Hände halten ein Smartphone mit der App des Streamingdienstes Quibi
APA/AFP/Robyn Beck
Quibi

Serien mit Stars in ganz neuem Stil

Mitten während der Coronavirus-Krise wird – nicht ganz unpassend – ein neuer Streaming-Kanal eröffnet, der klotzt und nicht kleckert. Große Studios wie TimeWarner sind an Bord, und auch an großen Namen mangelt es nicht, etwa Steven Spielberg und Christoph Waltz. Der Witz an Quibi: Die Folgen einer Serie sind maximal zehn Minuten lang und werden nur fürs Smartphone programmiert.

Gestartet hat Quibi am Montag in den USA, Großbritannien und Australien und steht bisher nur auf Englisch zur Verfügung. Die App herunterladen und legal streamen kann man aber auch von Kontinentaleuropa aus. Ob dann auch ein deutschsprachiger Dienst folgt – und falls ja, wann – ist offen und wird wohl vom Erfolg des ambitionierten Konzepts abhängen.

Und ambitioniert ist das Konzept tatsächlich, gespart wurde nicht. Dem Vernehmen nach wurden knapp zwei Milliarden Dollar von Investoren wie NBC Universal, TimeWarner, Sony, Disney und Viacom in das Projekt gesteckt. Derzeit sind knapp 50 Serien online, bis Ende des Jahres sollen es ganze 175 werden. Selbst wenn die einzelnen Folgen nicht länger als zehn Minuten dauern, ist das viel.

Häppchen für zwischendurch

„Quibi“ steht für „Quick Bytes“. Die Unterhaltungsserien kann man sich ein wenig vorstellen wie Spielfilme, die in Stückchen von sieben bis zehn Minuten zerschnipselt werden. Im Prinzip wird hier kuratiert und bearbeitet, was Userinnen und User schon seit Jahren machen: Filme häppchenweise anschauen. Ein Kapitel in der U-Bahn, eines während der Zigarettenpause, eines vor dem Schlafengehen im Bett. Auch Videos in den Sozialen Netzwerken sind meist recht kurz.

Screenshot der Website des Streamingdienstes Quibi
quibi.com
Die ersten drei Monate lang ist Quibi gratis – danach kostet es knapp neun Euro im Monat

Quibi passt sich nun von vornherein der generell sinkenden Aufmerksamkeitsspanne und den Lebensgewohnheiten der Menschen an, die bereits ein „digitales Leben“ führen – als Zielgruppe wird besonders die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen angesprochen, eine Gruppe, die mit klassischem Medienangebot nur schwer erreicht werden kann. Deshalb werden neben Serien auch Kurzdokus, Livestyle-Tipps und andere Formate ausprobiert.

Riesiges Staraufgebot

Ein Monatsabo kostet in Europa knapp neun Euro – ein nur halb so teures Angebot mit Werbeeinschaltungen gibt es hier bis jetzt nicht. Der Download über Dienste wie „Google Play“ ist einfach, die ersten drei Monate sind gratis – aber Achtung, danach wird automatisch abgebucht. Von den großen Namen gibt es etwa Spielbergs Serie „After dark“, eine Realityshow von Idris Elba mit Stunts. In verschiedenen Serien spielen Liam Hemsworth, Christoph Waltz, Reese Witherspoon, Jennifer Lopez und Kiefer Sutherland mit.

Sophie Turner spielt die Hauptrolle in „Survive“, wobei man das Prinzip gleich mitbekommt: Direkter Einstieg – und damit sich trotzdem jeder auskennt, werden Sachverhalte und Personen ganz einfach erklärt, anstatt sie nach und nach einzuführen. In der ersten Folge mit sieben Minuten werden eine ganze Handvoll junger Psychiatriepatienten vorgestellt, die Vorgeschichte der Hauptfigur erzählt (samt traumatischem Erlebnis und Familienhistorie) – und als Cliffhanger zur zweiten Folge ein fulminanter Plot-Twist hingelegt.

Die Suche nach der Begeisterung

Der „Tagesspiegel“ hat einen der Produzenten interviewt. Uwe Urbas hatte bereits für die ZDF ein Kurzformat entwickelt, die Serie „Familie Braun“, die mit einem Emmy und dem deutschen Comedypreis für die „Beste Innovation“ ausgezeichnet wurde. Zu Quibi sagte er: „Die großen Namen helfen natürlich, um Aufmerksamkeit zu wecken, nichtsdestotrotz müssen die Serien begeistern, damit die Zuschauer dranbleiben.“

Simpler ja, dümmer nein, sagte Urbas: „Bei ‚Familie Braun‘ hatten wir bereits in der ersten Szene eine klare Prämisse gesetzt: kein Vorlauf.“ Zwei Nazis bekommen in der Serie ein schwarzes Kind. Der „Tagesspiegel“ sieht Ähnlichkeiten zu Quibi: „Bei ‚The Fugitive‘ wird ein vermeintlicher Verbrecher gejagt. Bei ‚Survive‘ müssen zwei Überlebende eines Flugzeugabsturzes ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Bei ‚The Stranger‘ wird eine Frau von einem Psychopathen verfolgt. Alles Handlungen, die einfach genug sind, um sie zwischendurch nachvollziehen zu können.“

Ähnliches Konzept scheiterte bereits

Unumstritten ist die Idee eines Streamingdienstes ausschließlich fürs Smartphone aber keineswegs. US-Medien wie „Forbes“, „Los Angeles Times“, „Vulture“ und Digiday wurden im Vorfeld nicht müde, auf den gescheiterten Streamingdienst „Go90“ des Mobilfunkproviders Verizon zu verweisen. „Go90“ vertraute ebenso rein auf Videos für den kleinen Bildschirm – wurde aber nach drei Jahren und Kosten von über einer Milliarde Dollar eingestellt.

Das „Forbes“-Magazin stellte im Vorfeld auch die grundlegende Frage: „Interessieren sich Millennials überhaupt für A-Promis wie Guillermo Del Toro und Peter Farrelly?“, so Forbes. „Oder interessieren sie sich am meisten für die individuellen Serien und Inhalte?“ Als problematisch wird zudem gesehen, dass die Serien wegen der unterschiedlichen Hochkant- und Querversionen voneinander abweichen und Zuseher dadurch irritieren.

Konsum für die „Generation ADHS“?

Die Zukunft wird weisen, ob Quibi ein Experiment bleibt, das bald in Vergessenheit gerät, oder ob hier tatsächlich eine Entwicklung hin zu „schneller, kürzer, effizienter“ im Gang ist. Kulturpessimisten rufen jedenfalls das Ende der Welt aus, weil hier nur noch „Minikonsumhappen für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“ produziert werden. Das wird auf die konkreten Inhalte ankommen. „Survive“, als erstes Beispiel, bleibt jedenfalls nicht hinter der durchschnittlichen Netflix-Qualität zurück.