Großaufnahme einer Frau mit Schutzmaske
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Coronavirus

Die Psychologie der Maske

Die Gesichtsmaske ist spätestens mit der Pflicht, sie in Supermärkten zu tragen, zum Symbol der Coronavirus-Krise geworden. Im Alltag ist sie dieser Tage omnipräsent, sei es im realen Leben auf der Straße, sei es in Sozialen Netzwerken, in denen mehr und mehr mit Maske posiert wird. Offen bleibt neben allen gesundheitlichen Aspekten vor allem eine Frage: Wie verändert die Maske die Individuen und die Gesellschaft als Ganzes?

Etwas kompliziert macht es die Sache, dass die Mund-Nasen-Schutzmasken dem umgekehrten Zweck dienen, den Masken ansonsten haben: Sie haben – einmal abgesehen von früherer religiöser und kultischer Bedeutung – vor allem die Funktion, den Träger zu schützen, entweder gesundheitlich oder indem sie seine Identität verbergen. Mund-Nasen-Schutzmasken dagegen sind vor allem dazu da, Mitmenschen vor einer möglichen Infektion zu schützen, und zwar für den Fall, dass der Träger das Virus verbreiten könnte.

Die anvisierte „Zielgruppe“ sind also vor allem jene, die keine oder nur leichte Symptome zeigen, von der Infizierung also wahrscheinlich gar nichts wissen und trotzdem ansteckend sind. Die Zahl dieser symptomlosen Überträger ist eine der größten Unbekannten und damit einer der großen Unsicherheitsfaktoren in der derzeitigen Krise. Dass aus diesem Grund Masken, ohne zu murren, nicht aus Selbstschutz, sondern aus Respekt anderen gegenüber getragen werden, wie das in Südkorea weitgehend der Fall ist, dahin scheint es in Österreich doch ein weiter Weg.

Maske mit Lücken und Tücken

Das ist auch deswegen so, weil zu Beginn der Epidemie auch von politischen Entscheidungsträgern immer wieder betont wurde, das Tragen einer Maske sei nicht notwendig und teilweise auch gar nicht sinnvoll, weil diese eben den Träger vor einer Ansteckung kaum schützt. Während einige Institution, Expertinnen und Experten auf das Tragen der Maske – auch mit Verweis auf Asien und im Speziellen Südkorea – pochen, weisen andere, allen voran die Weltgesundheitsorganisation (WHO), auf die Risiken hin: Die Mund-Nasen-Schutzmasken könnten Trägerinnen und Träger in falsche Sicherheit wiegen und damit auf andere Sicherheitsmaßnahmen vergessen lassen. Und beim Anlegen, Abnehmen und Verschieben würde man sich unweigerlich öfter ins Gesicht greifen, was das Ansteckungsrisiko unterwegs deutlich steigere.

Eine Frau mit Schutzmaske bei ihrem Einkauf
APA/Helmut Fohringer
Ungewohnte Bilder in den Geschäften

Zwischen neuer Höflichkeit und großem Murren

Einige Lokalaugenscheine in Wiener Supermärkten, Apotheken und Banken zeigen, dass die Routine mit der Maske wenig überraschend noch fehlt. Bei Kundinnen und Kunden wie auch bei den Angestellten wird herumgezupft und korrigiert, vor allem Menschen mit Brillen kommt die Maske öfter in die Quere. Auch bei der Ausgabe der Masken kommt es durchaus zu turbulenten Szenen, da und dort werden mehrere Masken verlangt.

Noch spannender scheint der psychologische Aspekt zu sein – und da ist das Tragen des Mund- und Nasenschutzes nur ein weiterer Indikator für etwas, das bereits in den vergangenen Wochen auf anderen Ebenen spürbar war: Die einen nehmen es mit Humor, sogar eine Art neue Höflichkeit ist bemerkbar. So wie man den früher immer ignorierten Nachbarn gegenüber neuerdings manchmal zuwinkt und fragt, wie es geht, werden selbst in Wien wildfremde Menschen mittlerweile wie im kleinen Ort gegrüßt, weil das selbe Schicksal teilt.

Umgekehrt hinterlassen Anspannung, Sorgen und Ängste und auch das Zurückgeworfensein auf die eigenen vier Wände Spuren: Die Stimmung ist bei vielen gereizt, die Maskenpflicht wird als persönliche Einschränkung und Beschneidung der Freiheitsrechte empfunden. „Das hätt’ ich mir auch nicht dacht’, dass ich einmal a Burka tragen muss“, war etwa in einem Wiener Supermarkt zu hören – von einem Mann und immerhin mit deutlicher Ironie in der Stimme.

Die Schlange und das Nervenkostüm

Für Irritationen sorgen auch andere Umstände: Die Kommunikation mit Maske ist schwierig – verbal und nonverbal. Bestellungen an der Wursttheke werden im Supermarkt zur Herausforderung, die mehr oder weniger charmant bewältigt werden kann. Einkaufswagen auf Kollisionskurs in engen Supermarktgängen kann man sonst je nach Gesinnung mit einem Lächeln oder nach unten gezogenen Mundwinkeln begegnen. Mit Mundschutz sind neue Kommunikationsmuster notwendig.

Erschwerend für ein von der Maske schon angespanntes Nervenkostüm kommen zudem immer häufiger lange Schlangen beim Anstellen dazu, die aufgrund des einzuhaltenden Respektabstands noch viel länger wirken, als sie sind. Schon bisher war der Ruf „Kassa bitte“ aus den hinteren Reihen eindeutiges Zeichen für ein eher unentspanntes Gemüt. Nur kam das bisher eher selten vor.

Aufgeregtes „Vernadern“

Viele Banken und Apotheken exerzieren schon das vor, was auch in Supermärkten kommen soll – und in einigen Fällen der Krise in den Anfangstagen wegen des riesigen Ansturms schon Realität war: Einlassbeschränkungen je nach Geschäftsgröße sowie Blockabfertigung. Der Geduldsfaden vieler Menschen scheint dieser Tage eher dünn – und das, obwohl viele gerade jetzt eine Spur mehr verfügbare Zeit haben als früher.

Anspannung und Unruhe lässt sich auch an einem anderen Phänomen festmachen: das man sich darüber aufregt, dass andere Menschen – tatsächlich oder scheinbar – nicht die ausgegebenen Regeln befolgen. Derartiges Verhalten lässt sich real und in Sozialen Netzwerken massenhaft feststellen. Ein höfliches Ansprechen darauf bringt meist Aufklärung, häufig aber werden solche Situationen schnell emotional aufgeladen und münden in lautstarke Auseinandersetzungen. Auch das „Vernadern“ von echten oder vermeintlichen Regelbrechern nimmt überhand.

Individualismus trotz Maske

Ein vielleicht intendiertes Ziel der Maskenpflicht scheint jedenfalls erreicht zu werden: mit der Pflicht zur Mund-Nasen-Schutzmaske im Supermarkt die Krise im Alltag sichtbar zu machen, auch für all jene, die sich dem über die Verweigerung sämtlicher Medienkanäle entziehen wollten und konnten – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Deutlich wird auch: Eine durchmaskierte Gesellschaft wird als bedrohlich wahrgenommen – vielleicht auch, weil sie als optische Gleichschaltung gesehen wird. So ließe sich auch erklären, wieso selbst fabrizierte Masken und die vielerorts angebotenen Designerstücke einen derartigen Boom erleben: Sie bringen ein Stück Individualismus zurück in eine uniformierte Welt. Auch das Herstellen von Masken scheint – das legen jedenfalls Social-Media-Beobachtungen nahe – durchaus sinnstiftend zu wirken.

Der unterschätzte Aspekt?

Deutlich wird aber vor allem eines: Neben den beiden derzeit im Fokus befindlichen Hauptthemen, der Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und den enormen Folgen der Bekämpfungsmaßnahmen mit den unabschätzbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft und die ökonomische Situation von Millionen Menschen, gibt es ein drittes, tendenziell unterrepräsentiertes, Hauptthemenfeld in der derzeitigen Krise: Was macht der derzeitige Ausnahmezustand mit den Menschen und der Gesellschaft?

Der kanadische Psychologe Steven Taylor legte erst im Vorjahr ein umfassendes Buch mit dem Titel „The Psychology of Pandemics“ vor. Für politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt ist das vielleicht eine sinnvolle Komplementärlektüre zu Rechenmodellen von Mathematikern auf Basis tendenziell nicht ganz sicherer Daten.