Mann überquert den Wiener Graben mit Maske
Alex Halada / picturedesk.com
Schutzmaßnahmen

Die fragile Stimmungslage

Österreich trägt Maske – und ist dabei durchaus kreativ, blickt man auf die Vielfalt an Coronavirus-Schutzmaßnahmen, die bis zum grellen Selbstbauteil gehen. Umfragen bescheinigen, dass die große Mehrheit die Maßnahmen mitträgt. Doch Stimmungen sind fragil, und die Gefahr, dass es zu kollektiven Trotzmaßnahmen kommt, scheint gegeben. Gefragt ist im Moment auch eine Krisenkommunikation, die mit positiven, differenzierten Begriffen arbeitet und Licht am Ende des Tunnels skizziert.

Nicht nur in Österreich, auch im benachbarten Deutschland trägt ein großer Teil der Bevölkerung die Schutzmaßnahmen, die die Regierungen zurzeit ergriffen haben, mit. Laut Infratest dimap sind es beim ARD-Deutschlandtrend 91 Prozent, die den beschlossenen Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit zustimmen.

Auch in Österreich bescheinigte das market-Institut in einer Umfrage unter 1.000 Befragten hohe Zustimmungswerte zu den ergriffenen Maßnahmen. Und auch, dass beide Regierungsparteien im Zuge einer Sonntagsfrage auf nie dagewesenen Höhenflügen unterwegs sind (ÖVP 43 Prozent, Grüne 19 – SPÖ 19, FPÖ elf und NEOS sieben Prozent). Doch zugleich zeigt das Abfragespektrum auch Momente größerer Sorgen und Beunruhigungen. So rechnen laut market auch 75 Prozent der Befragten mit einer längeren, andauernden Wirtschaftskrise.

Ein Licht am Ende des Tunnels ist für den Kommunikationsexperten und Kulturwissenschaftler Johannes Domsich in der momentanen Ausnahmesituation ein wichtiger Faktor, damit die Stimmung nicht komplett in ihr Gegenteil kippt. Mit seiner Firma hat Domsich die Kommunikation und den, wie er sagt, „Informationsoverload“ der letzten Wochen qualitativ durchforstet und ist vor allem bei der Analyse von Tausenden von Forenbeiträgen zum Ergebnis gekommen, dass Stimmungen rasch kippen könnten und schon jetzt bei all jenen, die sich überproportional in Foren und zu Livetickern artikulierten, ein Moment des Trotzes zu bemerken sei.

Experte Johannes Domsich
ORF.at
Johannes Domsich, Kulturwissenschaftler und Experte für Krisenkommunikation

„Wir haben auch einen Informationsoverload“

„D&S beschäftigt sich seit über fünfzehn Jahren mit Kommunikations- und Trendanalyse im Onlinebereich und konzentriert sich dabei auf die Markt- und Meinungsbeobachtung im Internet durch die Analyse von Foren, Blogs, Websites und Social Communities“, beschreibt Domsich seinen Zugang, mit dem man Meinungsverläufe herausfiltern könne.

Domsich kommt für alle Medien zu einem Ergebnis: Es gibt einen kompletten „Informationsoverload“, der auch Irritationen mit sich bringe. „Die Definition eines Informationsoverloads muss neu geschrieben werden“, sagt Domsich gegenüber ORF.at und hat für seine Analyse vor allem die Beiträge in den Foren der unterschiedlichen Medien im Auge.

Für Domsich ist vor allem die Korrelation zwischen publizierten Artikeln und Foreneinträgen (bei Medien, die das anders als ORF.at direkt haben) frappierend. Erstelle man auf der Grundlage von 4.000 qualitativ ausgewerteten Postings ein Meinungsbild, so komme man zum Schluss, dass sich gewisse Stimmungen durch alle Schichten zögen.

Clemens Auer zum „Oster-Erlass“

Clemens Auer, Mitglied Krisenstab Gesundheitsministerium, spricht unter anderem über den Erlass für Ostern, der zu großer Verwirrung geführt hat.

Vier große Gruppen der Verunsicherten

D&S macht nach eigenen Angaben vier große Gruppen aus, die über die Foren der Medien Gestalt annehmen:

  • Die Unsicheren: Die Gruppe all jener, die nicht mehr unterscheiden können: Was ist wichtig, was ist unwichtig?, „verbunden mit der Frage“, so Domsich, „dass diese Gruppe auch nicht mehr sicher ist, welche Maßnahme, die man selber ergreifen solle, richtig sei oder nicht“.
  • Die Ohnmächtigen: Die Gruppe habe andere Schwierigkeiten in der Handlungsableitung. „Das Gefühl ist: Ich bin machtlos und kann nichts tun“, so Domsich, der das Motto dieser Gruppe so auf den Punkt bringt: „Eh alles egal, es kommt, wie es kommt.“
  • Die Perspektivlosen: Diese Gruppe frage nach der direkten Bedeutung der Coronavirus-Krise für das eigene Umfeld: „Was bedeutet Corona (Krise, Wirtschaft) für mein Umfeld, für mich und was bedeutet es für die Gesellschaft?“ Auch diese Gruppe stehe hier sehr verunsichert da.
  • Die Planungsverunsicherten: In diese Gruppe würden all jene fallen, die „gerne Schritte setzen wollen, aber nicht wissen welche“. Dieser Gruppe gehe es um ganz konkrete praktische Fragestellungen: „Wie geht es weiter mit der Schule, mit den Kindergärten, kommt die Matura, was muss ich für den Beruf tun?“

Warnung vor der großen Trotzigkeit

Domsich rät all jenen, die gerade im Moment in der Krisenkommunikation tätig sind, dass man sich gerade dieses fragile Stimmungsmoment ansehen möge. Ohne konkretes Licht am Ende des Tunnels drohe ein großes Moment der „Trotzigkeit“, das sich für Domsich in der Forderung, die Parks und Gärten des Bundes mögen wieder aufsperren, manifestiere. Resignation, aber auch ein Handeln auf eigene Faust könnten schon breiter Platz greifen.

„Wichtig ist, dass die Krisenkommunikation sehr konkret auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, und das sind nun mal sehr unterschiedliche Bedürfnisse mit dem Wunsch nach Antworten auf sehr konkrete Fragen“, erläutert Domsich. Die politische Kommunikation solle dringend alle kämpferischen und kriegerischen Metaphern vermeiden.

Die richtigen Begriffe wählen

„Ein Krieg gegen Corona“ suggeriere Stärke, schaffe aber große Verunsicherung. Auch das Wort „neu“, rät Domsich, solle aus dem Lösungsvokabular verschwinden. Begriffe wie „neue Normalität“ hätten einen sehr negativen Beigeschmack und erinnerten an negative Erfahrungen von Normalisierungen, die nicht selten auf Kosten der Einzelnen gegangen seien.

Entscheidend ist für Domsich, dass alle getroffenen Maßnahmen das gesamte gesellschaftliche Spektrum im Blick haben müsse. „Die aufgezeigten Typen gehen quer durch alle Schichten, und alle haben im Moment sehr konkrete, praktische Bedürfnisse, dass sich Probleme lösen und in den Griff bekommen lassen“, so Domsich, der im Moment rät, dass Menschen vor allem pragmatische Lösungen vor Augen geführt bekommen wollten.