Hand hält Smartphone, auf dem die Tiktok-App läuft
APA/AFP
Mit Kindern zu Hause

Eltern infiltrieren TikTok

Die Coronavirus-Krise hat Familien mehr Zeit als gewohnt in den eigenen vier Wänden beschert. Zeit, die zum Teil auch zu Langeweile führt – für Kinder genauso wie für Eltern. Gleichzeitig schießen die Nutzerzahlen der App TikTok durch die Decke. Ein Blick auf die Plattform zeigt: Tanz- und Spaßvideos wurden in der häuslichen Isolation zur Familiensache.

Seit nunmehr rund einem Monat sitzen Familien gemeinsam zu Hause und verbringen Zeit miteinander, ob sie wollen oder nicht. Neben Backen, Lesen und Ausmisten wird viel im Netz gesurft. Dabei galt lange das Credo: Erwachsene nutzen Plattformen wie Twitter und Facebook. Kinder und Teens beschäftigen sich eher mit TikTok und Instagram. Das Virus aber ließ die Grenzen verschwimmen: Eltern in TikTok einzuführen entwickelte sich zum Trend im Netz.

Diese machen inzwischen bereitwillig mit – oder wie Buzzfeed es ausdrückte: „Die Eltern sind nun gelangweilt genug, um mit ihren Kindern TikTok-Tänze zu lernen, und es ist großartig.“

TikTok als Tummelplatz

Das Markenzeichen von TikTok sind selbst gemachte Videos, in denen die Nutzer tanzen, singen oder auch jemanden imitieren. US-Promis erkannten längst den Hype und die Möglichkeiten, direkt junge Käuferschichten und Fans ansprechen zu können. Auch die Politik entdeckte TikTok für sich.

@tommy_bracco

Shout out to our camera crew and hype woman aka mom! foryou fyp dance dad badboy happyathome @philipbracco @philbracco

♬ original sound - tommy_bracco

Seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und den weltweiten Ausgangsbeschränkungen drehen nun Influencer und TikTok-Stars mit den eigenen Familien Kurzvideos, und zahllose Jugendliche machen es ihnen nach. Sie rekrutieren Eltern und Geschwister, um Gruppentänze zu choreografieren, Stunts zu machen oder auch diese als unwissende Statisten für Streiche zu gebrauchen.

Millionen Menschen schnell erreicht

Eines der Trendsetter-Videos kam Anfang März vom New Yorker Internetstar James Charles. Der 21-jährige Influencer und Make-up-Artist ist durch YouTube berühmt geworden. Dort hat er 18 Millionen Abonnenten. Charles lud ein Video mit dem Titel „Wie ich meinen Eltern TikTok-Tänze beibringe“ hoch und erreichte damit mehr als 3,7 Millionen Seher, von denen ihm viele nacheiferten.

@jamescharles

I tried to teach my parents tik tok dances and it didn’t go well 💀 check out the full video on my youtube channel now!

♬ Lottery - K CAMP

Der Grund für die neue Beliebtheit bei den Familien liegt laut „New York Times“ abseits der Pandemie auf der Hand: „Eigentlich ist es die perfekte familienfreundliche App. TikTok ist für den gemeinschaftlichen Gebrauch und herausfordernd, es ist einfach, kreative Ideen zu entwickeln.“ Viele der erfolgreichsten Videos würden ohnehin zu Hause gedreht, die Tänze seien im Allgemeinen einfach zu erlernen. „Außerdem tragen Eltern, die die Bewegungen durcheinanderbringen, nur zum komödiantischen Effekt bei.“

App der Krise, Song der Krise

Inzwischen gibt es schon Wettbewerbe im Netz, wer die besten der tanzenden Familien sind. Eine solche Challenge zum Song „Blinding Lights“ veranlasste Hunderte Familien, Tanzvideos für TikTok zu kreieren.

@lordlopez_

It had to happen... fyp foryoupage pullinparents boredvibes viral blindinglightschallenge boredinthehouse coronavirus quarantine

♬ original sound - lordlopez_

Das Lied gilt in den USA ohnehin als der Song der aktuellen Krise schlechthin, allein schon wegen der Zeile „I’ve been on my own for long enough“ (Dt.: „Ich war schon lange genug allein“).

Freilich gibt es auch die TikTok-Verweigerer in den Familien. Bekannt wurde kürzlich ein Instagram-Post von Jay Hubble aus dem US-Bundesstaat Indiana, dessen Vater – anders als die übrigen Verwandten – lieber auf das Tanzen verzichtet. Vater Hubble wurde trotzdem gepostet und wurde gerade durch seinen Tanzstreik zum Internetstar.

TikTok gehört seit 2017 dem chinesischen Unternehmen ByteDance. Damals hieß die Anwendung noch Musical.ly. Inzwischen hat die App laut dem Analyseunternehmen Sensor Tower weltweit 650 Millionen Nutzer. Seit Jahresbeginn war TikTok zudem ganz vorne bei den Downloadzahlen. Auch in Österreich wird die App inzwischen gerne genutzt. Laut „Jugend-Internet-Monitor 2020“ wächst TikTok in der Altersgruppe der Elf- bis 17-Jährigen am stärksten und ist nun unter den Top Sechs der beliebtesten Anwendungen.