Karoline Edtstadler
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CoV-Gesetze

Edtstadler ruft Anschober zum Handeln auf

Die Debatte über die Rechtmäßigkeit der Coronavirus-Gesetze und -Verordnungen geht in die nächste Runde – nun in der ÖVP-Grünen-Regierung selbst. Denn am Freitag spielte die im Bundeskanzleramt für Verfassungsfragen zuständige Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) via Presseaussendung den Ball an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) weiter.

Seit Tagen wird darüber diskutiert, ob einzelne Gesetze und Verordnungen verfassungskonform sind bzw. das von der Regierung gewählte Vorgehen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, verhältnismäßig war – oder ob dadurch Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern zu sehr eingeschränkt werden. Zuletzt sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass die Regierung keine Reparatur der eilig beschlossenen Covid-19-Gesetze und -Verordnungen plant.

Kurz darauf meldete sich allerdings Gesundheitsminister Anschober zu Wort. Eine Expertengruppe solle über allfällige Unschärfen in Gesetzen, Verordnungen und Erlässen beraten, die man dann „selbstverständlich“ bereinigen werde. Kanzleramtsministerin Edtstadler betonte nun am Freitag: „Wenn Bundesminister Rudolf Anschober der Meinung ist, dass die Verordnungen und Erlässe aus seinem Ressort nicht gesetzes- und verfassungskonform sind, erwarte ich mir, dass er die Sache in die eine oder andere Richtung rasch klärt und die Bevölkerung nicht lange in Unsicherheit lässt.“

Rudolf Anschober
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Gesundheitsminister Anschober installierte eine Expertengruppe, die über die Coronavirus-Gesetze beraten soll

Millionen Menschen würden sich an die Ausgangsbeschränkungen des Gesundheitsministeriums halten, und diese Menschen würden sich darauf verlassen, „dass die Verordnungen und Erlässe gesetzes- und verfassungskonform sind“, so die Argumentation der Ministerin. Edtstadler selbst stehe hinter dem Vorgehen der Regierung zur Eindämmung der Coronavirus-Krise, sagte sie – und sie ist der „Meinung, dass die Regelungen rechtmäßig sind“, betonte sie. Die aktuellen Aussagen Edtstadlers wollte man im Gesundheitsministerium am Freitagabend auf Nachfrage nicht weiter kommentieren.

Diskussion zwischen Khol und Noll

In der ZIB2 am Freitagabend äußerten sich auch noch der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) sowie der Ex-Liste-Pilz-Abgeordnete Alfred Noll – beide sind auch Juristen. Alle müssten die Verfassung beachten, sagte Khol einleitend, „vor allem Minister Anschober mit seinen 60 Verordnungen hat eine Verpflichtung, auch seine guten Experten das nachprüfen zu lassen“. Der Rechtsstaat sei in keinster Weise in Gefahr, die Grundrechte seien eingeschränkt, weil die Gesundheit in Gefahr sei, so der ehemalige ÖVP-Spitzenpolitiker.

Diskussion über Covid-19-Gesetze

Höhlen die Covid-19-Gesetze und -Verordnungen im Kampf gegen das Coronavirus den Rechtsstaat aus? Ein Streitgespräch zwischen den Juristen und Ex-Parlamentariern Andreas Khol und Alfred Noll.

Noll sieht es „naturgemäß anders“, wie er sagte. So sei etwa die Verordnung des Gesundheitsministers, die das Betretungsverbot regelt, „weit überschießend“, weil die Verordnung nicht durch die Verordnungsermächtigung des Gesetzgebers gedeckt ist. „Das wissen alle Verfassungsjuristen in Österreich“, betonte Noll. In dem Umstand, dass das Parlament den Gesetzen einstimmig zugestimmt hat, sieht Noll noch keinen Beleg für die Einhaltung von Verfassungsrecht.

Österreich neige in der Krise zu einer „übertriebenen Verordnetheit“, Anlass für seinen Ärger sei auch die „Fantasielosigkeit des österreichischen Nationalrats“, in dem es keinen Diskurs über Grundrechte gegeben habe. Vor allem für die Grünen sei das „blamabel“, sagte Noll. Auch diese Kritik wies Khol entschieden zurück. „Es hat gebrannt in Österreich und die Gesundheit stand in Gefahr“, wies er auf die Dringlichkeit der Maßnahmen hin.

Jabloner übt Kritik

Die neuen Gesetzesmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie in Österreich werden von etlichen Juristinnen und Juristen als problematisch eingestuft. Am Freitag meldete sich auch Ex-Justizminister Clemens Jabloner zu Wort und nahm das ÖVP-geführte Bundeskanzleramt in die Pflicht. Man dürfe sich „nicht auf den Verfassungsgerichtshof herausreden“, übte der ehemalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofes Kritik.

Der Ex-Justizminister, der in der Expertengruppe des Gesundheitsministers sitzt, äußerte sich dazu, dass es für viele Menschen nicht klar sei, wie sie sich im öffentlichen Raum per Gesetz zu verhalten haben. „Das Erste ist, dass Verhaltensregelungen, die von so vielen Menschen befolgt werden sollen und alltäglich, ganz klar sein müssen“, sagte Jabloner im Ö1-Morgenjournal, nachdem am Vorabend das Expertengremium zur Evaluierung getagt hatte. Denn „wenn einmal die Juristen und Juristinnen beginnen, über die Interpretation zu streiten, dann ist ein Alarm angesagt“ – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Dass etwa ein Ministerium alleine für die Gesetzesumsetzung zuständig sei, sieht Jabloner nicht ein. „Es ist ja nicht der Gesundheitsminister ganz allein auf weiter Flur“, so der Ex-Minister. Vielmehr sollten die Kapazitäten des Bundeskanzleramtes genutzt und der geregelte Prozess der Legistik eingehalten werden. „Das ist möglichst fachkundig abzuführen, auch unter Zeitdruck. Also man kann sich nicht auf den Verfassungsgerichtshof herausreden, dass der nachträglich dann alles korrigieren wird“, sagte er in Anspielung auf Äußerungen von Bundeskanzler Kurz.

Unklar, ob und wann Änderungen kommen

Das Kanzleramt sei für die verfassungsgemäße Vorbereitung aller Rechtsakte zuständig. „Es gibt auch eine Verfassungsministerin und einen Apparat, den Verfassungsdienst, der hier seit hundert Jahren tätig ist“, unterstrich Jabloner, der damit offensichtlich auf Edtstadler reagierte, die die inhaltliche Verantwortung für die Verfassungskonformität der Maßnahmen beim jeweiligen Ressort und damit vor allem bei Anschober verortet hatte.

Edtstadler wies am Nachmittag die Kritik Jabloners als nicht nachvollziehbar zurück. Aus Dringlichkeitsgründen habe man sich über alle Parteigrenzen hinweg auf ein verkürztes Gesetzgebungsverfahren geeinigt, sagte sie im Ö1-Mittagsjournal – Audio dazu in oe1.ORF.at. Deshalb sei der Verfassungsdienst nicht eingebunden worden. „Der Verfassungsdienst bringt in einem Begutachtungsverfahren Stellungnahmen ein, aber genau dieses gab es in dem Fall nicht und daher auch keine Einbindung des Verfassungsdienstes“, so die im Bundeskanzleramt für Verfassungsfragen zuständige Ministerin. Stattdessen sei das Gesetz mittels Initiativantrag auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt worden.

Edtstadler: „Alle Gesetze intern abgestimmt“

„Gerade wenn es um die Vereinbarkeit einer Verordnung mit der gesetzlichen Grundlage geht, dann ist natürlich jedes Ressort genauso wie der Verfassungsdienst und das Bundeskanzleramt an die Verfassung gebunden“, sagte Edtstadler. Der Verfassungsdienst sei hier formal nicht eingebunden gewesen, weil auch diese Verordnung ohne Begutachtung erlassen worden sei, so die Ministerin. Im von Anschober geleiteten Gesundheitsministerium bestätigte man das, erklärte aber gleichzeitig: „Alle Gesetze und Verordnungen wurden und werden selbstverständlich regierungsintern abgestimmt.“

Clemens Jabloner
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Ex-Justizminister Jabloner nahm am Freitag das Bundeskanzleramt in die Pflicht

Konkreten Reparaturbedarf ortet Jabloner etwa bei der Verordnung über das Betreten der Öffentlichkeit, also bei den Ausgangsbeschränkungen. „Wir haben gestern einen intensiven Meinungsaustausch darüber gehabt, wie man die Verordnung einerseits präziser machen kann, andererseits aber auch nicht zu kasuistisch (auf spezifische Einzelfälle bezogen, Anm.) gestaltet“, sagte er. Ob und wann es Änderungen geben werde, wollte er nicht beurteilen. Anschober wolle die Ergebnisse der Gruppe in den politischen Prozess einspeisen. „Was dann daraus gemacht wird, weiß ich nicht", so Jabloner.

„Rechtsstaat steht nicht zur Disposition“

Neben Jabloner sitzen unter anderen der frühere Innenminister Wolfgang Peschorn und die Zivilrechtsprofessorin Christiane Wendehorst im Juristengremium. Diese sagte, man sollte bei Nachbesserungen mit Augenmaß vorgehen. Maßnahmen, die unter den erschwerten Bedingungen der Coronavirus-Pandemie getroffen worden seien, könnten nicht dieselben Qualitätsansprüche erfüllen, die sonst gestellt würden. Zwar sollte man laut Wendehorst angesichts der kurzen Geltung nicht alles permanent optimieren, doch müsse klar sein, dass Verfassung und Grundrechte auch nicht vorübergehend außer Kraft gesetzt seien, betonte sie am Donnerstag: „Der Rechtsstaat steht nicht zur Disposition.“

Jabloner stimmte dem indirekt zu, obwohl es sich um eine Notsituation handle. Bundeskanzler Kurz hatte die unter Kritik geratenen Regeln unter anderem damit begründet, dass in der Krise schnell gehandelt werden müsse. Neue Gesetze auch in Krisensituationen zu machen dürfe, so der Ex-Justizminister, aber nicht heißen, „dass man sich nicht bemühen muss, die Regelungen möglichst klar und auch verfassungskonform zu entwerfen“.

Aufgrund der Pandemie wurden in kurzer Zeit zahlreiche Gesetzesänderungen beschlossen und Verordnungen erlassen. Kritikerinnen und Kritiker, beispielsweise der Nationalratsklub der Grünen, kritisierten das. Viele griffen in einem Maße in lange erkämpfte Grund- und Freiheitsrechte ein, wie man es sich zuvor nicht hätte vorstellen können, hieß es in der Aussendung des grünen Klubs am Donnerstag. Aus diesem Grund begrüße man das von Anschober eingesetzte Juristengremium.