Stadtansicht Ischgl
ORF.at/Zita Klimek
Coronavirus

Erster Fall in Ischgl bereits am 5. Februar

Der erste Coronavirus-Fall ist in Ischgl in Tirol bereits am 5. Februar aufgetreten. Dabei handelte es sich um eine Kellnerin, die erst Wochen später positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Das gab Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Humanmedizin der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), am Donnerstag bekannt. Für das Land Tirol ist der Fall „nicht nachvollziehbar“.

Die AGES-Analyse sieht die Angestellte (sie kommt ursprünglich aus der Schweiz) des Apres-Ski-Lokals „Kitzloch“ als Primärquelle. Die Frau hatte jedoch nur leichte Symptome und war nicht beim Arzt. Wo sie sich angesteckt hat, ist nicht klar. Bei der amtsärztlichen Untersuchung im März stellte sich heraus, dass sie positiv war. Der bisher vielgenannte Barkeeper, dem in Medien unterstellt wurde, Dutzende im „Kitzloch“ angesteckt zu haben, war nicht der „Spreader“.

Kellner wurde lediglich als Erster getestet

Vielmehr war er laut Allerberger der Erste der in Ischgl Erkrankten, der zum Arzt ging und Anfang März positiv getestet wurde. Er habe fälschlicherweise die Rolle des angeblichen Weiterverbreiters „umgehängt bekommen“, sagte Allerberger. Wichtig für das „Contact-Tracing“ sei „der Tag des Erkrankungsbeginns, der Tag der Diagnose muss in vielen Fällen nichts aussagen“, betonte er. Ansteckend sind Infizierte laut dem Experten „nur acht Tage“.

Eine weitere Kellnerin des Apres-Ski-Lokals zeigte am 8. Februar erste Symptome – der Barkeeper selbst erst am 2. März. Dazu kamen weitere Mitarbeiter dieser Bar, darunter auch der Geschäftsführer und der DJ. Neben den „Kitzloch“-Mitarbeitern gab es bereits am 26. Februar in Ischgl zwei erkrankte Erasmus-Studenten aus Norwegen, die in Bologna studierten und sich beim Skifahren in Ischgl „mit Sicherheit nicht“ angesteckt hätten, erläuterte Allerberger.

Tirol fordert Aufklärung von AGES

Das Land Tirol spielte den Ball an die AGES zurück – und verlangt Aufklärung. Der Fall der Schweizerin sei für das Land „nicht nachvollziehbar“, sagte Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) bei einer Videopressekonferenz. Die Tiroler „Fallzahlen“ würden mit dem 7. März beginnen, dem ersten bestätigten Ischgler Coronavirus-Fall.

„Es ist ganz wichtig, dass uns die AGES Aufklärung gibt, ob das überhaupt den Tatsachen entspricht“, so Geisler. Das Ganze sei auch „medizinisch nicht ganz nachvollziehbar“. Im Falle des Auftretens am 5. Februar wäre die Krankheit am 9. März „ja schon längst abgeklungen“, sprach der Landeshauptmann-Stellvertreter die Inkubationszeit von zwei Wochen an.

„Hoffe schon, dass es da keinen Irrtum gibt“

Man habe jedenfalls von einem solchen Fall „keine Kenntnis gehabt“, die Tiroler „Zeitrechnung“ gehe von ebenjenem 7. März aus. Geisler richtete der Bundesbehörde AGES aus: „Ich hoffe schon, dass es da keinen Irrtum gibt. Das wäre sehr bedauerlich.“ Ins selbe Horn stieß indes die Gemeinde Ischgl. Man habe von dem angeblichen Fall am 5. Februar erst am Donnerstag durch die Pressekonferenz von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erfahren.

„Auch die von der AGES bekanntgegebene Kellnerin, die mit dem Coronavirus infiziert wurde, war uns bislang nicht bekannt“, betonte Bürgermeister Werner Kurz. Der erste bestätigte Fall sei am 7. März bekanntgeworden, unterstrich auch Kurz. Diese Information sei „selbstverständlich an die zuständigen Behörden weitergeleitet“ worden, die in der Folge die Schließung der Apres-Ski-Bar „Kitzloch“, sämtlicher Gastronomiebetriebe, ein behördliches Versammlungsverbot sowie die Schließung der Seilbahnen veranlasste. „Sämtliche Vorgaben und Verordnungen wurden in Ischgl selbstverständlich umgesetzt“, so der Bürgermeister.

Land Tirol: Alle notwendigen Schritte veranlasst

Auch das Land Tirol betonte erneut, dass ab dem 5. März – als man erfahren habe, dass 15 isländische Gäste in ihrer Heimat nach einem Ischgl-Aufenthalt positiv auf das Virus getestet wurden – alle notwendige Schritte veranlasst wurden. Es sei angewiesen worden, das Hotelpersonal der Unterkunft der Isländer zu testen – alle Tests seien negativ ausgefallen.

Der dortige Arzt wurde zudem angehalten, Personen, die zu ihm in die Praxis kommen und grippeähnliche Symptome aufweisen, zu testen bzw. Abstriche vorzunehmen – obwohl das damals laut WHO-Vorgaben noch gar nicht verpflichtend gewesen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt, dem 6. März, habe es keinen einzigen Verdachtsfall in oder aus Ischgl gegeben. Als dieser dann am 7. März mit dem besagten Barkeeper feststand, sei mit der Isolierung der Mitarbeiter des „Kitzloch“, der vorübergehenden Sperre des Lokals und der endgültigen Schließung am 9. März schnell gehandelt worden.

40 „Coronavirus-Cluster“ analysiert

Die AGES hat mittlerweile mehr als 40 „Coronavirus-Cluster“ in Österreich analysiert. Unter dem Namen „Cluster S Ischgl“ wurden die Fallhäufungen ausgehend von der Region Paznaun analysiert. Allein in Österreich lassen sich 611 Infektionen direkt auf Ischgl zurückführen. Betroffen sind alle Bundesländer, „Hauptpunkt ist natürlich Tirol“, erläuterte der Infektiologe. Dort sind es insgesamt 199 Infektionen, gefolgt von 127 in Oberösterreich und 102 in Vorarlberg. Immerhin sechs Fälle aus dem „Cluster S“ gibt es im Burgenland, in Wien sind es fünf.

Wie Allerberger bei einer Pressekonferenz erläuterte, stellen von den 611 Personen 573 die „Primärgeneration“ dar, also Personen, die die Infektion im Paznauntal selbst erworben haben. 38 Fälle gab es in den Folgegenerationen, also etwa Personen, die zurück zu Hause „die Ehefrau anstecken“ und die selbst nicht in Ischgl, St. Anton, Serfaus, Galltür oder St. Christoph waren. Der Infektiologe betonte auch, dass sich mindestens die gleiche Zahl, wenn nicht doppelt so viele im Ausland aufhalten, also Touristen, die nach dem Winterurlaub heimgekehrt sind.

Patientin 0 „pumperlgesund“

Die Patientin 0 (also die Schweizerin) ist laut Angaben des Experten „pumperlgesund“, ebenso die weiteren Angestellten der Bar, die alle maximal 50 Jahre alt sind. In Tirol selbst sind ungefähr acht Personen des „Cluster S“ auf der Intensivstation. Die Experten der AGES haben bereits mehr als 40 Cluster in Österreich untersucht. Der erste mit dem Buchstaben A war jener in Wien und Niederösterreich, wo aus Italien zurückgekehrte Personen mehrere Menschen im Umfeld angesteckt hatten.

„Virus hat keine Flügel“

Allerberger sagte, dass das Coronavirus nicht „extrem ansteckend ist“, die Infektionen passierten in Apres-Ski-Lokalen, wo Menschen in einer Distanz weniger als einen Meter zumindest 15 Minuten Kontakt gehabt hätten. „Das Virus hat keine Flügel. Es fliegt weder in einem Bundesgarten noch auf der Skipiste auf 2.000, 3.000 Meter Höhe“, so Allerberger. Die Infektionen passieren in Apres-Ski-Lokalen, dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenstehen. „Ich fahre jeden Tag mit der U-Bahn, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und hab keine Angst, solange die Menschen zumindest einen Meter Abstand halten“, bekräftigte der Experte.

Allerberger wies zudem darauf hin, dass man „mit Rückschlüssen vorsichtig sein“ müsse. „Das ist kein Kriminalprozess, es sind Indizien, die für uns wichtig sind, weil sie Anleitungen für künftige Maßnahmen sind“, sagte Anschober. „Die Betroffenen können in der Situation nichts dafür, ihnen ist überhaupt kein Vorwurf zu machen“, sagte der Minister. „Wir sind keine Gerichtsbehörde“, konstatierte Anschober.

FPÖ-Kritik an Umgang der Regierung mit Causa Tirol

Die FPÖ warf Gesundheitsminister Anschober unterdessen Versagen in der Causa Tirol vor. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz sprach bei einer Pressekonferenz von der „größten Vertuschungsaktion“ der gesamten Krise. Der „Schulterschluss der Regierung“ diene lediglich der Vertuschung von Versäumnissen, beklagte er. Die Regierung hätte in Bezug auf die rasante Ausbreitung des Coronavirus in Tirol viel früher und konsequenter handeln müssen, so Schnedlitz.

Anschober solle jetzt nicht den Aufklärer der Causa Tirol spielen, forderte er. Der Minister hätte nach Ansicht der FPÖ selbst die Möglichkeit und die Pflicht gehabt, einzuschreiten und die Grenzen nach Italien etwa viel früher zu schließen. „Dann wäre es nicht zu einer solchen Verschleppung und Ausbreitung in Österreich gekommen“, zeigte sich Schnedlitz überzeugt.

Der Minister hätte auch Betriebe, Bars und Lifte in Tirol viel früher schließen müssen, so Schnedlitz am Donnerstag. Dass Anschober nun sage, er wolle die Causa Tirol aufklären, obwohl er laut FPÖ selbst involviert war und dort versagt habe, sei „an Perfidität nicht zu überbieten“, so Schnedlitz, der davon ausgeht, dass die „Vertuschungsaktion der Regierung weitergehen wird“.