Ein Paar küsst sich zuhause
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Coronavirus

Liebe in Zeiten der Krise

Die Coronavirus-Pandemie hat unser Liebesleben in nur wenigen Wochen verändert: Viele Paare kleben aneinander, andere können sich entfernungsbedingt nicht sehen, Singles bleiben allein, Hochzeiten werden verschoben und Trennungen zum Teil noch komplizierter. Fest steht: Egal ob zu zweit oder solo – die Krise wird zur Belastungsprobe. Sie berge aber auch eine Chance, wie der Psychotherapeut Roland Bösel zu ORF.at sagt.

Millionen von Menschen müssen aufgrund der Krise momentan daheim bleiben. Abstandhalten lautet die Devise. Für viele Familien und Paare bedeuten die Ausgangsbeschränkungen aber vor allem eines – Nähe. Und das 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wenn nebenher auch noch Homeoffice und die Kinderbetreuung geschaukelt werden sollen, sind Konflikte fast programmiert.

„Dort, wo Spannungen bisher schon unter den Teppich gekehrt wurden, wird die Anspannung noch größer. Dort, wo diese eher ausagiert wurden, sind womöglich die Konflikte größer, weil man sich nicht mehr aus dem Weg gehen kann“, so Bösel, der mit seiner Ehefrau Sabine die Praxis „bösel’s beziehungsweise glücklich“ leitet. Viele Paare bringe die Situation in Schwierigkeiten. In China zeigte sich mit Abflachen der Infektionsrate etwa, dass die Scheidungsrate in die Höhe schnellte. Im angloamerikanischen Raum wurde bereits der Begriff „Covidivorce“ geschaffen – also Covid-19-Scheidungen.

Zwang zur Kommunikation als Chance

Für Beziehungen könne die Coronavirus-Krise jedoch auch eine Chance sein, „weil man die Beziehung quasi auch unter Quarantäne stellt, indem man sich gemeinsam in Quarantäne befindet“, erklärt der Therapeut. Der „Zwang“ zur Kommunikation aufgrund der aktuellen Lage habe Bösels Erfahrung nach bereits einige Beziehungen gerettet. Wie sich die Ausgangsbeschränkungen und physische Distanzierung auf psychosoziale Beziehungen auswirken, untersucht indes eine Studie der Sigmund-Freud-Universität.

Hochzeitsschmuck in einer Kirche
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Hochzeiten dürfen aktuell nur im kleinsten Kreis stattfinden

Bereits eine Studie über die Folgen des Hurrikans „Hugo“ in den USA 1989 zeigte, dass sich ein Jahr nach der Katastrophe zwar viele Paare scheiden ließen – doch auch Hochzeiten und Geburtsraten stiegen sprunghaft an. Geheiratet darf hierzulande nach wie vor werden – allerdings vorerst nur im engsten Kreis. Letztlich liegt die Entscheidung, ob Trauungen durchgeführt werden, aber bei der jeweiligen Gemeinde. Allein in der Stadt Salzburg haben viele Paare wegen der Pandemie bereits ihren Hochzeitstermin verschoben – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Konflikte mit Dankbarkeit bewältigen

Um als Paar also gestärkt aus der Krise hervorzugehen, stehen Bösel zufolge Reflexion und Kommunikation an oberster Stelle: „Das Fatale wäre jetzt, weiterhin alles runterzuschlucken und nicht zu reden.“ Bösel rät dazu, sich für eine halbe Stunde oder Stunde zusammenzusetzen und Fragen durchzugehen wie: Wie ist der Stand unserer Beziehung? Was läuft gerade gut – was eher nicht? Das könne auch so ablaufen, dass einmal der eine fünf Minuten sprechen darf, danach wiederholt der andere ausschließlich das, was er gehört hat. Daraufhin ist für fünf Minuten ebendieser am Zug – die Übung wird wiederholt.

Eine weitere Möglichkeit, um die Beziehung zu stärken, wäre die Dankbarkeitsübung, so der Psychotherapeut. Diese funktioniert so, dass man zunächst sagt, wofür man sich selbst dankbar ist, danach spricht man aus, wofür man dem Partner dankbar ist. Zuletzt wird ausgesprochen, wofür man dem größeren Ganzen dankbar ist. „Wir fokussieren uns auf das, was gut läuft, und dann können wir das, was weniger gut läuft, auch leichter bewältigen“, so der Experte. Noch eine Option wäre, einmal so zu agieren, als ob man ein glückliches Paar wäre, erklärt er am Beispiel eines Pärchens, das auf diese Weise zueinander gefunden habe.

Auch Sex kann helfen: Ob allein oder mit mehreren, „beim Sex und besonders beim Orgasmus werden etliche positive Hormone ausgeschüttet. Das gibt den Leuten ein selbstbewusstes Gefühl und beruhigt, und das ist besonders jetzt wichtig“, sagt die deutsche Sexualtherapeutin Ulrika Vogt. Menschen hätten nun mehr Zeit und könnten die unter anderem dafür nutzen, ihre eigene Sexualität zu erweitern, „und vielleicht auch die Spielzeugsammlung“.

Grenzenlose Liebe

Grundsätzlich gilt ein Gros der Ratschläge auch für Paare in Fernbeziehungen, die einander momentan aufgrund von Reisebeschränkungen nicht besuchen können. Innerhalb Österreichs ist der Besuch des Lebenspartners laut Gesundheitsministerium jedenfalls noch erlaubt, da dieser zu den „triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen“ zählt.

Abgesehen von den für die meisten Paare in Fernbeziehungen ohnehin selbstverständlich gewordenen Videochats könne man einander auch E-Mails schreiben, wie Bösel meint. Konkret rät er etwa, gedanklich in die Zukunft zu gehen und aus der Zukunftsperspektive auf einen Konflikt in der Gegenwart zurückschauen, der bis dahin längst überwunden werden konnte. Das solle man dann niederschreiben und dem Partner schicken, rät der Experte.

Richtig trennen

Allerdings: Freilich kann nicht jede Beziehung mit ausreichend Kommunikation gerettet werden – das Thema Trennung scheint vor allem für jene, die in einem Haushalt leben, angesichts der Krise besonders problematisch. Was soll man also tun, wenn die Konflikte nicht mehr bewältigbar scheinen? „Abschiedsgespräche führen“, so die Antwort des Paartherapeuten. Denn die Seele brauche Zeit, um von der Beziehung Abschied zu nehmen.

„Wir haben eine Formel entdeckt, die besagt, dass pro Beziehungsjahr vier bis sechs Wochen Klärungs- und Abschiedszeit notwendig sind.“ Im Zuge eines Abschiedsgesprächs soll man mit dem anderen gemeinsam das Schöne sowie das weniger Schöne an der Beziehung benennen und sich davon verabschieden. Auch Zukunftsvisionen sollen verabschiedet werden. So eine Auseinandersetzung sei auch wichtig, um gewisse Konflikte nicht in neue Beziehungen mitzunehmen, so Bösel. Auch hier könne die Dankbarkeitsübung zur Anwendung kommen.

Die Präsidentin der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, Birgitt Breinbauer, rät indes allen, die vor einer strittigen Scheidung stehen, nicht auszuziehen. Der Anspruch auf Unterhalt könnte verloren gehen. Sämtliche Scheidungsverfahren stehen angesichts der Krise derzeit still oder werden gar nicht erst eröffnet – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

„Singles haben es wirklich schwer“

Mit einer grundlegend anderen Ausgangslage sehen sich aktuell natürlich Singles konfrontiert. Denn in Zeiten sozialer Distanzierung empfinden viele vor allem zu große Einsamkeit anstatt zu großer Nähe. Hält man sich an die Appelle von Regierungen und Virologen, dann fallen Dates jedenfalls aus. „Singles haben es wirklich schwer“, sagt der Therapeut. Denn: „Im Gehirn gibt es diesen Prozess, den man in der Fachsprache mentalisieren nennt, und das entwickelt man eben zu zweit.“

Mentalisierung ist ein Fachbegriff der Psychologie und Psychoanalyse. Er steht für die Fähigkeit, „das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren“. Dabei geht es quasi darum, am Verhalten ablesen zu können, was in der anderen Person vorgeht. Das Problem für viele Alleinstehende sei es derzeit aber, keinen Response mehr zu bekommen, so der Buchautor („Leih mir dein Ohr und ich schenk dir mein Herz“).

Goldene Regel: Reden

Auch für Singles sei das Wichtigste nun zu „reden, reden, reden“, sagt Bösel, sei es mit Freunden oder Familie. „Es ist für die Alleinstehenden auch wichtig, dass sie sich eine Struktur machen und sich nicht treiben lassen, dass sie sich Tages- und Wochenziele setzen, Sport machen – im Freien oder aber Yoga- oder Pilatesstunden via Videotelefonie –, dass sie erfinderisch werden“, sagt Bösel gegenüber ORF.at.

Mann mit einem Smartphone auf der Couch
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Betreiber von Dating-Apps berichten von einer steigenden Nutzung seit dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen

In puncto Pflege der mentalen Gesundheit lauten auch die Ratschläge des größten Psychologenverbands der Welt, die American Psychological Association (APA), sehr ähnlich: Für den Alltag empfiehlt er etwa, sich nur über verlässliche Nachrichtenquellen über die Coronavirus-Krise zu informieren. Ebenso wichtig ist diesem zufolge die – bereits erwähnte – Schaffung einer Routine, Kommunikation über digitale Kanäle, genügend Schlaf sowie ausgewogene Ernährung. Und: das Akzeptieren der aktuellen Situation.

Neue Funktion für Datingplattformen

Gänzlich auf Dating zu verzichten ist jedoch auch nicht notwendig – zumindest nicht, was die digitalen Sphären betrifft: Ob zum Zeitvertreib oder zur Ablenkung – Betreiber von Dating-Apps wie Tinder oder Bumble berichten von einer steigenden Nutzung seit dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen in Österreich. Laut Tinder beobachtet man gerade jetzt längere Konversationen. Die Krise könnte eine Chance für den schnelllebigen Onlinedatingmarkt sein, heißt es – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Eines gilt es für Singles wie Paare zurzeit jedenfalls gleichermaßen zu bewahren – und zwar Durchhaltevermögen. Denn wann eine Rückkehr zur alten Normalität vor Coronavirus-Krise und Appellen zu sozialer Distanzierung möglich sein wird, steht aktuell noch in den Sternen.