Blutproben
Reuters/Yves Herman
Coronavirus bei Genesenen

Suche nach Erklärungen

Wer eine Infektion mit dem Coronavirus überstanden hat, sollte laut Fachleuten gegen den Erreger immun sein. Aus Südkorea und China werden allerdings Fälle gemeldet, bei denen bereits Genesene erneut positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Suche nach Erklärungen für das Phänomen läuft.

Die Meldung der südkoreanischen Behörden sorgte am Freitag für weltweites Aufsehen. 91 Personen, die bereits als genesen galten und aus der Quarantäne entlassen worden waren, wurden abermals positiv auf das neuartige Coronavirus getestet. Das Koreanische Zentrum für Krankheitsbekämpfung (KCDC) geht davon aus, dass es sich nicht um Neuinfektionen handelt. Es sei eher wahrscheinlich, dass sich das Virus „reaktiviert“ habe, sagte KCDC-Chefin Joeng Eun Kyeong. Der südkoreanische Virologe Kim Woo Joo rechnete mit einem weiteren Anstieg der „reaktivierten“ Coronavirus-Fälle: „91 ist nur der Beginn.“ Südkoreas Behörden und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kündigten umgehend weitere Untersuchungen an.

Das Phänomen ist bisher wenig erforscht, aber nicht neu: Bereits im Februar konnte das Virus bei vier Ärzten in China nachgewiesen werden, die Covid-19 überstanden hatten und zweimal negativ getestet worden waren. In der chinesischen Metropole Shenzhen wurden 172 Patientinnen und Patienten untersucht. Bei 25 von ihnen schlug der PCR-Test circa eine Woche nach dem letzten negativen Ergebnis erneut positiv an. In Wuhan machten Mediziner unter 55 Genesenen fünf neuerlich positive Fälle ausfindig – in vier davon hätten die Betroffenen sogar leichte Symptome wie Fieber, Husten und Halsschmerzen entwickelt, berichtete die „Zeit“.

Menschen sitzen in einem PArk in Seoul
APA/AFP/Ed Jones
Südkorea gilt als eines der internationalen Vorbilder bei der Eindämmung von CoV – nun trat der Erreger offenbar bei bereits Gesundeten wieder auf

Vieles deutet auf Immunität hin

Die Frage, ob sich von einer Infektion genesene Menschen erneut mit dem Coronavirus anstecken können, ist von internationaler Bedeutung. Viele Länder setzen darauf, dass von einer CoV-Infektion genesene Menschen eine Immunität gegen das Virus entwickeln und mit der Zeit ein genügend großer Bevölkerungsteil immun gegen die Krankheit ist, um ein Wiederaufflammen der Pandemie zu verhindern – Stichwort Herdenimmunität.

Erste Studien deuten daraufhin, dass die meisten wieder genesenen CoV-Infizierten ausreichend Antikörper gegen das Virus gebildet haben. Der Chef der US-Instituts für Infektionskrankheiten und Allergien, Anthony Fauci, geht davon aus, dass die Immunität gegen SARS-CoV-2 zumindest über Monate gegeben ist. Anhaltspunkte dafür liefern auch Untersuchungen nach der ersten SARS-Pandemie Anfang der 2000er Jahre, die ebenfalls von einem Coronavirus ausgelöst wurde. Bei Überlebenden der Krankheit hätte sich auch noch zwei Jahre nach der Infektion eine stabile Immunantwort gezeigt, wurde in Studien berichtet.

„Impfversager“ und falsche Testergebnisse

Allerdings produziert bei manchen Menschen das Immunsystem zwar genügend Antikörper, um die Krankheit zu besiegen, aber nicht genug für eine längerfristige Immunität. Das sei „nichts Ungewöhnliches“, sagte der Wiener Lungenfacharzt Gernot Rainer der „Presse“: „So gibt es beispielsweise auch Menschen, oft sind es Kinder, die nach einer Impfung nicht ausreichend Antikörper bilden, um geschützt zu sein – sogenannte Impfversager.“

In diesen Fällen kann sich das Virus unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich „reaktivieren“. Zudem gibt es Viren, die jahrelang im Körper ruhen können, etwa HIV oder auch das Varizella-Zoster-Virus aus der Gruppe der Herpesviren. In der Kindheit löst es Windpocken aus, im Erwachsenenalter Gürtelrose. Dass ein Coronavirus ebenfalls jahrelang in den Schlummerzustand geht, wäre aus wissenschaftlicher Sicht allerdings neu, schrieb die „Zeit“.

Hinweistafel in einer Warnkabine
AP/Lee Jin-Man
Südkoreas Behörden wollen herausfinden, was es mit den „reaktivierten“ CoV-Fällen auf sich hat

Das in Südkorea und China beobachtete Phänomen könnte aber auch einen wesentlich banaleren Grund haben: fehlerhafte Testergebnisse. Der direkte Virusnachweis wird mit PCR-Tests (Polymerase-Kettenreaktion) erbracht, die als äußerst zuverlässig gelten. Fehler können allerdings bei den Abstrichen passieren. Wichtig ist laut chinesischen Fachleuten auch der Zeitpunkt der Probenentnahme, da sich die Virenkonzentration in Nase und Rachen im Laufe der Erkrankung verändern könne.

Keine Ansteckungsgefahr trotz Virusnachweis

Manche CoV-Positive scheiden das Virus noch lange nach Abklingen der Krankheit in geringen Mengen aus, wie Studien zeigen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass von den Betroffenen eine Ansteckungsgefahr ausgeht. „Wenn infektiöses Virus vorhanden ist, kann eine Person eine andere anstecken. Allerdings muss die Viruslast dafür bei vielen Viren hoch sein“, sagte Florian Krammer, Professor für Vakzinologie an der Icahn School of Medicine in New York.

„Was aber mit dem PCR-Test detektiert wird, ist nicht das Virus, sondern das Virusgenom. Und es kommt sehr wohl oft vor, dass noch Virusgenom vorhanden ist, aber kein infektiöses Virus mehr. Bei Masern ist das oft über Monate der Fall“, so Krammer.

Der schlimmste Fall – die Mutation

Lungenfacharzt Rainer brachte gegenüber der „Presse“ auch den absolut schlimmsten Fall ins Spiel – eine weitreichende Mutation von SARS-CoV-2. Nicht nur für die Entwicklung eines Impfstoffes wäre dieses Szenario absolut fatal. „Die Bestätigung einer Mutation des Virus und dadurch bedingter Neuansteckungen würde zum einen das Konzept der Herdenimmunität ein für alle Mal obsolet machen und uns zum anderen an den Start unseres Kampfs gegen das Virus zurückkatapultieren“, sagte Rainer.

Derzeit gibt es allerdings kaum Hinweise, dass dieser „Worst Case“ bereits eingetreten ist. In einer dieser Tage veröffentlichten Studie nahmen der Bioinformatiker Niema Moshiri und sein Team von der University of California in San Diego das Erbgut des Erregers genauer unter die Lupe. Ergebnis: SARS-CoV-2 mutiert zwar, aber offenbar wesentlich langsamer als Grippeviren. Das Genom von SARS-CoV-2 sei doppelt so groß wie jenes von Influenzaviren, daher scheinen letztere viermal so schnell zu mutieren, schrieb Moshiri. Das mache Hoffnung bei der Entwicklung eines dauerhaft wirksamen Impfstoffes.