Vor allem in den insgesamt besonders betroffenen Ländern sind auch die Infektionszahlen in Alters- und Pflegeheimen extrem problematisch. Etwa in Frankreich: Laut Anfang der Woche veröffentlichen Zahlen lebte fast ein Drittel der an einer Coronavirus-Erkrankung verstorbenen Menschen in Heimen. Der französische Verband öffentlicher Krankenhäuser warnte vor einer „Situation absoluter Not“ und pochte auf einen Notfallplan. Ähnlich soll das Verhältnis im schwer getroffenen Belgien sein: Von den rund 3.000 Toten dürfte laut Schätzungen ein Drittel in Heimen gestorben sein.
In Italien sind Alters- und Pflegeheime ebenfalls schwer betroffen, besonders in der Lombardei. Dort hatten Berichte über hohe Infektionszahlen in Altersheimen für einen Eklat gesorgt. In vielen Einrichtungen soll es laut Medienberichten zu einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus gekommen sein. Allein in einer bekannten Geriatrie bei Mailand seien seit März 110 Menschen gestorben und Fälle verdeckt worden, berichtete etwa die Zeitung „Corriere della Sera“ diese Woche. Einige Medien berichteten sogar von 150 Todesopfern.
Ermittlungen in Italien und Spanien
Die Staatsanwaltschaft in Mailand hat Ermittlungen zum Zustand in mehreren Heimen aufgenommen. Eine Untersuchungskommission zur Aufklärung wurde eingerichtet. Die Einrichtung in Mailand äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen. Ärzteverbände kritisierten aber Fehler im Krisenmanagement: Es gebe einfach zu wenige Tests und Schutzausrüstung für medizinisches Personal. Laut dem obersten italienischen Gesundheitsinstituts starben bisher 1.822 Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen. Allerdings wurde aufgrund fehlender Tests von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Ebenfalls ermittelt wird in Spanien. Dort hatten bereits Ende März Angehörige des Militärs bei Desinfektionsmaßnahmen tote Senioren in mehreren Heimen entdeckt. Für Aufruhr sorgte auch der Fall eines Madrider Seniorenheims, in dem mindestens 20 von 130 Patienten an einer CoV-Erkrankung starben. Insgesamt 75 Personen inklusive Personal sollen sich neben den Todesopfern mit dem Virus infiziert haben. Die Patientenanwaltschaft sprach von katastrophalen hygienischen Zuständen und Mangel an Schutzausrüstungen für das Pflegepersonal.
20 Fälle: Empörung über britische Zählweise
Für Empörung sorgte zuletzt auch ein Bericht aus Großbritannien. Der Zeitung „The Guardian“ zufolge sollen Hunderte Heimbewohner mit einer bestätigten oder mutmaßlichen CoV-Erkrankung verstorben, aber nicht in die offizielle Statistik aufgenommen worden sein. Laut den letzten verfügbaren Zahlen der britischen Statistikbehörde wurden bis zum 27. März nur 20 Todesfälle in Altersheimen als Covid-19-Todesfälle geführt. Allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Heime Dutzende Opfer gemeldet. Sie warfen der Regierung vor, die Sachlage in Heimen nicht ernst genug zu nehmen.
Mehr Pflegebedarf, weniger Personal
Die Covid-Problematik in Altersheimen ist auch insofern besonders prekär, als das Personal vielerorts dort bereits im Normalzustand an seine Grenzen kommt. Gleichzeitig führt die aktuelle Lage dazu, dass auch die Versorgung der restlichen Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Pandemie sorge dafür, dass es gleichzeitig hohe Fehlzeiten beim Personal und einen dramatischen Anstieg beim Pflegebedarf gebe, warnte etwa der Verband öffentlicher Krankenhäuser Frankreichs.
Die Bewohnerinnen und Bewohner würden darunter nicht nur physisch, sondern auch psychisch leiden. Immerhin befinden sich auch in den Altenheimen zahlreiche Menschen seit geraumer Zeit in Isolation. In so gut wie allen betroffenen Ländern wird zudem ein chronischer Mangel an Schutzausrüstung beklagt. Durch fehlende Ausrüstung des Personals werde nicht nur die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch des Personals gefährdet.
Rund 600 Fälle in österreichischen Heimen
In Österreich scheint das Problem laut der verfügbaren Daten aktuell weniger akut zu sein. Mit Stand Donnerstagnachmittag gab es in stationären Einrichtungen für die Pflege 569 positive Tests auf SARS-CoV-2 bei insgesamt rund 13.000 bestätigten Fällen. Als Hotspot erweist sich auch hier Tirol, wo über 200 Fälle registriert wurden. Die 569 positiv Getesteten, die ein Rundruf der APA in den Bundesländern ergab, teilen sich auf 278 Bewohner von Pflegeheimen und 291 Mitarbeiter auf.
In ganz Österreich gebe es rund 80.000 Bewohner in Pflege- und Seniorenwohnheimen, so Markus Mattersberger vom Berufsverband Lebenswelt Heim. Dazu kommen etwa 35.000 Mitarbeiter in Vollzeit-Arbeitsverhältnissen und 45.000 insgesamt über das ganze Jahr. Das heißt, der Anteil der Infizierten läge in beiden Gruppen – Bewohner und Mitarbeiter – bei unter einem Prozent.
„Auch was uns gemeldet wird aus den Heimen, ist noch nicht so viel“, sagte Mattersberger. Über die Dunkelziffer ist offiziell nur bekannt, dass sie sehr niedrig sein soll. Bei der Schwerpunktuntersuchung des Gesundheitsministeriums in der Vorwoche waren laut einem Sprecher des Ministeriums von 351 getesteten Mitarbeiten nur drei positiv. Das entspräche 0,85 Prozent.
Mehr Testungen ab Dienstag
Ab Dienstag soll verstärkt in Alters- und Pflegeheimen auf Covid-19 gestet werden, kündigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Samstag in einer Aussendung an. Schrittweise würden die Mitarbeiter und die Bewohner in ganz Österreich untersucht. Es gebe nun mehr Kapazitäten, und die Logistikkette sei entscheidend verbessert worden. Daher wird kommende Woche die Zahl der Testungen begleitend zur gesicherten schrittweisen Öffnung weiter stark erhöht", sagte Anschober.
Ruf nach Ausrüstung auch in Österreich
Mattersberger betonte aber auch, man müsse aber für alles gewappnet sein. Es brauche auch in Österreich mehr Schutzausrüstung und Tests. „Wir müssen alles daran setzen, Situationen, wie wir sie aus Spanien, Italien und Frankreich kennen, zu vermeiden.“ Er fordert unter anderem einen Ausbau von Tests bei jenen älteren Menschen, die aus den Spitälern in Pflegeheime überstellt werden, um Krankenhausbetten freizubekommen.
Auch bei Ausrüstung sieht er Ausbaubedarf: „Wir haben in Österreichs Heimen in Summe ähnlich viele Betreuungsplätze wie die Klinken und verstehen dieses krasse Ungleichgewicht der Lieferungen von Schutzausrüstung an Spitäler und Heime nicht“, sagte Mattersberger. Den zahlreichen Worten der Politik müssen dahingehend nun auch Taten folgen.