Arbeit in einem Forschungslabor an einem Impfstoff gegen Covid-19
AP/Jessica Hill
Medikamente gegen Covid-19

Weit entfernt vom Wundermittel

Gegen Covid-19 gibt es bisher kein Medikament. Bei der Behandlung der vom Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit kommen daher derzeit Arzneien aus der HIV-, Malaria- und Krebstherapie zum Einsatz. Wirklich breitenwirksam verwendbar sei aber keine dieser Substanzen, berichten Intensivmediziner aus der Praxis. Von einem Wundermittel ist man noch sehr weit entfernt.

International viel diskutiert wird Chloroquin, ein bereits älteres Malariamittel. Bei Laborversuchen und klinischen Studien in China deutete sich eine mögliche Wirksamkeit an. Ein endgültiger Beweis dafür konnte bisher freilich nicht erbracht werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) warnte bereits, Chloroquin und der verwandte Wirkstoff Hydroxychloroquin sollten nur bei klinischen Tests oder in Notfällen bei Personen mit Covid-19 eingesetzt werden.

Politiker wie US-Präsident Donald Trump und sein brasilianischer Amtskollege Jair Bolsonaro sprangen ungeachtet dessen auf den Zug auf und propagierten Chloroquin als Mittel zur Bekämpfung des Coronavirus. „Was gibt es zu verlieren? Nehmt es!“, erklärte Trump jüngst auf einer Pressekonferenz. US-Fachleute reagierten mit Kopfschütteln. Nicht nur wegen der noch nicht nachgewiesenen Wirksamkeit, sondern auch, weil das Medikament schwere Nebenwirkungen verursachen kann.

Chloroquin nur in Einzelfällen

In Österreich findet sich Chloroquin zwar in den Covid-19-Therapieleitlinien der intensivmedizinischen Gesellschaften. Aber eben nicht zum breiten Einsatz, sondern ausschließlich zur Behandlung in „argumentierbaren Einzelfällen“, sagte der Leiter der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin​ am Universitätsklinikum St. Pölten, Christoph Hörmann, gegenüber ORF.at. Dieselbe Empfehlung sei auch von deutschen Fachgesellschaften herausgegeben worden.

Pfleger neben einem Intensivpflegebett in einem Krankenhaus
APA/Helmut Fohringer
Über 260 Personen befinden sich in Österreich derzeit wegen Covid-19 auf der Intensivstation

Bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht ein besonders hohes Risiko, dass eine CoV-Infektion einen schweren oder sogar tödlichen Verlauf nimmt. Chloroquin wirkt sich ebenfalls negativ auf Herz und Kreislauf aus. „Es stellt sich die Frage, ob man mit einer Therapie, die eigentlich nicht wirkt, nicht viel mehr Schaden zufügt, wenn man dem Herz zusätzliche Probleme bereitet“, so Hörmann, der auch Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) ist.

Rund um den Globus wird derzeit auch der Einsatz weiterer bereits auf dem Markt erhältlicher Virostatika erprobt. Sie sollen die Vermehrung des Coronavirus hemmen und seine Ausbreitung im Körper verhindern. Dazu zählen die in der HIV-Therapie eingesetzten Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir, das Anti-Grippe-Mittel Favipiravir sowie Remdesivir, das ursprünglich für die Bekämpfung des Ebolavirus entwickelt wurde. Ein Durchbruch bei der Behandlung von Covid-19 konnte bisher allerdings mit keiner der Substanzen erzielt werden. Auch diese Mittel sollten nur in Studien oder in „Einzelfällen“, in denen die behandelnden Ärzte Nutzen und Risiken genau abgewogen haben, Verwendung finden, sagte Hörmann.

Bakterielle Superinfektionen

Mitte März sorgte das Uniklinikum Salzburg mit der Ankündigung, ein Medikament aus der Krebstherapie zur Behandlung schwerer Covid-19-Fälle einzusetzen, für Schlagzeilen. Das Präparat heißt Tocilizumab und wird auch in den Covid-19-Behandlungsleitlinien der österreichischen Intensivmediziner genannt. Hintergrund: Das Coronavirus löst eine Entzündung der Lungenbläschen aus. Dabei werden entzündungsfördernde Stoffe, Zytokine genannt, freigesetzt, die zu Organversagen führen können. „Das Medikament bremst diesen Zytokinsturm“, sagte Hörmann.

Allerdings hat die Arznei stark dämpfende Wirkung auf das Immunsystem. Für Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zu Covid-19 eine bakterielle Lungenentzündung haben, wäre die Gabe dieses Medikaments „absolut tödlich“, so Hörmann. Solche bakteriellen Superinfekte ließen sich bei der Mehrzahl seiner Patienten beobachten, so der Intensivmediziner. Tocilizumab sei ein „gerechtfertigtes Medikament in Einzelfällen, wo man ganz sicher ist, dass keine bakterielle Superinfektion vorliegt und der Zytokinsturm das Hauptproblem des Patienten ist“, sagte Hörmann, „aber das sind Einzelanwendungen, die vom behandelnden Team vor Ort sehr sorgfältig abgeschätzt werden müssen“.

Bakterielle Superinfekte lassen sich mit Antibiotika behandeln. Das Coronavirus muss der Körper dagegen selbst besiegen. „Was wir im Augenblick auf der Intensivstation machen, ist ausschließlich symptomatische Therapie gegen das Organversagen“, sagte Hörmann. Dazu gehörten die Beatmung von Patienten, die Unterstützung des Kreislaufs durch Medikamente und die Blutwäsche, da wie bei anderen Infektionen auch Covid-19 rasch die Nierenfunktion beeinträchtige.

Suche nach Zusammenhängen

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums befanden sich Stand Mittwoch österreichweit 267 Personen wegen Covid-19 auf der Intensivstation – ein neuer Höchststand. Die ÖGARI zog vor Kurzem eine Zwischenbilanz über die bei der Behandlung gemachten Erfahrungen. Anders als etwa in Italien sei es hierzulande möglich, Intensivpatienten „individualisiert“ zu behandeln, so Klaus Markstaller, Arzt am Wiener AKH und Präsident der ÖGARI. Das System der Intensivstationen in Österreich sei „belastet, aber nicht überlastet“.

Typische Vorerkrankungen beziehungsweise Risikofaktoren, die bei schweren Krankheitsverläufen zu beobachten sind, seien neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Diabetes mellitus, Adipositas, COPD und Asthma, so Markstaller in einer Aussendung. Die genauen Zusammenhänge zwischen diesen chronischen Leiden und dem Verlauf der Covid-19-Erkrankung liegen noch im Dunklen.

Zahl der Intensivpatienten in Österreich gestiegen

Während die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden, seit einigen Tagen in etwa stabil ist, steigt die Zahl der SARS-CoV-2-positiven Intensivpatienten laut einer ersten Bilanz der österreichischen Intensivmediziner.

Einfluss scheint auch das Alter von Patientinnen und Patienten zu haben. Allerdings sei es keineswegs so, dass nur hochbetagte Covid-19-Patienten intensivmedizinisch betreut werden, hieß es seitens der ÖGARI. Der Altersschnitt liege in vielen Fällen bei rund 70 Jahren, es gebe aber auch jüngere Patientinnen und Patienten unter 50. Zudem hat sich gezeigt, dass Covid-19 bei Männern wesentlich öfter einen schweren Verlauf nimmt als bei Frauen. Der Überhang sei wirklich deutlich, sagte Hörmann gegenüber ORF.at. Wissenschaftlich erklären lässt er sich bis dato nicht.

Hoffen auf Wirkstoff aus Wien

Ein Wirkstoff, der laut Hörmann Hoffnung macht, ist APN01. Entwickelt hat ihn das in Wien ansässige Biotechnologieunternehmen Apeiron Biologics des Genetikers Josef Penninger. Die Substanz soll verhindern, dass das Virus in die Zelle eindringt, und basiert auf Forschungen Penningers zur ersten SARS-Pandemie Anfang der 2000er Jahre. Auch sie wurde damals von einem Coronavirus ausgelöst. Wie das Unternehmen in der Vorwoche bekanntgab, sollen 200 Patientinnen und Patienten in Österreich, Deutschland und Dänemark den Wirkstoff im Rahmen einer Studie erhalten – mehr dazu in science.ORF.at.