Ein Antragsformular des Arbeitsmarktservice (AMS)
APA/Herbert Pfarrhofer
Historischer Rekord

Über 50 Prozent mehr Arbeitslose im März

Die Coronavirus-Pandemie hat die Arbeitslosenzahlen in Österreich auf einen historischen Höchststand seit 1946 nach oben schnellen lassen. Ende März gab es im Vergleich zum Vorjahresmonat 52,5 Prozent mehr Personen ohne Arbeitsplatz.

Arbeitslose und Schulungsteilnehmer zusammengerechnet waren 562.522 (plus 193.543) ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote nach nationaler Definition stieg um 4,7 Prozentpunkte auf 12,2 Prozent. Österreichweit sank die Zahl der unselbstständig Beschäftigten im März nach vorläufigen Berechnungen um 150.000 auf 3,626 Millionen Personen.

Seit 16. März sind zur Viruseindämmung hierzulande Ausgangsbeschränkungen in Kraft, viele Dienstleistungsbetriebe mussten schließen. Den größten Anstieg gab es laut AMS seitdem im Bereich Beherbergung und Gastronomie (plus 145,1 Prozent, plus 60.784 Personen), gefolgt von der Baubranche (plus 94,8 Prozent, plus 28.191 Personen) und im Verkehr und Lagerwesen (plus 83,8 Prozent, plus 13.728 Personen).

Säulendiagramm, Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahresmonat
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Einbruch bei sofort verfügbaren Stellen

Die Anzahl der Menschen ohne Job im Handel stieg per Ende März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 34,4 Prozent, bei der Herstellung von Waren um 34,2 Prozent, im Bereich Arbeitskräfteüberlassung um 34,0 Prozent und im Gesundheits- und Sozialwesen um 22,5 Prozent. Der Shutdown zur Viruseindämmung ließ in Österreich auch die Zahl der gemeldeten sofort verfügbaren Stellen um 20,5 Prozent auf 60.722 einbrechen.

Nach Ausbildung gegliedert nahm die Arbeitslosigkeit (inklusive Schulungen) am stärksten bei Personen mit Lehrausbildung (plus 68 Prozent) zu, bei mittlerer Ausbildung (plus 50 Prozent), Pflichtschulausbildung (plus 46 Prozent), höherer Ausbildung (plus 44 Prozent) und akademischer Ausbildung (plus 25 Prozent).

Einen kräftigen Anstieg der Arbeitslosigkeit gab es sowohl bei Inländern (plus 48 Prozent) als auch bei Ausländern (plus 61 Prozent). Bei Jugendlichen unter 25 Jahre stieg die Zahl um 43 Prozent, im Haupterwerbsalter (25 bis 49 Jahre) um 59 Prozent, bei Älteren ab 50 Jahren um rund 46 Prozent.

Balkendiagramm zu den Arbeitslosen, nach Branchen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AMS

Arbeitslosigkeit im Westen mehr als verdoppelt

Die Krise trifft die Arbeitsmärkte in den Bundesländer deutlich unterschiedlich. Die Zahl der Arbeitslosen und AMS-Schulungsteilnehmer stieg in Tirol per Ende März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 174 Prozent auf 45.147. Ohne Schulungsteilnehmer verdreifachte sich die Zahl der in Tirol als arbeitslos Vorgemerkten – mehr dazu in tirol.ORF.at. In Salzburg gab es ein Plus von 112 Prozent auf 31.077, ohne Schulungsteilnehmer kommt Salzburg auf ein Plus von 139 Prozent – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Noch deutlicher als im Österreich-Schnitt stieg die Zahl der Arbeitslosen in der Steiermark, nämlich auf 72 Prozent mit Schulungsteilnehmern und auf 91 Prozent ohne Schulungsteilnehmer – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

In den anderen Bundesländern wurde ein geringerer Anstieg der Arbeitslosigkeit registriert: In Vorarlberg lag das Plus bei 59 Prozent, ohne Schulungsteilnehmer bei 79 Prozent – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. In Niederösterreich lag die Arbeitslosigkeit bei 41 Prozent und ohne Schulungsteilnehmer bei 51 Prozent – mehr dazu in noe.ORF.at. In Kärnten stieg die Arbeitslosigkeit auf 58 Prozent, ohne Schulungsteilnehmer auf 68 Prozent – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

In Oberösterreich lag die Arbeitslosigkeit mit Schulungsteilnehmern bei 53 Prozent, ohne bei 71 Prozent – mehr dazu in ooe.ORF.at. Auch in Wien stieg die Zahl der Arbeitssuchenden (mit Schulungsteilnehmern) stark – um 31 Prozent. Im Jahresvergleich machte der Anstieg (ohne Schulungsteilnehmer) fast 40 Prozent aus – mehr dazu in wien.ORF.at. Im Burgenland lag der Anstieg der Arbeitslosigkeit bei 47 Prozent, im Vergleich zum Vormonat allerdings nur bei 30 Prozent – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Arbeitslosenzahlen in Prozent nach Bundesländern
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

„Noch nie da gewesene Belastungsprobe“

„Der extreme Anstieg der Arbeitslosigkeit ist nicht nur eine enorme Herausforderung für die so vielen von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen und deren Familien, sondern stellt auch das AMS und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor einen noch nie da gewesene Belastungsprobe“, kommentierte AMS-Vorstand Johannes Kopf die aktuellen Zahlen. Mit dem aktuellen Anstieg sind die Arbeitslosenzahlen erstmals seit Anfang 2017 wieder gestiegen.

Balkendiagramm zu den Arbeitslosen, Zahlen im Detail
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AMS

Im Ö1-Mittagsjournal wies Kopf darauf hin, dass auch die Zahl jener, die im April ihre Arbeit hätten beginnen sollen, wegfalle und sich auf die Arbeitslosenzahl auswirken werde. „Ein Sechstel oder ein Siebentel“, schätzte Kopf, habe den Job nicht antreten können – etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gärtnereien und landwirtschaftlichen Betrieben.

Zusätzlicher Anstieg erwartet

Die Kurzarbeit leiste ihren Beitrag zum Abbremsen der Arbeitslosigkeit, könne aber den Anstieg nicht aufhalten, so der AMS-Chef weiter. Vor allem dort, wo es kurzfristige Dienstverhältnisse gebe, etwa am Bau und im Tourismus, sei die Zahl „überdurchschnittlich hoch“ gestiegen. Der „entscheidende Punkt“ sei, wie lange die Maßnahmen zur Viruseindämmung gelten. „Je schneller die Restriktionen gelockert werden, desto eher werden die Arbeitslosenzahlen sinken“, so der AMS-Chef.

Kopf: Offene Stellen im „versorgungskritischen“ Bereich

Kopf traute sich keine Schätzung zu, wie viel die hohe Arbeitslosigkeit das Budget kosten werde. Auf Fragen zur eventuellen Erhöhung des Arbeitslosengeldes und eine mögliche Verlängerung der Ansprüche verwies er auf die Regierung: „Ich bitte Sie, diese Frage an die Politik zu stellen.“ Das AMS habe diese Entscheidungen nicht zu treffen.

Wenn auch viele Stellen derzeit nicht besetzbar seien – etwa, weil kein Vorstellungsgespräch stattfinden können –, gebe es durchaus offene Stellen, so Kopf weiter. „Wir haben 3.000 Arbeitssuchende im Pflegebereich angefragt“, sagte der AMS-Chef, es gebe auch weitere „versorgungskritische offene Stellen“ wie im Lebensmittelbereich, bei der Post und in der Landwirtschaft. „Hier gilt es: Wer arbeiten kann, wer für diese Bereiche geeignet ist, der hat nicht nur Arbeit, sondern tut auch der Gesellschaft etwas Gutes“, so Kopf – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Mehr Arbeitslosengeld gefordert

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian konkretisierte unterdessen seine am Sonntag gestellte Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengelds angesichts der aktuellen Arbeitslosenzahlen. „Es wäre daher jetzt ein guter Zeitpunkt, um das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent Nettoersatzrate zu erhöhen“, so der ÖGB-Präsident am Mittwoch in einer Aussendung.

In Österreich sei das Arbeitslosengeld im Verhältnis zum letzten Nettoeinkommen mit 55 Prozent relativ niedrig. „Arbeitslose Menschen sind jetzt und waren auch vor der Coronavirus-Krise stark armutsgefährdet“, so der Spitzengewerkschafter. Ein höheres Arbeitslosengeld würde nicht nur Menschen ohne Arbeit vor einem wirtschaftlichen Totalabsturz bewahren, auch für die Gesamtwirtschaft würde das mehr Kaufkraft bedeuten und den wirtschaftlichen Einbruch abschwächen.

Erneut appellierte der ÖGB-Präsident an die Arbeitgeber, das Coronavirus-Kurzarbeitsmodell in Anspruch zu nehmen, anstatt die Beschäftigten zu kündigen. „Entscheidend ist, dass die Kurzarbeit nun tatsächlich rasch, pragmatisch und unbürokratisch abgewickelt wird“, so der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, in einer Aussendung. Ebenso sollten die angekündigten zusätzlichen Maßnahmen zur Viruseindämmung praktikabel und mit Augenmaß umgesetzt werden.

„Temporäre Ausnahmesituation“

Der Rekordanstieg bei den Arbeitslosenzahlen aufgrund der Krise ist für WIFO-Arbeitsmarktökonomen Helmut Mahringer „eine beispiellose Situation“. „Es könnte aber eine temporäre Ausnahmesituation sein, die nach relativer kurzer Zeit in eine normale Zeit übergeht“, sagte Mahringer zur APA. Das Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) geht in Szenariorechnungen mit einem Ende des „Shut-down“ Ende April aus.

Wenn die aktuellen Maßnahmen zur Viruseindämmung bis Ende April in Kraft bleiben, im Mai allmählich aufgehoben werden und sich die Lage im Sommer normalisiert, dürfte die österreichische Wirtschaftleistung 2020 laut WIFO um 2,5 Prozent sinken und die Arbeitslosenrate um einen Prozentpunkt auf 8,4 Prozent steigen.

Wenn dieses Szenario eintreffe, würden die pandemiebedingten Arbeitslosenzahlen wieder deutlich sinken, so Mahringer. Wann das Arbeitslosenplus von 193.000 Personen wieder komplett abgebaut werden könne, sei aktuell aber „schwer abschätzbar“, so der Ökonom. Für ältere Personen sei es schwieriger, wieder einen Job zu finden.