US-Rapper Drake auf der Bühne
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Drake

„American Dream“ im Netzzeitalter

Vor zehn Jahren ist sein erstes Album „Thank Me Later“ erschienen, inzwischen verzeichnet er Charterfolge, die die Rekorde der Beatles in die Schranken weisen: In diesen zehn Jahren ist der Rapper Aubrey Drake Graham alias Drake zum populärsten Musiker der Gegenwart geworden – der amerikanische Traum für die Generation Social Media.

Am Montag vermeldete das amerikanische „Billboard“-Magazin einen neuen Rekord Drakes. Der Song „Toosie Slide“ ist bereits sein dritter, der als Nummer eins in die „Billboard“-Charts einstieg. Das war bisher nur Mariah Carey 1997 gelungen.

Im Video tänzelt Drake in Bomberjacke mit Camouflage-Muster und Markenskimaske durch seine riesige Villa in Toronto, die wie eine Mischung aus Galerie, unterkühlt beleuchtetem Club und Ausstellungsfläche für Drakes gewonnene Grammies und MTV-Music-Awards wirkt. Es ist das Quarantänevideo eines Superstars, der seinen Reichtum zur Schau stellt.

Kalkulierter Erfolg

Aber „Toosie Slide“ ist auch ein kalkulierter Erfolg. „Toosie“ ist ein junger Influencer in Sozialen Netzwerken, der unter anderem Tanzvideos online stellt. Toosies „slide“, also seine gleitende Tanzbewegung, erklärt Drake im Refrain: „right foot up, left foot slide / Left foot up, right foot slide“. Wenige Tage bevor der Song veröffentlicht wurde, war ein Teaser auf Toosies Instagram-Profil erschienen.

Der restliche Text ist genretypisch: Reichtum, sexuelle Anziehung bei gleichzeitiger emotionaler Unverfügbarkeit und Selbstüberhöhung sind Themen, die im Hip-Hop seit Dekaden en vogue sind. Doch warum ist gerade Drakes spezielle Mischung dieser wohlbekannten Ingredienzien zum Goldstandard der Gegenwartsmusik geworden?

Sänger-Rapper

Da wäre zunächst Drakes Mut zum Stilmix. Während in den 1990er Jahren zwischen R&B-Sängern und Rappern getrennt wurde, bewegt sich Drake gekonnt zwischen den beiden musikalischen Spielarten. Die soft-romantische Selbstinszenierung eines D’Angelo, R. Kelly oder Pharrell Williams war komplementär zu dem maskulinistischen Verbrecherimage von Künstlern wie P. Diddy, Dr. Dre oder Eminem. Kollaborationen waren häufig: Die R&B-Sänger wurden für schmachtende Refrains gefeatured, oder umgekehrt wurden die Rapper gebucht, um Balladen aufzupeppen.

Drake vereint diese beiden Rollen seit Beginn seiner Karriere und ist in seinen Videoauftritten flexibel – zwischen Romantik, „Ghettogehabe“ und humorvoller Tanzeinlage vergehen oft nur wenige Sekunden. Seine Vielfalt, oder vielmehr seine Offenheit dafür, was seine Fans in ihm sehen wollen, ist ein Geheimnis seiner Popularität.

Anfänge als TV-Serien-Star

Diese Offenheit hat bei dem 1986 geborenen Musiker auch biografische Gründe. Als Sohn eines schwarzen Musikers und einer weißen, jüdischen Lehrerin in Toronto geboren, verkörpert er sowohl ethnisch als auch religiös mehrere Identitäten. Er wuchs in einer Arbeitergegend in Toronto auf und zog in seiner Teenagerzeit in eine aufstrebende Gegend, wo er die Klasse mit Sprösslingen reicher Eltern teilte.

Der Vater eines Klassenkollegen entdeckte den jugendlichen Drake als Schauspieler, wodurch er in der Rolle des „Jimmy Brooks“ in der kanadischen TV-Serie „Degrassi“, die Sorgen von Teenagern zum Thema hat, bekannt wurde.

Der amerikanische Traum

Seine Schauspielerfahrung hilft Drake sichtlich dabei, verschiedene Rollen und kulturelle Erzählmuster zu bedienen. Um Schlüssigkeit geht es hier nicht, wenn er zum Beispiel in „Started from the Bottom“ den amerikanischen Hip-Hop-Traum der Verwandlung vom Sozialhilfeempfänger zum Millionär durchspielt. Vielmehr bietet er sich vielen Menschen als Projektionsfläche an, die durch seine Musik daran glauben können, selbst auch Teil dieses Traums sein zu können.

Erfolgsfaktor Internet

Ein weiterer Erfolgsfaktor in Drakes Karriere war seine Marketingstrategie, die immer auf Entwicklungen im Internet reagierte. Schon 2015 waren „Drake-Memes“ fast ein eigenes Genre. Kein Musiker wurde so oft als Vorlage für Memes verwendet. Zunächst war Drake oft die Zielscheibe von Spott, doch es scheint, als habe er in seinen Auftritten und Videos vorsätzlich Motive produziert, die sich für Memes in Sozialen Netzwerken eignen.

Screenshot einer Instagram-Seite mit US-Rapper Drake
Instagram
Auch in der Coronavirus-Krise aktuell: „Drake-Memes“

Seinen hohen Popularitätsgrad in Sozialen Netzwerken und damit bei Millennials, die seine größte Fangemeinde ausmachen, hat sich Drake systematisch erarbeitet. Wenn er die Instagram-Popularität des Influencers Toosie nutzt und diesen dazu einspannt, einen Hype rund um das neueste „Drake-Video“ zu kreieren, oder wenn die geschickt platzierte „Toosie Slide“-Challenge Hunderte Jugendliche auf TikTok dazu animiert, sich beim Erlernen des Tanzschrittes zu filmen, zeigt Drake, dass er die Mechanismen der modernen Aufmerksamkeitsökonomie wie kein Zweiter verstanden hat.

Größer als Elvis und Eminem

Das schlägt sich wiederum in den Verkaufs- und vor allem Streamingzahlen nieder. Bereits 2018 überholte Drake als erfolgreichster männlicher Solokünstler die Verkaufszahlen von Elvis Presley, Michael Jackson und Eminem. Auffällig ist dabei, dass über 200 Millionen verkaufte Einheiten auf Singles entfallen und vergleichsweise wenige, nämlich nur 18 Millionen, auf Alben.

Mit seiner Vermarktung in Sozialen Netzwerken zielt Drake dort hin, wo sein junges Publikum ist: auf Streamingplattformen wie Spotify, wo er neben Ed Sheeran der erfolgreichste Künstler der 2010er Jahre war, oder auf Distributionskanäle wie iTunes, wo angesagte Einzelsongs anstatt Alben gekauft werden.

Aneigner und Beziehungstalent

Drake hat seine Karriere aber auch nach den Regeln des Hip-Hop-Marktes aufgebaut. Seit seinem ersten Album umgibt er sich mit erfolgreichen Musikern, um seinen Namen und seine Musik mit ihnen zu verknüpfen – das galt für seinen Förderer Lil Wayne, für Produzenten wie Kanye West und für Features von Superstars wie Jay-Z.

Ein kontrovers diskutiertes Merkmal der Hip-Hop-Kultur war von Anfang an das Wiederverwenden von und das Bezugnehmen auf frühere Musiktraditionen (Sampling) und das Weiterverarbeiten von bestehenden Songs (Remixen). Drake hat hier eigene Wege gefunden. Immer wieder entdeckt er musikalische Talente und kollaboriert mit ihnen, wobei er ihrem Sound so nahe kommt, dass man von gelungener Aneignung sprechen kann – wie etwa im Song „Too Much“ (2013), in dem er Samphas Gesang sampled.

Identifikationsfigur für viele

Formen der Aneignung treibt Drake auf die Spitze, wenn er in seine Musik Elemente aus Dancehall oder Grime einfließen lässt. Letztendlich schafft er es aber, all diese Einflüsse in eine homogene Marke zu verwandeln, die viele Identifikationsmöglichkeiten bietet.

US-Rapper Drake und Popstar Rihanna
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Drake verlieh Rihanna 2016 den Michael Jackson Video Vanguard Award

Eine weitere Vermarktungsstrategie schließlich zieht im Hip-Hop genauso wie im Schlager oder bei Hollywoodstars: Gossip, also Tratsch. Drake verstand es beispielsweise, über Jahre im Gespräch zu bleiben, indem er die Gerüchte über eine Beziehung, Affäre oder doch nur Freundschaft mit Rihanna immer weiter befeuerte und einen medienwirksamen Streit mit deren Ex Chris Brown vom Zaun brach. Genauso brachte ihm seine gescheiterte Beziehung mit Jennifer Lopez Schlagzeilen, die er, genau wie bei Rihanna, in Songzeilen zu verwandeln wusste.