Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
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„Licht am Ende des Tunnels“

Anschober deutet Hoffnungsschimmer an

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat am Donnerstag zusammen mit der AGES neue Erkenntnisse zur Coronavirus-Ausbreitung in Österreich und der Welt präsentiert. Anschober sagte, er sehe „Licht am Ende des Tunnels“, und deutete für Österreich auf ein „gutes Zeichen“ hin: Die Zuwachsrate dämpfe sich langsam. Der österreichische Weg sei ein richtiger. Weiterhin gelte gerade deshalb: Abstand halten.

Anschober warnte dennoch erneut, das Virus sei „gefährlich, weil es relativ ansteckend ist“. Das Verhalten jedes Einzelnen sei absolut entscheidend. „Wenn die Abstandsregel von mindestens einem Meter eingehalten wird, gibt es eine drastische Verringerung des Risikos“, so Anschober.

Der Gesundheitsminister wies außerdem auf die Unterschiedlichkeit der Symptome hin, die das Virus besonders „schwer greifbar“ mache. Viele hätten keine bis wenige Beschwerden, dann gebe es drei, vier Prozent der Betroffenen, die in Österreich in Intensivbetreuung müssten.

Zuwachsraten in allen Bundesländern einstellig

In allen Bundesländern seien die Zuwachsraten mittlerweile im einstelligen Bereich, so Anschober weiter. Für Österreich beträgt sie derzeit 5,66 Prozent. Mit Donnerstagfrüh bestätigten Gesundheits- und Innenministerium 10.923 Infektionen, 1.057 Hospitalisierungen, 227 davon auf Intensivstationen. Donnerstagfrüh gab es 158 bestätigte Coronavirus-Todesfälle und 1.749 Genesungen.

„Diese Zahl nimmt am stärksten zu“, sagte der Gesundheitsminister mit Blick auf die Genesenen. Die Verdoppelungsrate liege derzeit bei knapp acht Tagen. „Wir müssen irgendwo bei 14 ankommen, dann haben wir Stabilität“, so Anschober. Die schweren Erkrankungen dürften nicht stark zunehmen, um das Spitalswesen nicht zu überlasten.

Die Zuwachsraten sind somit den fünften Tag hindurch einstellig. Besonders stolz zeigte sich Anschober, dass in Österreich weitgehend verhindert werden konnte, „dass Menschen mit Symptomen ins Krankenhaus oder zum niedergelassenen Arzt gehen und dort nochmals anstecken“. Dass Menschen zu Hause bleiben und die Telefonnummer 1450 anrufen, sei ein erfolgreiches Vorgehen. Anschober bezeichnete das als die „Marke Österreich“. Das Vorgehen sei dabei immer das gleiche: „Wenn wir Verdachtsfälle haben, dann wird getestet. Bei einer Positivtestung kommt es zum Containment (Eingrenzung, Anm.). Der Erkrankte wird isoliert.“ Dann werde recherchiert, welche Kontakte er oder sie hatte.

Weltweit bald eine Million bestätigte Erkrankte

Weltweit sehe die Angelegenheit schlechter aus. Laut Anschober gibt es auf der ganzen Welt eine Zunahme von 60 Prozent und rund 937.000 bestätigte Infektionen. „Heute werden wir wahrscheinlich die Schallmauer von einer Million überspringen“, so der Gesundheitsminister zu den offiziellen Zahlen. „Dazu kommt die Dunkelziffer.“

Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Humanmedizin der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit)
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Franz Allerberger, humanmedizinischer Leiter der AGES, berechnete Details zur Ausbreitung in Österreich

Besonders in den USA gebe es eine starke Zunahme: rund 260.000 bestätigte Erkrankte, 5.100 Todesfälle. New York sei immer noch am stärksten betroffen. Unterdessen flacht sich die Zuwachsrate auch in Italien ab. Die Zahl liegt bei 110.000. Todesfälle in Italien gab es mit Donnerstag 13.155. In Europa gilt Spanien als Sorgenkind mit 104.000 bestätigten Fällen und 9.387 Todesfällen. China liegt nunmehr auf Platz vier. „Aus einer regionalen Epidemie wurde ein globale Pandemie“, sagte Anschober dazu. Jedoch habe man den Ausgangsort nun im Griff.

92.190 Tests in Österreich

In Österreich wurden laut Anschober bisher über 92.190 Tests durchgeführt. Das sind deutlich mehr, als zuletzt vom Gesundheitsministerium verlautbart wurde. Mit Mittwoch waren bundesweit knapp 56.000 Tests ausgewiesen worden. „Es gibt deutlich mehr Testungen als in den Tagesmeldungen ersichtlich“, sagte Anschober. Als Grund für die Differenz nannte er, dass viele kleine Labors – österreichweit führen mittlerweile über 40 diese Tests auf das Coronavirus durch – noch nicht mit der Schnittstelle verbunden sind, die direkt Daten ins Epidemiologische Meldesystem (EMS) einspeist.

Wie Anschober darlegte, reichen die Laborkapazitäten inzwischen aus, um täglich 20.000 solcher Tests durchzuführen. Die dafür benötigten Reagenzien sind allerdings der Haken an der Sache: Weltweit gibt es bei diesen Kits einen Engpass. Laut dem Gesundheitsminister sind hierzulande im Moment noch 42.000 vorhanden: „Das zeigt, es ist für die kommenden Tage ausreichend da.“ Danach werde man sich auf dem „extrem engen Markt“ um Nachschub bemühen.

Risikogruppen identifizieren?

Der Gesundheitsminister gab außerdem bekannt, dass Risikogruppen über ihre Medikamentierung identifiziert und verpflichtend ins Homeoffice geschickt oder bezahlt dienstfrei gestellt werden sollen. Es solle keine Vorgangsweise erfolgen, „ohne den Datenschutz abzuklären“. Ärztinnen und Ärzte sowie die Krankenkassen warnten davor, sich nur auf die Medikamentendaten zu verlassen.

Anschober sagte, es handle sich bei der Identifizierung der gefährdeten Gruppen um einen „schwierigen Prozess“. In erster Linie gehe es dabei um Personen mit einer „drastischen Verringerung des Immunabwehrsystems“. Das könne eine Krebserkrankung oder schwerer Diabetes sein, „das wird jetzt im Augenblick abgegrenzt“. Betroffene sollen dann von den Sozialversicherungsträgern Empfehlungen erhalten. Wer tatsächlich freigestellt oder verpflichtet ins Homeoffice wechseln muss, „ist am Ende auch eine Frage der medizinischen Bewertung des niedergelassenen Arztes vor Ort“.

Genau auf diese Bewertung pochte auch die Österreichische Ärztekammer (ÖAK). In einer Aussendung warnte sie ausdrücklich vor der Identifizierung über die Medikationslisten der Krankenkassen. Weder verfüge die Sozialversicherung über alle notwendigen Daten, noch sei die Treffsicherheit bei den vorhandenen Daten gegeben. Dazu kämen auch noch datenschutzrechtliche Bedenken.

ÖAK fordert mehr Informationen zu Testergebnissen

Die ÖAK forderte weiters den Erhalt von mehr Informationen über Testergebnisse. „Wir brauchen dringend eine gesetzliche Bestimmung, wonach die Behörden verpflichtet sind, Ärztinnen und Ärzte unverzüglich über bestätigte Infektionsfälle, aber auch über negative Testungen in ihrem Umkreis sowie getroffene Maßnahmen zu informieren“, sagte ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres. Das Vorenthalten dieser Informationen bringe Ärzte „in zusätzliche unnötige Infektionsgefahr“. Die Maßnahmen seien sowohl zum Schutz der Patienten als auch der Ärzte dringend notwendig, betonte Szekeres in einer Aussendung. Medizinerinnen und Mediziner würden ohnehin der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.

„Wenn wir diese Informationen nicht erhalten, droht als Folge, dass wir Ärztinnen und Ärzte wegen Quarantänemaßnahmen Ordinationen sperren müssen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem der Höhepunkt der Pandemie noch bevorsteht“, sagte auch ÖÄK-Vizepräsident Johannes Steinhart. „Die Versorgung durch die niedergelassene Ärzteschaft darf auf keinen Fall zusammenbrechen“, schloss sich Edgar Wutscher, Obmann der ÖÄK-Bundessektion Allgemeinmedizin (BSAM), die eine entsprechende Resolution beschlossen hat, an.

Anschober: „Fast jeden Tag Großlieferungen“

Mit über 92.000 PCR-Tests befinde man sich auf einem Niveau, auf dem auch die meisten deutschen Bundesländer liegen, sagte Anschober: „Das ist eine gute Zahl.“ Verstärkt sollen zeitnah zusätzliche Schnelltests zur Bestimmung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 im Blut zum Einsatz kommen, mit denen sich das Gesundheitsministerium vor allem Aufschlüsse über die Dunkelziffer bezüglich Infektionen mit dem Coronavirus erhofft, über die bisher nur spekuliert werden kann. Auf die mögliche Dunkelziffer konkret angesprochen, meinte Bernhard Benka, Mitglied der Coronavirus-Taskforce im Gesundheitsministerium, sie liege „sicher nicht“ bei mehreren 10.000.

Die Antikörpertests will Anschober flächendeckend zur Testung von größeren Personengruppen – etwa im Pflegebereich – einsetzen. Was die dringend benötigte Schutzausrüstung betrifft, die offenbar nicht allerorts im ausreichenden Ausmaß vorhanden ist, meinte der Gesundheitsminister, es würden „fast jeden Tag Großlieferungen“ mit Handschuhen, FFP2- und FFP3-Masken, Schutzmänteln und anderen Utensilien eintreffen. Es gehe darum, die Reserven „schnell aufzufüllen“, stellte Anschober fest. Grundsätzlich müsse man in Europa eine „eigene gemeinsame Strategie“ entwickeln, damit in Krisenzeiten im EU-Raum genügend Schutzmaterial verfügbar ist.

„Großteil steckt sich bei uns an“

Beim Großteil der Coronavirus-Infektionen in Österreich steckten sich die Betroffenen hierzulande an. Lediglich 3,5 Prozent der Fälle hätten ihre Quelle wahrscheinlich im Ausland, ergab die AGES-Analyse. Insgesamt 306 Personen hätten die Infektion „im Ausland erworben“, sagte Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Humanmedizin der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). „Die Botschaft ist, der Großteil steckt sich bei uns an.“

Er geht im Übrigen davon aus, dass „bald ein Prozent der Bevölkerung“, also rund 90.000 Menschen, in Österreich infiziert sein werden. Bei der Analyse der AGES kam heraus, dass insgesamt 133 positive Fälle in Österreich ihren Ursprung in Italien hatten. 29 sind auf Deutschland zurückzuführen, 20 auf Spanien, 13 auf Großbritannien, elf auf Ägypten und zehn auf die Vereinigten Arabischen Emirate. Stand der Untersuchung ist der 30. März.

„Keine Angst, solange ein Meter Abstand gehalten wird“

Allerberger gab Details über das „Contact Tracing“ preis, also jene Methode, die den Weg des Virus nachzeichnet. Dabei werden auch Kontaktpersonen von Flügen und Kreuzfahrtschiffen zurückverfolgt und die Gesundheitsbehörden anderer Länder informiert. Bist zum Stichtag 31. März wurden laut Benka die Passagierlisten von 55 Flügen analysiert und 1.500 Kontaktpersonen weitergeleitet. Außerdem wurden 16.800 Personen an insgesamt 94 Staaten weitergeleitet, davon 13.300 an EU-Länder.

Die Rolle der AGES ist hierbei, minutiös nachzuzeichnen, welcher oder welche Erkrankte mit wem Kontakt hatte, und auch etwa, wer der oft erwähnte „Patient 0“ ist. Allerberger warnte dabei vor Stigmatisierung, auch Anschober appellierte: „Bitte nicht personalisieren!“ Freilich sei aber auf Skihütten wie beispielsweise in Ischgl die perfekte Ausgangssituation gegeben gewesen, dass sich das Coronavirus rasch verbreitet habe, da kein Mindestabstand eingehalten werden konnte. „Das Virus hat keine Flügel“, so Allerberger und erklärte einmal mehr: Es gehe darum, den direkten Kontakt auf weniger als einen Meter absolut zu vermeiden.

Außerdem brauche das Virus etwa 15 Minuten, um sich von einer Person zur nächsten zu verbreiten. „Ich fahre jeden Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit der U-Bahn und ich habe keine Angst, solange ein Meter Abstand gehalten wird“, sagte der AGES-Leiter aus seinem Alltag. Die Regel des Experten laute deshalb: mindestens ein Meter Abstand und nicht länger als 15 Minuten Kontakt.