Für die Analyse hat sich das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) angesehen, wie stark die Länder im Vergleich zueinander von der Krise betroffen sind. Basis der Einschätzung ist die Beurteilung einzelner Wirtschaftsbereiche. In Summe hätten aktuell Ober- und Niederösterreich mit knapp 24 und 26 Prozent den niedrigsten Anteil an Erwerbstätigen in Branchen, die stark oder sehr stark von der Krise betroffen sind, lautet ein Teilergebnis. Die Einschätzung erfolgt auf einer fünfstelligen Skala.
„Spiegelbildlich“, hieß es im Donnerstag in einer Kurzzusammenfassung der Studie, wiesen Salzburg und Tirol mit über 33 bzw. 34 Prozent „den mit Abstand höchsten Anteil an Erwerbstätigen in Branchen auf, die durch die derzeitige Covid-19-Krise ökonomisch stark bis sehr stark betroffen sind“. Ausschlaggebend für die Reihung ist, wie stark einzelne Branchen wie Industrie, Einzelhandel oder Tourismus unter der Krise leiden und wie diese regional vertreten sind – deshalb eben Salzburg und Tirol mit ihrem großen und stark getroffenen Tourismussektor an der Spitze. Die Ergebnisse finden sich auch in einer interaktiven Karte.
Prognosen stark gekürzt
Die beiden Bundesländer hätten auch insgesamt den mit Abstand höchsten Anteil an Erwerbstätigen in Branchen, die durch die derzeitige Krise ökonomisch stark bis sehr stark betroffen seien, erläuterte Julia Bachtrögler, Ökonomin am WIFO und Koautorin der Studie unter dem Titel „Regionale Unterschiede der ökonomischen Betroffenheit von der aktuellen COVID-19-Krise in Österreich“ gegenüber der APA.
Das WIFO hatte in seiner letzten Einschätzung zur Konjunkturentwicklung für Österreich für das laufende Jahr zuletzt einen Rückgang der Gesamtwirtschaftsleistung von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) prognostiziert, beim Institut für Höhere Studien (IHS) waren es 2,0 Prozent, ebenfalls eine Rezession. Beide Institute gingen in ihren Einschätzungen Ende März von einem Haushaltsdefizit von 5,0 bzw. 5,5 Prozent und einer Arbeitslosenrate von 8,4 Prozent auf Jahressicht aus.
Auch indirekte Effekte
Das WIFO hat nun eine fünfstellige Skala zur Darstellung der „Betroffenheit“ einzelner Wirtschaftsbereiche entwickelt, sie reicht von „nicht betroffen“ (etwa öffentliche Verwaltung) über „moderat“, „erheblich“ und „stark“ bis „sehr stark betroffen“. Auf Stufe fünf stehen Branchengruppen, die derzeit „nicht oder nur sehr eingeschränkt aktiv sein können und für die das spätere Nachholen des derzeit entgangenen Geschäftes (nicht) wahrscheinlich ist“, schreibt das WIFO – etwa der Tourismus.
Die „Aufschlüsselung“ des Ende März gezeichneten Konjunkturszenarios nach Sektoren zeige, dass für Hotellerie und Gastronomie mitsamt Freizeitwirtschaft der größte Rückgang der Wertschöpfung zu erwarten sei, heißt es in der aktuellen Studie. Aber auch Branchen, die von den Maßnahmen nicht „direkt angesprochen“ seien, etwa der Bau, würde etwa durch unterbrochene Lieferketten „spürbar Einbußen gegenüber dem Vorjahr hinnehmen müssen“.
Imageschaden für Tirol
Eine Seitentangente ist im Fall Tirols ein – zumindest vorübergehender – Imageschaden, entstanden durch die Krisenkommunikation in der Causa Ischgl. In Deutschland, dem Land, aus dem immer noch die meisten Gäste nach Österreich kommen, schlug das Thema in den Medien gehörig Wellen.
Gerade in Zielgebieten in der Nähe, wie es Tirol für die Deutschen ist, seien Negativeffekte aus Krisen nicht sehr dauerhaft, sagte kürzlich der deutsche Tourismusforscher Jürgen Schmude gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ („TT“). Viel werde aber davon abhängen, „wie die Destination die Krise kommuniziert“, meint Schmude, Professor für Tourismuswirtschaft, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Tirol müsse mit offenen Karten spielen und glaubhaft machen, dass die Tourismusdestination wieder sicher ist. Aber: „Aktuell ist der Imageschaden groß.“
Handel entgehen pro Tag 140 Mio. Euro Umsatz
Stark betroffen ist auch der Handel insgesamt. Dort blieben derzeit 44 Prozent aller Verkaufsflächen ungenutzt, hieß es am Mittwoch vom Consultingunternehmen RegioPlan. Derzeit verliere der Einzelhandel Umsätze von etwa 140 Mio. Euro brutto pro Tag, mit der von der Bundesregierung angekündigten Lockerung der Beschränkungen in Schritten werde sich der Betrag auf 105 Mio. Euro täglich reduzieren.
Hinzu kommt ein struktureller Faktor, wie ihn Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bei einer Pressekonferenz am Mittwoch angesprochen hatte. Steht ein Sektor wie aktuell der Fremdenverkehr still, trifft das auch andere Branchen, weil sie etwa Zulieferer, Dienstleister, sind, und damit ganze Regionen, vor allem im ländlichen Raum.
Auch Arbeitslosenzahlen zeigen starke Unterschiede
Darüber hinaus, schreibt das WIFO, verdeutlichten auch die letzten vom Arbeitsmarktservice (AMS) veröffentlichten Zahlen „sektorale Unterschiede in der Betroffenheit“, wobei wieder der Tourismus durch das vorzeitige Ende den Wintersaison und den Einbruch bei Buchungen mit 167 Prozent den größten Zuwachs gegenüber dem Vorjahr verzeichnet habe. Gleichzeitig seien die Zahlen auch nach Bundesländern sehr unterschiedlich ausgefallen, zwischen knapp 39 in Wien und plus 199 Prozent in Tirol. Im Tourismus stieg die Zahl um 167,1 Prozent, gefolgt von 103,5 auf dem Bau und 41,6 Prozent in der Warenproduktion.
Zwei Drittel arbeiten in krisengeplagten Branchen
Laut der WIFO-Studie sind zwei Drittel aller Erwerbstätigen in Branchen beschäftigt, die „erheblich“ bis „sehr stark“ von der Krise betroffen sind. Rund ein Drittel arbeite in Branchen, die nach der Fünfstufenskala „nicht oder nur moderat von der derzeitigen Krisenphase betroffen sind“. Ein weiteres Drittel sei umgekehrt in Branchen beschäftigt, die aktuell de facto stillgelegt sind – über 1,3 Mio. Österreicherinnen und Österreicher insgesamt.
Die Arbeitslosenzahl war im März um 4,7 Prozentpunkte auf 12,2 Prozent gestiegen. 562.522 Personen, um 193.543 mehr als im März 2019, waren ohne Beschäftigung. Die Ergebnisse der Analyse zeigten, so die Schlussfolgerung des WIFO, dass Schwierigkeiten auf „sektoral breiter Front auftreten“. Regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern traten „gegenüber gemeinsamen Herausforderung zur Krisenbewältigung zurück“.