Schüler vor einer Schule in Salzburg
APA/Barbar Gindl
Coronavirus

Gespanntes Warten auf Fahrplan für Schule

Die Coronavirus-Schutzmaßnahmen sind in den letzten Tagen zunehmend gelockert worden. Unklar ist immer noch, wie es mit der Schule weitergeht. Erst Ende April soll es eine Entscheidung geben. Lehrende, Eltern, Schülerinnen und Schüler bleiben also zumindest zwei weitere Wochen im Ungewissen. Die Frage ist aber nicht nur, wann der Unterricht wieder hochgefahren wird, sondern vor allem auch, wie.

Während Baumärkte und andere Geschäfte bereits gut besucht sind, öffentliche Verkehrsmittel wieder für Freizeitfahrten genützt werden dürfen und Tennis- und Golfplätze in zwei Wochen öffnen sollen, gibt es immer noch keinen offiziellen Fahrplan, wann wieder regulärer Unterricht in den Schulen stattfinden wird. Für viele Eltern hängt diese Frage allerdings unmittelbar mit der eigenen Erwerbsarbeit zusammen.

Die Regierung hält sich dazu bedeckt. Die Schulen seien nicht zuletzt wegen der großen Zahl an Menschen „eine große Herausforderung“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in einer Pressekonferenz. Man werde evaluieren, ob "die Schulen Mitte Mai öffnen, und wenn ja, wie“. Die Entscheidung darüber soll Ende April getroffen werden. Zumindest noch vier Wochen soll Unterricht also von zu Hause aus, via „Distance-Learning“, stattfinden.

Kaum Kinder in Betreuung

Die Zahl der Sechs- bis 14-Jährigen, die momentan in den Schulen betreut werden, hat sich laut Bildungsministerium nach den Osterferien zwar verdreifacht, liegt damit allerdings immer noch bei nur knapp einem Prozent.

Was dafür und was dagegen spricht

Für eine schnelle Wiederaufnahme des regulären Unterrichts spricht einiges: Je stärker die Wirtschaft wieder hochgefahren wird, umso mehr Kinderbetreuung braucht es. Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sie nicht beim Erarbeiten des Unterrichtsstoffs unterstützen können und die keinen Zugang zu Notebook, Drucker und Internet haben, werden durch Heimunterricht benachteiligt.

Für viele Eltern, besonders für Alleinerziehende, ist es zudem schwierig, Heimunterricht und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Und nicht zuletzt: Kinder und Jugendliche vermissen und brauchen ihre Freundinnen und Freunde. Gegen eine schnelle Wiederaufnahme des regulären Unterrichts spricht nur eines – das aber hat Gewicht: das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Und das beträfe neben den Kindern, Jugendlichen und Lehrenden auch deren Familien.

Schüler vor einer Schule in Wien
APA/Georg Hochmuth
Nur knapp ein Prozent der Schülerinnen und Schüler geht im Moment in die Schule

12,5 Minuten Händewaschen

Abgesehen vom Zeitpunkt stehen allerdings noch andere Fragen im Raum: In welcher Form wird der Schulbetrieb wieder hochgefahren? Welche Sicherheitsmaßnahmen sind notwendig? Wie realistisch ist es, dass diese in der Praxis umgesetzt werden können? Waschen sich etwa 25 Schülerinnen und Schüler nach der Ankunft in der Schule jeweils 30 Sekunden lang die Hände, dauert es – bei einem Waschbecken im Klassenzimmer – 12,5 Minuten, bis der Unterricht beginnen kann. Das ist ein Viertel einer Unterrichtsstunde.

Dazu müssen die Schulen aber erst einmal so ausgerüstet sein, dass alle Sicherheitsmaßnahmen und Hygieneempfehlungen eingehalten werden können. Dass es in Zeiten der Pandemie an jedem Schulstandort ausreichend Seife, Desinfektionsmittel und Mund-Nasen-Schutz gibt, ist allerdings nicht so selbstverständlich, wie man annehmen mag.

„Es besteht Mangel an allem“, so der oberste Lehrergewerkschafter Paul Kimberger im Interview mit ORF.at. Es gebe zwar auf Bundes- und auf Landesebene die Zusage, dass die Schulen mit Schutzmaterial versorgt werden. Bis jetzt sei es aber zu keiner flächendeckenden Versorgung gekommen – „das heißt, die notwendigen Schutzmaßnahmen können im Moment gar nicht eingehalten werden“.

„Individuelle Lösungen“ für Risikogruppe

„Viele Lehrerinnen und Lehrer machen sich Sorgen, dass sich die Kinder untereinander anstecken könnten, und natürlich auch, dass sie sich selbst anstecken könnten“, so Kimberger. Auch Sorgen von Eltern, die ihr Kind etwa wegen eines gefährdeten Familienmitglieds nicht so bald wieder in die Schule schicken möchten, müssten ernst genommen werden: „Die medizinische Empfehlung lautet, die Risikogruppen zu schützen. Es wird also individuelle Lösungen geben müssen.“

Lehrende würden sich auch sorgen, wie man die von der Regierung angeordneten Sicherheits- und Schutzmaßnahmen im Schulbetrieb umsetzen kann – etwa den notwendigen Abstand. Dieser sei „wahrscheinlich ein Ding der Unmöglichkeit“, sagte Kimberger.

Mindestabstand in Pausen „unrealistisch“

Ähnlich sieht es Stefan Reifmüller, Schulleiter der NMS Luftenberg in Oberösterreich. Das Einhalten eines Mindestabstands in Pausen sei „in realistischer Weise kaum bis nicht machbar“. Vor allem, wenn wieder eine größere Anzahl von Schülerinnen und Schülern in der Schule anwesend sei. Um das zu verhindern, also die Gruppengrößen zu minimieren, würde Reifmüller bei der Wiederaufnahme des Unterrichts den Fokus auf die Hauptgegenstände Deutsch, Mathematik und Englisch richten.

Die Schülerinnen und Schüler einer Klasse auf die einzelnen Wochentage aufzuteilen könnte „ein praktikabler Weg bis zum Ende des Schuljahres“ sein, so der Schulleiter gegenüber ORF.at. Aber selbst dann müsse man sich Regeln für den Einlass vor Unterrichtsbeginn, den Schülertransport und den Abstand in den Pausen überlegen, um zu enge Kontakte zu vermeiden.

„Nicht sofort von null auf hundert starten“

Auch für Kimberger ist es „oberste Prämisse“, die Schülerzahlen in den Gruppen so klein wie möglich zu halten. Und: eine Organisationsform zu wählen, die von den Lehrerinnen und Lehrern organisatorisch und pädagogisch gut umgesetzt werden kann. „Nicht klug wäre sicher, sofort wieder von null auf hundert zu starten.“

Wie so eine Organisationsform aussehen kann, darüber wird zurzeit viel diskutiert. Unterschiedliche Modelle für ein Wiederhochfahren des Unterrichts sind möglich. Manche wollen die Öffnung zunächst für die Kleinsten, andere für die Ältesten. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) plädierte am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal dafür, etwa den Unterricht in Volksschulen langsam wieder anzufahren, mit einem Schultag pro Woche – Audio dazu in oe1.ORF.at .

„Kontakt für Kinder, Entlastung für Eltern“

Eine Staffelung nach Bundesländern schlug Martin Sprenger, Public-Health-Experte aus Graz und bis vor Kurzem Mitglied im Expertenbeirat der Coronavirus-Taskforce des Gesundheitsministeriums, im Interview für den Ö1-Coronavirus-Podcast vor.

Im Burgenland, in Kärnten und in der Steiermark, wo die Infektionszahlen etwas geringer sind, könnte man mit der Betreuung der Kleinsten und den ersten acht Schulstufen starten. So könnten nicht nur Kinder wieder Kontakt mit Gleichaltrigen haben und schulisch weiterkommen, auch berufstätige Eltern würden dadurch entlastet.

„Wir könnten genau monitoren, was es bewirkt, wenn Schulen und Kindergärten wieder aufsperren. Wenn man sieht, dass sich in zwei bis drei Wochen nichts tut beim Krankheitsgeschehen, könnten die anderen sechs Bundesländer nachziehen. Sollte sich erschreckend viel tun, womit ich persönlich nicht rechne, dann müsste man auch die Konsequenzen ziehen“, so Sprenger – mehr dazu in science.ORF.at.

Masken tragen oder nicht?

So unterschiedlich wie die Modelle, so unterschiedlich sind auch die Strategien der einzelnen EU-Staaten. Egal welche Variante gewählt wird, entscheidend sei, dass alle Masken tragen, so der deutsche Epidemiologe Timo Ulrichs in der „Zeit“: „Jede und jeder, der sich dem Schulgebäude nähert, sollte dazu angehalten werden, einen Mund- und Nasenschutz anzulegen, um die Wahrscheinlichkeit einer Virusübertragung zu reduzieren.“ Zudem müsste die Zahl der Neuinfektionen genau im Auge behalten werden.

In Deutschland plant das Bundesland Nordrhein-Westfalen eine schrittweise Öffnung der Schulen ab kommender Woche, andere Bundesländer lehnen das strikt ab. Unterdessen wird an den ersten Volksschulen in Dänemark seit Mittwoch wieder regulär unterrichtet – unter strengen Auflagen der Behörden, aber ohne Masken. Berichten zufolge ließen viele Eltern ihre Kinder zu Hause. Die dänische Regierung hält trotz Kritik an ihrer Entscheidung fest und beruft sich auf die Empfehlungen von Gesundheitsexpertinnen und Gesundheitsexperten.

Kommende Woche beginnt auch in Norwegen die stufenweise Wiederöffnung der Schulen. Den Anfang machen Kindergärten und Vorschulen am Montag. In den Niederlanden sollen die ersten Schulen am 3. Mai öffnen, in Frankreich eine Woche später. Die meisten Staaten, wie eben auch Österreich, warten vorerst ab.