Jude Law im Film Contagion, 2011
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Viren und Zombies

Serien und Filme prägen Blick auf Pandemie

Während die Coronavirus-Pandemie in nahezu allen Ländern der Welt angekommen ist, reagieren viele Menschen höchst verunsichert auf die Krise. Doch gab es wohl noch nie eine Pandemie oder einen weltweiten Ausnahmezustand, bei dem so viele Menschen eine Mischung aus Vorwissen und handlungsanleitenden Fiktionen darüber haben. Filme und Serien konzentrierten sich gerade in den vergangenen Jahren fast manisch auf die Beinahe-Apokalypse – und prägen damit den Blick auf die Krise.

Welche Vorstellungen haben wir von endzeitlich anmutenden Krisen und „Worst Case“-Szenarien? Welche Bilder in den Köpfen tauchen auf, wenn Regierungen drastische Maßnahmen setzen? Vor allem die westliche Kultur, aber nicht nur diese, wurde in den vergangenen Jahren von fiktionalen Entwürfen zu katastrophalen Zukunftsvorstellungen maßgeblich geprägt.

In der Vorstellung der Zukunft hat sich kulturell eine Wende von der positiven Technikutopie zu Dystopien vollzogen. Man beschäftigt sich zunehmend mit katastrophalen Zukunftsvorstellungen, wie der Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker Johannes Domsich im Interview mit ORF.at sagt: „Unsere Gesellschaft hat sich von der Science-Fiction verabschiedet, wie man ja auf Netflix und Amazon Prime sieht. Geblieben sind uns Dystopien jeglicher Art. Wir haben instinktiv im Kopf, dass so etwas passieren könnte.“

Die Rückkehr der Zombies

Das wohl beliebteste Motiv der Endzeitvision hat schon seit rund 20 Jahren wieder Hochkonjunktur: das Zombiethema. Der Genrepionier George A. Romero drehte Remakes und neue Filme, und der Erfolg der britischen Produktion „28 Days Later“ (2003) von Danny Boyle und „World War Z“ (2013) mit Brad Pitt zeigten, dass man da wohl gesellschaftlich einen Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Im Fernsehen wurde die Survivalserie „The Walking Dead“ ab 2010 genreprägend, bei der Deputy Rick Grimes sich mitten in einer Zombieapokalypse wiederfindet. Um zu überleben, schart er ein kleines Team von Verbündeten um sich, die gemeinsam gegen die Untoten kämpfen.

Einfache Regeln für das Überleben

Die Serie liefert den Zusehern Muster im Umgang mit der krisenhaften Gegenwart: Solidarität im engsten Kreis ist eine Strategie, um schwere Zeiten durchzustehen. Aber auch: größtmögliches Misstrauen gegenüber den anderen, die sofort zum Feind werden können. „The Walking Dead“ liefert in seiner völlig unironischen Ernsthaftigkeit und Brutalität jede Menge vermeintlich authentische Verhaltensmuster, die wohl durchaus als Filter auf die Wahrnehmung gerade der Besorgten und Verängstigen heute wirken können: Wer schwach und wankelmütig ist, verliert. Wer vorschnell vertraut, verliert. Wer schwach ist, verliert. „The Walking Dead“ verhandelt das Zurückgeworfensein auf die grundlegendsten menschlichen Instinkte und deren Verhältnis zum Wunsch nach sozialer Ordnung einer zivilisierter Gesellschaft – mit deutlicher Betonung auf Ersterem.

Metaebene der Zombieapokalypse-Literacy

Gleichzeitig hat sich auch, gerade im Horror und auch im Zombiegenre, schnell eine Art der Reflexion und Metaebene etabliert, die solche Denkmuster thematisiert oder aufs Korn nimmt: Die BBC-Miniserie „In the Flesh“ thematisierte 2013 höchst elegant die Folgen für die Gesellschaft und die Politik in der Zeit nach einer Zombiekrise. Und gerade die Mischungen aus Teenie-Thema und Zombies thematisiert selbstreflexiv so etwas wie Zombieapokalypse-Literacy, also wie junge Menschen aus den Medien wissen, wie man mit solchen Situationen umgeht.

Der Film „Zombieland“ lieferte 2009 ein amüsantes Beispiel, ebenso wie die vielschichtige und im Vorjahr zu Unrecht gefloppte Nextflix-Serie „Daybreak“. Darin überleben nach einer Katastrophe (fast) nur Jugendliche. Zwischen „Mad Max“-Anleihen, Highschool-Drama und Teenie-Komödie bleibt dort sogar noch genug Platz für ironische Medien- und Gesellschaftskritik. Und nicht zuletzt steuerte auch Jim Jarmusch mit „The Dead Don’t Die“ (2019) eine lakonische, ironische und selbstreflexive Form der Zombiethemas bei.

Böse Technik, finstere Zukunft

Zum Prototyp für dystopische Gesellschaftskritik avancierte in den vergangenen Jahren die britische Serie „Black Mirror“, in der jeweils in Einzelfolgen erzählt die drastischen Folgen der Technologie in der Gesellschaft dem Publikum vor Augen geführt werden. Dabei erfüllen Dystopien prinzipiell eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Sie geben uns die Möglichkeit, Szenarien auszuimaginieren, verschiedene Ausgänge von gegenwärtigen Situationen durchzuspielen. Gleichzeitig prägen sie aber auch die Vorstellungen von der Zukunft: Hält man die dystopischen Vorstellungen für realistisch? Muss man sich vor der Zukunft fürchten? Und welche Handlungsmöglichkeiten bleiben dann, um vielleicht doch noch positiv in die Zukunft blicken zu können?

Ist die Wahrheit irgendwo da draußen?

Filme und Serien prägten aber auch viel konkretere kollektive Wahrnehmungen: Spätestens seit „Akte X“ befeuern Kino und TV Verschwörungstheorien, und diese wiederum schlagen sich umgekehrt vermehrt in Drehbüchern nieder. Finstere Kräfte, die im Hintergrund alle Fäden ziehen, Regierung, die ihre Intentionen verschweigen und Medien, die das alles absichtlich vertuschen, während im Hintergrund der Katastrophe der „wahre“ Plot abläuft: Das alles hat man nicht nur schon auf der Couch in Serie gesehen, genau das ist auch in durchgeknallten Mutmaßungen auf diversen Kanälen über die Coronavirus-Krise zu lesen.

Auch wenn die meisten Menschen Fiktion und Realität durchaus unterscheiden können, birgt die fast schon obsessive Beschäftigung mit apokalyptischen Szenarien psychologische Gefahren, so Domsich: „Wenn die Leute jetzt schon auf Netflix 20 dystopische Serien gesehen haben, darf man sich nicht wundern, dass die Leute ausflippen. Wir haben uns das ‚Worst Case‘-Szenario in einer gewissen Hinsicht Tag ein, Tag aus vorgespielt.“

Symptom für politisches Versagen?

Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek sieht in unserer Obsession mit apokalyptischen Entwürfen eine Ersatzhandlung für politische Vorbereitung auf den Ernstfall. Die Bedrohung einer Pandemie war abzusehen, wie er im März in der „Welt“ schrieb: „In den letzten paar Jahren, nach den Epidemien SARS und Ebola, wurde uns immer wieder gesagt, dass eine neue, viel stärkere Epidemie nur eine Frage der Zeit sei, dass die Frage nicht lautet, OB, sondern WANN sie auftreten wird.“

Wir hätten die Diskussion gewissermaßen von der politischen Bühne auf das Abstellgleis der apokalyptischen Fiktion verschoben, argumentiert Zizek: „Obwohl wir rational von der Wahrheit dieser schrecklichen Vorhersagen überzeugt waren, nahmen wir sie irgendwie nicht ernst und zögerten, zu handeln und ernsthafte Vorbereitungen zu treffen – der einzige Platz, an dem wir uns mit ihnen beschäftigten, waren apokalyptische Filme wie ‚Contagion‘.“

„Contagion“ beängstigend real

Steven Sonderberghs „Contagion“ (2011) avanciert auf Streaminganbietern gerade zum Hit. Teilweise von der SARS-Epidemie 2002 inspiriert, zeigt er ein Szenario, das der heutigen Realität stark ähnelt. Nach einer Geschäftsreise nach Asien verstirbt die „Patientin null“ Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) an einem neuartigen Virus. Bald breitet sich dieses epidemisch aus und führt zu verheerenden Zuständen, die das Gemeinwesen der USA bedrohen.

Anders als bei anderen Klassikern des „Viruskatastrophenfilms“ wie Wolfgang Petersens „Outbreak“ (1995) und Terry Gilliams „12 Monkeys“ (1995) wird das Virus in „Contagion“ zudem nicht als biologische Waffe verwendet, sondern wird von einer Fledermaus auf ein Schwein und weiter auf den Menschen übertragen.

Wissenschaftler als Helden, zweifelhafte Militärs

„Outbreak“ wiederum vereint zwei Motive, die sich nicht nur in etlichen Katastrophenfilme wiederholen, sondern die uns auch in der derzeitigen realen Krise begegnen. Zum Helden avanciert ausgerechnet der Wissenschaftler (dargestellt durch Dustin Hoffman), der ein bisschen nerdige Denker, der kaum dem klassischen Klischee des starken, männlichen Retters im Film entspricht.

Dem gegenübergestellt wurde das eher dumpfe Vorgehen des Militärs, das Probleme löst, wie es das gelernt hat: mit Überwachung, Gewehren und Bomben. Neben „Outbreak“ dienen unter anderen auch „28 Days Later“ und „Children of Men“ (2006) als Beispiele. Wenn also dieser Tage Militärfahrzeuge in einigen Krisenzonen plötzlich auf den Straßen auftauchen, dann erzeugt das nicht nur deswegen Unwohlsein, weil es ungewohnt ist und die Dramatik der Lage weit zugespitzter erscheint, sondern auch, weil dem Militär aus Filmen und Serien mitunter der Ruf vorauseilt, eher Teil des Problems als Teil der Lösung zu sein.

Buchcover Eva Horn: „Zukunft als Katastraphe“
Verlag S. Fischer

Ambivalent gegenüber der Katastrophe?

Sooft wir in Filmen, Serien und Romanen bedrohliche Szenarien imaginieren, so oft findet sich darin nicht nur Schrecken, sondern auch eine seltsame Idylle. Wenn Will Smith etwa zum Beginn von „I am Legend“ (2007) als Überlebender einer Viruspandemie allein durch Manhattan fährt, dann wird uns darin auch die Schönheit unser Welt vorgeführt – wenn unsere alltägliche Hektik krisenbedingt wegfällt. Es sind Bilder, die jenen ähnlich sind, die dieser Tage von der plötzlich klaren Lagune von Venedig auf Sozialen Netzwerken geteilt werden.

Die in Wien lehrende Literaturwissenschaftlerin Eva Horn hat in ihrem Buch „Zukunft als Katastrophe“ untersucht, wie Zukunft seit dem frühen 19. Jahrhundert imaginiert wird. Darin attestiert sie unserer Gegenwart „eine seltsame Ambivalenz“ gegenüber Katastrophen. Diese seien „gleichermaßen Wunschtraum und Angstraum“. Horn bringt auf eine griffige Formel, wie Zukunftsimaginationen funktionieren: Fiktionen seien Modelle, in denen „Verbindungen von Wissen und Nichtwissen zu einem möglichen Universum ‚hochgerechnet‘, extrapoliert“ werden.

Bleibt zu hoffen, dass wir diese Imaginationen bald wieder nur dafür nutzen, um zu erraten, was in der nächsten Folge dieser trashigen dänischen Apokalypseserie mit grottenschlechter deutscher Synchronisation passiert, statt dass uns solche Bilder beim nächsten vermummten Einkauf im Supermarkt in den Sinn kommen.