Sind Künstler besser geeignet, um die Zeit von Ausgangssperren und Bewegungsbeschränkungen zu bewältigen? Mit dieser Frage hat sich ORF.at an einige Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart gewandt und dabei ziemlich eindeutige Antworten bekommen. Denn einerseits glauben sie schon, dass sie mit der Isolation besser umgehen können. Der entscheidende Punkt, so formulierte es etwa der Schriftsteller Daniel Wisser, dessen Roman „Wir bleiben noch“ in der Klause des Rückzugs gerade in dem Moment fertig wurde, als die Ausgangsbeschränkungen wirksam wurden, liege aber darin, dass der Rückzug selbst bestimmt und frei gewählt sein müsse.
„In den letzten Wochen wird mir immer wieder gesagt, die Isolation müsse doch ein vom Schriftsteller angestrebter Zustand sein. Ein Zustand, in dem er in Ruhe arbeiten kann. Bezeichnend, dass es gar nicht als Frage formuliert wird. Bezeichnend, dass die Frage der Freiwilligkeit gar keine Rolle spielt“, so Wisser, der hinzufügt: „Bezeichnend, dass die gesellschaftliche Dimension der Isolation dabei nicht angesprochen wird. Um also die nicht gestellte Frage zu beantworten: Nein, die behördlich verfügte Isolation ist kein erstrebenswerter Zustand, weder für den Schriftsteller noch für jemand anderen.“
„Rückzug macht ohne Rausgehen keinen Sinn“
Die im Mühlviertel lebende Künstlerin Therese Eisenmann wiederum ist sich, wie sie ORF.at verrät, gewiss, dass Künstler besser mit der Isolation umgehen könnten. Aber auch sie sagt: „Es braucht das Hinausgehen – denn ohne den Kontakt hinaus in die Welt, in die Natur, in Formen des Austausches, macht der Rückzug ja keinen Sinn.“
Und mit dem Rückzug könne man ohnedies nur umgehen, wenn man Visionen von der Welt habe, seine Wahrnehmung schon vorab zu dem umforme, aus dem dann erst die Kunst entstehen könne. Das Atelier ist für sie wie für viele andere ihrer Zeitgenossen, wie Fotos auch verdeutlichen, ein Kosmos für sich, der je nach Künstler eine ganz eigene Poetik vom Rückzug und den Gegenständen, die man bei diesem Rückzug braucht, spricht.
Die Eucharistie des Rückzugs
Seit der Romantik und dem Biedermeier wird der Blick in die eigenen vier Wände des Künstlers zu einem feststehenden Motiv. Es lädt zur Stilisierung und Verklärung ebenso ein wie zur überspitzten Karikierung. Josef Danhausers „Lustige Szene in einem Atelier“, das sich in der Sammlung des Belvedere befindet, lässt in seinem Hang zum Slapstick die Distanz zwischen Biedermeier und Helge Schneider auf ein Minimum schrumpfen. Danhauser ironisiert damit die Auffassung der Romantik von der künstlerischen Arbeit als einem beinahe sakralen Vorgang.
Zwar porträtiert sich auch ein Caspar David Friedrich bei der Arbeit selbst. Die Füße würden bei ihm aber nie die Leinwand durchbohren – und blickt man in sein Atelier, dann ist hier schon alles in einer beinahe Stifter’schen Manie(r) geordnet – und erzählt, so bringt es der Kunsthistoriker Hannes Etzlstorfer auf den Punkt, von einer „Eucharistie des Privaten“.
Nicht selten, so formuliert es der Kunsthistoriker und Ausstellungskurator, solle ja der Blick ins Atelier und aus dem Atelier heraus auch eine sehr absolut gesetzte Selbstgenügsamkeit zum Ausdruck bringen: hier das Heilige der Kunst, welches das Profane der Welt schon deshalb ablehnen müsse, weil es nicht die Flughöhe des eigenen Kunstschaffens erreichen könne.
„Es geht um die Malerei“
Als Claude Monet in den Jahren 1892 bis 1894 33-mal die Kathedrale von Rouen malte, tat er es aus dem Geist, dass die Malerei eine Wirklichkeit erschaffe, die die Realität bei Weitem übersteige. Das Atelier mutiert somit zu einem Ort, der mithilft, diese bessere Welt hervorzubringen. Mitunter kann es aber immer wieder der Gleiche im Freien aufgesuchte Ort sein, an dem dieser Genius Loci wirksam wird.
„Ich möchte mir am Ufer des vorderen Gosausees dem Dachstein gegenüber ein Häuschen mit einer sehr großen Glaswand gegenüber dem Dachstein bauen, und nicht eher mehr das Häuschen verlassen, bis es mir gelungen sei, dass man den gemalten und den wirklichen nicht mehr zu unterscheiden weiß“, hält der Landschaftsmaler Friedrich Roderer in der späten Adalbert-Stifter-Erzählung „Die Nachkommenschaften“ (1864) fest. Stifter, der Meister der Detailbeschreibung, ironisiert den Hang des Realismus (und vielleicht auch seinen eigenen), der Wirklichkeit in der Kunst ein möglichst adäquates Abbild geben zu können. Dagegen würde Monet sein berühmtes Zitat halten, dass es auch in Anbetracht seiner Kathedrale von Rouen „nicht um die Kathedrale, sondern um die Malerei“ gehe.
So wie Roderer bei Stifter braucht aber Monet genau den Ort der Fixierung, das Atelier, im Fall von Rouen eine bestimmte Wohnung, von der aus er das Objekt seiner Begierde täglich ins Visier nehmen kann. Als die erste Wohnung in Rouen durch Monets Rückzug nach Giverny vergeben wird, erzeugt das bei Monet eine Irritation bei der Rückkehr – und erzwingt insgesamt einen Perspektivwechsel auf die Kathedrale, obwohl sich Monet doch in seiner Farbtektonik verlieren möchte.
Alois Riedl und der Bruch mit der Gewohnheit
Nutzt sich der ewig gleiche Blick aus dem Atelier eigentlich ab? „Seit 40 Jahren schaue ich auf kurze Entfernung von meinem Atelierfenster auf den Friedhof“, sagt der Maler Alois Riedl zu seinem Wohn- und Arbeitsort im oberösterreichischen Brunnenthal bei Schärding. Festgehalten hat Riedl, dieser Grenzgänger zwischen dem gerade noch Objekthaften und Abstrakten, seine Umgebung nicht. Mit einer Ausnahme: 1980 malte er, „ganz gegen meine Gewohnheit“, wie er sagt, einen Ausschnitt der geschauten Wirklichkeit.
Der Totengräber hatte gerade, „in kalter Mittagszeit“, wie Riedl schreibt, die Grube ausgehoben, danach die Schaufel zur Seite gelegt und die Stelle verlassen. Dieser Moment schien Riedl sinnfällig, um ein Bild ganz gegen seine eigene Maltradition anzulegen. Dass Riedl die, wie er in Gesprächen mit Gerhard Zeillinger sagte, „fade Welt“ da draußen nicht als Referenzpunkt anvisiert, hat mit seinem Zugang zur Kunst zu tun: „Für meine Bilder brauche ich keine Modelle, sie entstehen im Kopf.“
Was er allerdings brauche, sei der Rückzug, und das, wie er sagt, „Alleinsein“. Auf Nachfrage, ob sich durch die angeordneten Maßnahmen für ihn als Künstler etwas geändert habe, hält der 80-jährige Künstler lapidar fest: „Meine Frau und ich sind auch im gemeinsamen Leben und Arbeiten seit fast fünfzig Jahren bestens geübt.“ Es ist auch Riedls Frau Annerose, die in den „Corona-Tagen“ den medialen Kontakt zur Außenwelt organisiert.
„Nur die Außenwelt hat sich geändert“
Dass sich eigentlich durch die „Corona-Maßnahmen“ für den im Alleinsein geübten Künstler nichts geändert hat, unterstreicht auch der Wiener Maler Walter Strobl. Strobl hat wie sein malerischer Mentor Giorgio Morandi ohnedies einen speziellen Zugang zur gemalten Realität.
Für ihn sind schon die Blicke aus dem Atelier oder auf die Welt oft wie Blicke auf arrangierte Stillleben. Die Stadtlandschaften, die Strobl in Extremausschnitten in seinen Bildern zum Anlass der Bildbearbeitung nimmt, sind für ihn, wie er sagt, „immer schon gestaltete Landschaften, und damit durchaus mit dem arrangierten Stillleben zu vergleichen“.
Nichts, was Strobl an gebauter Welt erlebt und über seine Bilder in den Grundbauformen noch viel erlebbarer macht, liegt zufällig im Raum. Insofern betrachtet Strobl nicht nur die Welt, sondern auch die Landschaft seines Ateliers wie ein gestaltetes Stillleben, das er bis auf die Rudimente des Sichtbaren reduziert.
Bei ihm besonders wichtig: die Glasscheiben, als Trenner zwischen Kunst und Wirklichkeit. „Die Malerei“, sagt Strobl, „ist per se eine introvertierte Tätigkeit, und man ist für sich im eigenen Atelier.“ Die Außenwelt habe sich geändert, nicht aber die Welt des Ateliers – und fügt hinzu: „Die Malerei, sie geht weiter.“
Living in a Box
Strobls Zeit- und Altersgenosse Patrick Schmierer, beheimatet in Schärding, fühlt sich momentan sehr an den Spät-Wave-Song „Living in a Box“ der gleichnamigen Band erinnert. Das Gefühl, gerade eingekastelt zu sein, rühre von der Erzwungenheit der Umstände, meint auch er. „Auf den ersten Blick unterscheidet sich meine Arbeitsweise als bildender Künstler nicht sehr von jener vor der Pandemie“, meint er: „Ja, stimmt, wir malen gerne abgeschottet in unseren Ateliers, brauchen dafür Konzentration und viel Zeit für uns, um unsere Bildideen zu entwickeln, Kompositionen zu kreieren und Bildräume zu erschaffen. Leider sind jedoch die Vorzeichen heute ganz andere – was vorher einen Hauch Romantik mit sich brachte, ist in der aktuellen Lage ein auferlegtes Diktum, das wir uns so nicht ausgesucht haben.“
Auf diese Fremdbestimmung reagiere jedenfalls nicht nur der Künstler, ist sich Schmierer sicher, fügt aber hinzu: „Künstler reagieren sicher besonders empfindlich.“ Das, was der Künstler für die breitere Öffentlichkeit als Ausrüstung mitgeben könne, sei die Haltung, dass man auch jetzt in den erzwungenen Rückzugsräumen alles verwerten könne. „Wir sind es gewohnt und sind darauf trainiert, unsere eigenen Auftraggeber zu sein. Künstler stellen sich selbst immer neue Aufgaben und Herausforderungen. Das hilft gegen Verzweiflung und Langeweile. Immerhin.“