Blick in den leeren Plenarsaal
ORF.at/Roland Winkler
Kritik an Covid-19-Gesetzen

Kurz plant keine Änderung

Mit dem Bekanntwerden des Ausmaßes der Coronavirus-Pandemie in Italien und des Hotspots Ischgl musste es ganz schnell gehen: Die ÖVP-Grünen-Regierung reagierte tatsächlich rasch und brachte mittlerweile drei umfassende Gesetzespakete im Eiltempo durchs Parlament. Doch nun werden immer mehr kritische Stimmen laut. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will aber mögliche Fehler in den Gesetzen nicht reparieren.

Es geht im Wesentlichen um die allgemeine Frage, ob das von der Regierung gewählte Vorgehen verhältnismäßig war – oder ob dadurch Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern zu sehr eingeschränkt werden. Kurz ließ am Dienstag mit der Aussage aufhorchen, dass die Regierung keine Reparatur der eilig beschlossenen Covid-19-Gesetze und -Verordnungen, die möglicherweise nicht verfassungskonform sind, plant.

Dass möglicherweise manche Gesetzestexte mangelhaft sind, wie Kritiker meinen, begründete der Kanzler damit, dass „wir schnell gehandelt haben“. Und er rechtfertige das Vorgehen damit, dass das „gut funktioniert“ habe.

„Werden nicht mehr in Kraft sein“

Die Gesetze und Verordnungen „sind nicht auf Dauer“. Bis eine Überprüfung durch die Höchstgerichte stattgefunden habe, „werden sie nicht mehr in Kraft sein“, so Kurz. Die Juristen des Gesundheitsministeriums hätten sich jedenfalls um verfassungskonforme Abläufe bemüht. „Ich bitte um etwa Nachsicht, dass es eine Ausnahmesituation ist.“

Juristen sollten Fragen in diesem Bereich nicht überinterpretierten. Es gehe darum, dass die Maßnahmen eingehalten werden und „die Republik funktioniert“. „Ob alles auf Punkt und Beistrich in Ordnung ist, wird am Ende das Tages des Verfassungsgerichtshof entscheiden.“ Zu diesem Zeitpunkt würden die Maßnahmen aber ohnehin nicht mehr in Kraft sein, sagte der Kanzler.

Blick in das Plenum von der Galerie aus während einer Sondersitzung des Nationalrates
APA/Robert Jaeger
Kurz will die im Eiltempo beschlossenen Gesetzespakete nicht aufschnüren

Verordnung vs. Bescheid

Während Kurz vor allem das Ergebnis im Blick hat, verweisen Fachleute darauf, dass auch der Weg des Regierungshandelns für den Rechtsstaat und die Demokratie von grundsätzlicher Bedeutung ist. So sorgt sich Markus Thoma vom Dachverband der Verwaltungsgerichte vor allem um den Rechtsschutz.

Weil die Regierung mit Verordnungen statt Bescheiden agiert, ist eine Berufung dagegen deutlich aufwendiger und langwieriger. Denn hier gibt es nur die Möglichkeit eines Normprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Ein derartiges Verfahren dauert monatelang und hat keine aufschiebende Wirkung.

Gegen einen Bescheid können Bürgerinnen und Bürger dagegen beim zuständigen Verwaltungsgericht berufen. Und eine solche Beschwerde habe automatisch aufschiebende Wirkung, wie Thoma am Montag im Ö1-Mittagsjournal sagte – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Thoma für schnelle Normprüfungsverfahren

Thoma fordert daher schnellere Normprüfungsverfahren mit einer Möglichkeit für den VfGH, auch rasch einstweilige Maßnahmen zu erlassen". Denn bisher seien freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur durch individuelle Bescheide von Gerichten und Behörden gegenüber einer einzelnen Person verhängt worden. Und gegen diese seien direkte Einsprüche möglich. Jetzt wird die Freiheit der Bürger generell durch die Covid-19-Gesetze und -Verordnungen beschränkt.

Matzka: „Verfassung gilt auch in Krisenzeiten“

Wie Thoma sieht es auch Manfred Matzka, ehemaliger Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, kritisch, dass der VfGH möglicherweise erst entscheiden könne, wenn die betreffenden Gesetze bereits wieder außer Kraft sind. Natürlich müsse die Regierung in dieser Krisensituation rasch handeln – aber „die Verfassung gilt auch in Krisen- und Kriegszeiten“, so Matzka.

An sie habe sich die Regierung zu halten. Daher müsse es Bürgern möglich sein, sich gegen Regierungshandeln zu wehren oder dieses infrage zu stellen. Und als Regierung könne man etwaige Fehler auch nicht einzelnen Juristen in Ministerien zuschieben. Da hätten die Regierung und der Kanzler die „gesamtstaatliche Verantwortung“ – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Warnung vor Gewöhnungseffekt

Bei allem Verständnis für die außergewöhnliche Situation warnte Matzka davor, dass es durch die Verwendung der nun eingesetzten Werkzeuge – Erlässe und Verordnungen – zu einer Eigendynamik komme. Solche Sondermaßnahmen würden immer in Krisenzeiten zum Einsatz kommen – und würden dann oft auch akzeptiert. Es gelte darauf zu achten, dass diese nicht in weiteren Krisen in den nächsten Jahren erneut verwendet werden. Denn diese Instrumente dürften nie zur Normalität werden.

Kritik gab es nicht nur daran, dass sich ÖVP und Grüne vor allem des Rechtsmittels Verordnung statt des Bescheids bedienen. Auch die zahlreichen Erlässe werden kritisiert, umso mehr, als sie einander teilweise widersprachen und etwa der „Oster-Erlass“ zurückgenommen werden musste.

Vage Regeln

Der Wiener Anwalt Florian Horn hatte letzte Woche beklagt, dass viele der Regeln zu vage seien. Das sei umso problematischer, als es um Einschränkungen von Grundrechten wie der Bewegungsfreiheit gehe. Auch der Verfassungsexperte Heinz Mayer vermisst eindeutig formulierte Normen. „Man sagt ständig, die Kinder dürfen die Oma nicht besuchen. Dann traut man sich aber nicht, das deutlich zu sagen“, betonte der emeritierte Professor der Universität Wien. „Das, was sie wollen, ist okay und wird auch notwendig sein, aber irgendwie fehlt der Mut.“

Wachsende Kritik im Nationalrat

Zuvor war Kritik bereits im Nationalrat laut geworden. Die Opposition beschwerte sich bereits mehrfach, von der Regierung de facto überrollt zu werden, indem zahlreiche völlig unterschiedliche Maßnahmen in Sammelgesetze gepackt wurden. Damit kann nur geschlossen für oder gegen das gesamte Paket gestimmt werden, einzelne Maßnahmen können nicht abgelehnt werden.

Am Dienstag gab es erneut Kritik. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried fand es „beunruhigend, wenn ein Chef einer Regierung sich so wenig um Rechtsstaatlichkeit und Rechtskonformität kümmert und einen so schlampigen Umgang pflegt“. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl warf Kurz „einen flapsigen Umgangston in Zusammenhang mit dem Rechtsstaat, der einer Demokratie unwürdig ist“ vor. Irritiert zeigte sich auch NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. „Diese Aussagen sind eines Bundeskanzlers nicht würdig, niemand darf sich außerhalb der Gesetze bewegen. Gerade in Krisenzeiten ist es besonders wichtig genau darauf zu achten. Das nennt man Herrschaft des Rechts.“

Anschober verspricht Prüfung durch Experten

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte in der ZIB2 Dienstagabend, dass eine bereits einberufende Expertengruppe allfällige Unschärfen in Gesetzen, Verordnungen und Erlässen, die man dann auch „selbstverständlich“ bereinigen würde, prüfen soll. Zu dieser Gruppe, die am Donnerstag wieder zusammentreten soll, gehört der ehemalige Verwaltungsgerichtshof-Präsident und Interimsjustizminister Clemens Jabloner.

Dazu wurden Verfassungsexperten und Chefjuristen aus den Ministerien nominiert, berichtete Anschober. Gleichzeitig warb er um Verständnis dafür, dass es bei der Bekämpfung der Pandemie enormen Zeitdruck gebe. Es habe sich mitunter um einen Wettlauf gegen die Zeit gehandelt.