liefen seit November 2019. Die Gewerkschaften gingen mit der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in die Verhandlungen, die Arbeitgeber lehnten diese Forderung immer wieder ab, bezeichneten sie als nicht machbar und argumentierten dabei mit dem ohnehin bestehenden Personalmangel in der Pflege.

Am 10. März hätte nach einer ergebnislosen siebenten Verhandlungsrunde eine große Protestveranstaltung in Wien stattfinden sollen, nach dem Verbot von Großveranstaltungen durch die Regierung wurde diese kurzerhand abgesagt. Eine Woche später wurden die Verhandlungen wegen der Coronavirus-Krise offiziell ausgesetzt.