Ungemachtes Bett
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Coronavirus-Krise

Gute Zeit für neue Träume

Häufiger, intensiver und auch zum Teil merkwürdiger sind die Träume vieler angesichts der Coronavirus-Krise geworden. Das zeigt nicht nur ein Blick in Onlineforen, das bestätigen auch erste Experten. Doch woran liegt das? Gegenüber ORF.at nennt die Traumforscherin Brigitte Holzinger mehrere Gründe – allen voran veränderte Schlafgewohnheiten.

Wer seine Träume analysieren will, der muss natürlich überhaupt erst wissen, dass und was geträumt wurde. Was sich nun durch unterschiedliche anekdotische Erzählungen bereits abzeichne, sei, so Holzinger, dass sich viel mehr Leute derzeit an ihre Träume erinnern können. „Die einfachste Erklärung ist, dass man sich endlich einmal ausschlafen kann und nicht mit Wecker aufstehen muss“, so die Schlaf- und Traumforscherin, die angesichts der Coronavirus-Krise aktuell eine Umfrage zum Thema Schlaf und Träume durchführt.

Im Durchschnitt schläft die Österreicherin bzw. der Österreicher rund sieben Stunden – zumindest war das vor der Krise so. Fällt der Alltagsstress weg, weil etwa Kinder nicht mehr in die Schule gebracht werden müssen oder man nicht mehr Sorge hat, zu spät zur Arbeit zu kommen (Stichwort Homeoffice), wirkt sich das nun eben auch auf den Schlaf aus. Und der falle seit einigen Wochen – entgegen der Prognose einiger Forscher – bei vielen offenbar besser aus, so die Expertin. Und: „Der Schlaf ist die Basis, auf der man träumt“, sagt Holzinger.

Verhältnis von Schlaf und Traum

Konkret erklärt sich der Zusammenhang zwischen mehr Schlaf und einer besseren Traumerinnerung so: Träume treten alle 90 Minuten während der REM-Schlafphase (Rapid Eye Movement) auf, die stark von häufigen Augenbewegungen geprägt ist. Gerade in den letzten Phasen des Schlafes verbringt man die meiste Zeit im REM-Schlaf, bei dem noch mehr Aktivität im Hirn stattfindet. Und REM-Perioden werden länger, je länger man schläft. Aus diesem Grund hat eine Person, die länger schläft, auch längere und intensivere Traumperioden.

Die Forscherin, die unter anderem das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien gegründet hat, sieht Parallelen zu Träumen im Urlaub. Auch da erinnern sich Menschen vielmehr an das Geträumte. Zum einen, weil sie ausschlafen können – zum anderen, weil es viel mehr neue Eindrücke gibt, die es in der Nacht im Schlaf zu verarbeiten gilt.

Faktor Angst

Doch auch eine andere Erklärung gibt es – vor allem für das Auftreten von Alpträumen. „Manche Kollegen bringen die Situation mit einer Art Traumatisierungssituation in Zusammenhang, in der mehr geträumt wird beziehungsweise mehr Alpträume auftreten“, so Holzinger. Im Traum, so viel weiß man, werden immerhin Eindrücke des jeweiligen Tages verarbeitet – und dazu zählen natürlich auch Ängste. „Wir sind jetzt gerade in einer ganz seltsamen Situation, wo man eine unsichtbare, ungreifbare Bedrohung erlebt. Ich würde jetzt aber auch nicht sagen, dass wir alle traumatisiert sind, um Gottes Willen.“

Ähnlich die Einschätzung der US-Psychologin und Traumforscherin Deirdre Barrett von der Harvard Medical School in der „New York Times“. Barrett zufolge würde aber vor allem medizinisches Personal, das zwölf Stunden oder mehr täglich mit Covid-19-Patienten arbeitet, kurze, intensive, traumatische Erfahrungen machen, die sich dann „womöglich intensiver und realistischer“ in den Träumen niederschlagen.

Froschperspektive auf Menschen in Schutzanzügen
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Die Träume von medizinischem Personal, das täglich mit Covid-19-Patienten arbeitet, könnten tendenziell realistischer ausfallen, so die Einschätzung einer US-Expertin

Vor allem tritt in Träumen häufig auch das auf, womit man sich zuletzt vor dem Einschlafen beschäftigt hat. Hat man im Fernsehen etwa Bilder von Massengräbern in New York oder überlasteten Krankenhäusern in Italien oder Frankreich gesehen, dann könnte das auch besonders bedrohliche Träume erklären.

Blog sammelt Surreales

In Onlineforen und Blogs sind zudem aktuelle Maßnahmen wie das Tragen von Masken, das Einhalten eines gewissen Mindestabstands zu anderen beziehungsweise Ausgangsbeschränkungen wiederkehrende Themen. Veranschaulicht wird das etwa von dem Blog „I Dream of Covid“ (Dt.: „Ich träume von Covid“, Anm.), der einige dieser surrealen Träume von Menschen rund um die Welt sammelt.

„Wir wurden aus unseren Häusern vertrieben, nachdem wir erfahren hatten, dass Covid eine biologische Waffe ist, die geschaffen wurde, um eine Diktatur zu schaffen“, schrieb etwa eine Person aus New York. Eine weitere Person aus Ungarn erzählte von einer Zugsfahrt, bei der sie aufgrund regelmäßiger Appelle zu sozialer Distanzierung von Schuldgefühlen übermannt wurde. Denn der Zug war voll, und alle Passagiere sangen.

Warum viele von früheren Beziehungen träumen

Intensivere Träume könnten andererseits auch damit zusammenhängen, dass „wir bestimmte Dinge sehr vermissen“, so Holzinger. „Lustigerweise haben mir Leute auch erzählt, dass sie ganz viel von früheren Beziehungen träumen“, berichtet die Forscherin, die dafür auch eine Erklärung parat hat: „Wir brauchen Kontakte, wir müssen jemanden berühren oder treffen. Und weil uns das fehlt, kann es sein, dass wir deshalb mehr von Beziehungen träumen, wo das vorgekommen ist. Oder es ist noch etwas offen, und weil ich lange genug schlafen kann, arbeite ich das jetzt ab.“ Der Traum an sich sei immerhin ein „therapeutischer Akt“.

Durch Glastür getrenntes Paar
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Auch das Bedürfnis nach Berührung wird der Traumforscherin zufolge in Träumen thematisiert

Der richtige Umgang

Holzinger plädiert daher auch dafür, nach dem Aufwachen sofort aufzuschreiben, was geträumt wurde – am besten noch während man im Bett liegt. Das sei Teil der „Dream-Sense-Memory“, die von der Wiener Forscherin mitentwickelt wurde: „Meine These ist, dass wir Sinnliches im Traum verarbeiten.“

Dabei gehe es „nicht unbedingt ums Interpretieren, sondern darum, sich mit diesen Themen zu befassen – wie mit einem Kunstwerk. Das Kunstwerk möchte etwas bewirken und bewegen, und der Traum möchte auch etwas bewirken und bewegen“, so Holzinger. Ein Traum habe nicht nur einen Sinn, sondern mehrere Aspekte – er könne etwa unglaublich inspirierend sein oder Hinweise darauf geben, wie ein Problem gelöst werden kann.

Barrett rät all jenen, die ihre Träume unter Kontrolle bringen wollen, wiederum zu Trauminkubation. Man solle seine Träume „programmieren“, bevor man zu Bett geht, so die Traumforscherin. Konkret funktioniert das so: Man solle sich eine Kategorie Traum aussuchen – etwa fliegen – und sich vor dem Schlafen daran erinnern, etwa indem man die Situation visualisiert.

Tipps für einen besseren Schlaf

Abschließend verweist Holzinger einmal mehr auf die Bedeutung von gesundem Schlaf – „gerade jetzt, in Zeiten, wo man gesund bleiben möchte“. Denn, so die Expertin, das Immunsystem baue sich ja im Schlaf auf. Auf Schlafcoaching.org hat sie Tipps für Menschen im Kriseneinsatz gesammelt sowie allgemeine Ratschläge.

Personen im Kriseneinsatz wird da zu „Schlaf in Portionen“ – also polyphasischem Schlaf – geraten. Dabei komme es auf die Rahmenbedingungen an – was möglich ist und was eben nicht. „Ideal wäre, dass man schaut, dass man zumindest viereinhalb Stunden Kernschlafzeit hat. Und dann vielleicht Nickerchen über den Tag verteilt“, so Holzinger. Das soll allerdings nur mit professioneller Beratung stattfinden, wie sie gegenüber ORF.at betont.

Für alle anderen Menschen gilt, möglichst immer zu denselben Zeiten schlafen zu gehen und aufzustehen. Auch körperliche Aktivität fördere den Tiefschlaf. Weiters soll das Schlafzimmer gut gelüftet und abgedunkelt werden. Tätigkeiten vor Bildschirmen sollen mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen beendet werden, ebenso soll davor nicht mehr üppig gegessen werden – von aufputschenden bzw. alkoholischen Getränken wird ebenso abgeraten. Auch individuelle Schlafrituale können helfen, beispielsweise regelmäßig jeden Abend vor dem Schlafengehen ein Buch lesen, meditieren oder Schlaftee trinken.