Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
APA/Robert Jäger
Kurz im Nationalrat

„Wir sind noch nicht über den Berg“

Auf dem Programm des Nationalrats steht am Freitag das dritte Gesetzespaket zur Bekämpfung der Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Vor der Debatte und Abstimmung hielten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) Ansprachen. Kurz wies trotz verlangsamter Ausbreitung darauf hin: „Wir sind noch nicht über den Berg.“

Österreich sei bisher besser durch die Krise gekommen als andere Staaten, so Kurz. Grund dafür seien die Maßnahmen und dass die österreichische Bevölkerung sie einhalte. „Durch Ihr Verhalten haben Sie Leben gerettet“, wandte sich der Bundeskanzler an die Bevölkerung. Darüber sei er „froh und erleichtert“. Kurz schwor die Österreicherinnen und Österreicher darauf ein, durchzuhalten und „keine voreiligen Schlüsse zu ziehen“.

Er dankte auch allen Parteien für ihre Unterstützung sowie allen Menschen, die in der Pflege und im öffentlichen Dienst arbeiten, sowie den Zivildienern und „allen, die arbeiten gehen und die Wirtschaft, dort wo es möglich ist, am Laufen halten“. Er dankte auch jenen, die zu Hause bleiben, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Das bringe häufig Einsamkeit und auf der anderen Seite Überforderung.

„Einschränkungen notwendig, um Freiheit zu erlangen“

Kurz sagte, er sorge sich allerdings wegen der Zeit der Osterfeiertage. Er habe „Sorge, wenn ich auf die nächsten Wochen blicke“. „Ich bitte Sie inständig, agieren Sie anders“, so der Kanzler an die Österreicherinnen und Österreich gewandt. „Lassen wir das, was wir schätzen, zu Ostern aus. Verzichten wir auf Familienfeiern und Zusammenkünfte, weil genau das die größte Gefahr für die Menschen ist, die uns am Herzen liegen.“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
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Kurz und Kogler mussten ihre Reden zum Gesundheitsschutz hinter einer Plexiglasscheibe halten

Und weiter: „Einschränkungen sind notwendig, um Freiheit zu erlangen.“ Um eine Aufhebungen der derzeitigen Maßnahmen anzudenken, brauche es noch Zeit. „Es braucht nicht nur einen Trend“, warnte der Kanzler. Am Sonntag würden die Zahlen als Nächstes bewertet und mit Expertinnen und Experten „richtige Entscheidungen“ getroffen.

38 Milliarden an Hilfsgeldern

Man werde zuerst mit der Öffnung des Handels beginnen, kündigte Kurz an, „schrittweise und behutsam“. Doch dafür müssten insbesondere weiterhin die Risikogruppen und ältere Bevölkerung geschützt werden. Abstand zu halten werde auch dann noch gelten. Es gehe um einen „Kulturwandel“ – „damit auf einen Einzelfall nicht wieder ein Flächenbrand folgt“, so der Kanzler.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verfolgt mit Mundschutz Herbert Kickls (FPÖ) Rede im Nationalrat
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Auch die Regierungsmitglieder trugen Gesichtsmasken

Kurz wies weiters auf die 38 Milliarden Euro Hilfsgelder hin, um sicherzustellen, dass sich auch die Wirtschaft von der Krise erhole. „Unser Zugang ist klar: Koste es, was es wolle. Wir werden alles tun, was notwendig ist, um Arbeitsplätze zu schützen und den Wirtschaftsstandort Österreich gut durch die Krise zu führen.“

Kogler: „Zusammenhalten heißt Abstand halten“

Auch Kogler dankte allen, die zu Hause bleiben, und auch jenen, die notwendige Arbeit sowohl außerhalb ihres Heims als auch im Homeoffice verrichten. Auf der anderen Seite bedauerte er die Tausenden Kündigungen und auch die Kurzarbeit.

„Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass wir da herauskommen – und zwar gemeinsam“, so Kogler. „Wir kommen da raus, wenn wir zusammenhalten – und das heißt Abstand halten und durchhalten.“ Er verwies auch auf die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag.

„Gemeinsam haben wir hier einiges auf die Reihe gebracht“, fuhr der Vizekanzler fort. „Wir stehen besser da, weil Maßnahmen ergriffen wurden.“ Doch hätte man Prognosen und Modellrechnungen falsch interpretiert, „hätten wir genau jetzt den Kollaps unseres Gesundheitssystems, insbesondere der Intensivmedizin, bereits erreicht“, sagte Kogler. So habe man 100.000 Tote auch in Österreich verhindert.

Aus diesem Grund könne, so schloss sich Kogler Kurz an, eine Rückkehr zum Normalzustand nur schrittweise erfolgen. Manches werde bestimmt erst später wieder ermöglicht werden können, kündigte der Vizekanzler an, „Großveranstaltungen zum Beispiel“. Er verwies hierbei auch auf Vereine und nicht profitorientierte Organisationen. Für sie werde man die nächsten Pakete schnüren, so Kogler.

Faßmann erhält umfangreiche Befugnisse

Alle Regierungsmitglieder betonten die Erfolge der bisherigen Maßnahmen und die Notwendigkeit der künftigen. Faßmann begründete die Ausweitung seiner Befugnisse unter anderem damit, dass man aktuell nicht abschätzen könne, ob das Schulende dem geplanten Datum entspricht. Gerade dem Bildungsminister werden durch das Coronavirus-Paket umfangreiche Möglichkeiten gegeben, vor allem den Schulbereich nach seinem Gutdünken zu gestalten. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann erklärte das unter anderem damit, dass es ein unglaublich kompliziertes System gebe, bei dem alles gesetzlich festgelegt sei. Er versicherte aber, mit der ihm geliehenen Macht mit großer Sorgfalt umzugehen.

Bildungsminister Heinz Faßmann
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Faßmann kann noch nicht abschätzen, wann die Schulen wieder offen sein werden

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) lobte bei ihrem Redebeitrag vor allem, dass mit dem dritten Coronavirus-Paket Delogierungen verhindert würden und Mietrückstände gestundet werden. Auf einem guten Weg durch die Krise sieht Österreich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Derzeit gebe es bei Intensivstationen und Beatmungsgeräten einen Leerstand von fast 50 Prozent.

Der Anstieg bei Infektionszahlen sei seit mehreren Tagen im einstelligen Bereich, heute sogar bei vier Prozent. Der Weg sei also ein richtiger, aber konsequent weiterzugehen. Besonders betont wurde von Anschober, dass am Wochenende in die Länder große Mengen an medizinischem Schutzmaterial ausgeliefert würden, etwa 1,9 Millionen OP-Masken.

Blümel: „Möglichst viele Arbeitsplätze schützen“

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) berichtete von den Maßnahmen, die gesetzt wurden, um „möglichst viele Arbeitsplätze zu schützen“ und die Wirtschaft möglichst gut durch die Coronakrise zu bringen. 89.330 Steuerstundungen seien bisher beantragt worden, was den Unternehmen 2,5 Mrd. Euro mehr Liquidität gebracht habe. Beinahe 700 Mio. Euro seien an Garantien und Haftungen – aus dem mit neun Mrd. dotierten Fonds – vom Finanzministerium freigegeben worden. Von den 110.000 Anträgen zum Härtefallfonds seien 92 Prozent bereits abgearbeitet und knapp 100 Mio. Euro überwiesen worden, erläuterte Blümel.

Rednerpult wird von einem Mitarbeiter des Parlaments desinfiziert
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Das Rednerpult und die Plexiglasscheibe werden laufend desinfiziert

Soforthilfe- und Kurzarbeitsanträge seien „im Laufen“, bei Häftefallfonds trete man am 16. April in die zweite Phase (bis 2.000 Euro pro Monat) ein, die Modalitäten für den 15 Mrd. schweren Coronavirus-Hilfsfonds seien bereits bekannt. ÖVP-Mandatar Peter Haubner hob dann auch hervor, dass sich die Skepsis der Abwicklung des Härtefonds über die Wirtschaftskammer (WKO) nicht bestätigt habe. Über 110.000 Anträge seien bereits behandelt worden.

Opposition kritisch

Kritisch blieb die Opposition. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz hielt der Koalition vor, es nicht einmal zu schaffen, Mundschutz geordnet unter die Bevölkerung zu bringen und noch dazu nicht auf sichere Modelle zu setzen. FPÖ-Klubvize Dagmar Belakowitsch forderte einmal mehr, Einschränkungen für die Wirtschaft zurückzunehmen.

Seitens NEOS beklagte ihr Abgeordneter Sepp Schellhorn die fehlende Transparenz bei den eingeleiteten Maßnahmen. Täuschen, Tarnen, Vertuschen ortete er und verlangte gleichzeitig, dass man schon jetzt anfangen müsse, die Balance zwischen Gesundheit und der Verhinderung eines totalen wirtschaftlichen Kollapses zu finden.

Reden hinter Plexiglasscheibe

SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer pochte darauf, dass es ein explizites Verbot für Dividendenauszahlungen und Boni brauche für Firmen, die Staatshilfe beziehen. Zudem verlangte er die Öffnung der Bundesgärten in Wien. Sein Klubkollege Philip Kucher beklagte, dass die von der SPÖ vorgebrachten Anträge von der Koalition nicht berücksichtigt würden.

Die 22. Sitzung des Nationalrates findet mit einer verminderten Anzahl an Abgeordneten statt – 96 statt 183. Acht gegeben wurde auf größere Abstände in den Sitzreihen und auf der Galerie. Reden haben vor Plexiglaswänden stattzufinden, die Abgeordneten tragen Mundschutz. Noch vor den Ansprachen von Kurz und Kogler wurde der oberösterreichische Arzt Werner Saxinger angelobt. Ex-Rechnungshof-Präsident und ÖVP-Justizminister Josef Moser legte wie schon angekündigt sein Mandat nieder.