Bub schaut durch das Fenster auf die Straße
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Kleine Wohnungen

Enge trifft Kinder besonders

Die Ausgangsbeschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie wirken sich auf Menschen in beengten Wohnverhältnissen härter aus als auf andere. Kinder seien besonders häufig davon betroffen, sagt der Soziologe Johann Bacher von der Uni Linz.

In Österreich leben laut Bacher rund 20 Prozent der Kinder in beengten Wohnverhältnissen, die zudem über keine private Freifläche wie einen Balkon oder Garten bieten. Dabei stelle sich das Problem in Wien häufiger als in anderen Teilen Österreichs. Dies sei aber kein „Wien-spezifisches Phänomen“, wie Bacher in einem Blogbeitrag zum Austrian Corona Panel Project schreibt, sondern hänge vielmehr mit den spezifischen Wohnbedingungen in Großstädten, beeinflusst von größerer Dichte, höheren Boden- und Mietpreisen oder Zuwanderung, zusammen.

Obwohl die Wohnraumversorgung hierzulande im Durchschnitt gut ist, sei der Wohnraum ungleich verteilt, so Bacher. Insgesamt sechs Prozent leben in Österreich in beengten Wohnverhältnissen. Mit der Enge sind Kinder häufiger konfrontiert. Abhängig vom Alter sind das zwischen 17 Prozent (Kinder ab 6 Jahren) und 24 Prozent (Kinder zwischen 0 und 5 Jahren). Bei Erwachsenen macht diese Gruppe gemäß den Befragungsdaten zehn Prozent aus.

Große Haushalte stärker betroffen

Kern der Studie ist eine Panelumfrage mit einer Stichprobe von 1.500 Teilnehmern, wobei die Stichprobe die soziodemografische Struktur der Bevölkerung repräsentativ abbilde. Bei der Definition von „beengten Wohnverhältnissen“ hat sich der Soziologe an die Statistik Austria angelehnt. Demnach liegen diese vor, wenn sich zwei oder mehr Personen eine Wohnung (inklusive Küche, Bad, WC, Vorraum) mit weniger als 35 Quadratmetern teilen, oder ein Paar mit zwei oder mehr Kindern in einer Wohnung mit maximal 70 Quadratmetern lebt.

Hinweisschild an einem Spielplatz in der Prater Hauptallee
APA/Hans Punz
Spielplätze dürfen derzeit nicht betreten werden

Abhängig von der Haushaltsgröße stehen in puncto Wohnfläche in Österreich Einpersonenhaushalten pro Person 70,2 Quadratmeter und Fünf- oder Mehrpersonenhaushalten 25,7 Quadratmeter zur Verfügung. Größere Haushalte seien häufiger von Wohnungsenge betroffen als kleinere. Bei Haushalten, in denen eine oder zwei Personen leben, sind weniger als ein Prozent damit konfrontiert. In Haushalten mit drei bzw. vier Personen erhöht sich dieser Wert auf sieben bzw. acht Prozent. Unter Haushalten mit fünf und mehr Personen sind 29 Prozent von Wohnungsenge betroffen.

Ein möglicher Grund für die starke Betroffenheit von großen Haushalten könnte die Dominanz des Ideals der Zwei-Kind-Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern sein, das den Wohnbau seit der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart geprägt habe, schreibt der Soziologe. Somit gebe es auch nur wenige Wohnungen, die größeren Familien oder anderen Wohnmodellen genug Platz böten.

Experten warnen vor Folgen

Während der Krise brauche es daher besondere Unterstützung für Menschen in beengten Wohnverhältnissen. Etwa sollten „Arbeitsplätze“ in Schulen oder Stadtteilzentren angeboten und Anreize geschaffen werden, die Wohnumgebung zu erkunden. Auch sollte bei der Öffnung der Infrastruktur Kindern der Vorrang eingeräumt und zuerst Spielplätze, anschließend Kindergärten, Volksschulen und Schulen der Sekundarstufe geöffnet werden, sagte Bacher am Sonntag.

Für eine schrittweise Öffnung der Einrichtungen sprach sich unlängst auch Public-Health-Experte Martin Sprenger aus Graz in einem „Addendum“-Artikel aus. Dabei sollten Risikopersonen Kindergärten und Schulen fernbleiben oder freigestellt werden. Die Freiheitsbeschränkungen für „Kinder, die in Städten in kleinen Wohnungen ausharren müssen, ohne Spielplatz, Park und beste Freunde, ohne Kontakt zur Schule“, könnten „in manchen Fällen jahrelange, vielleicht sogar lebenslange Auswirkungen haben“, warnte Sprenger.

„Je länger die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen dauern, umso größer wird auch die psychische Belastung", sagte auch Birgit Satke, Leiterin des Kinder- und Jugendnotrufs Rat auf Draht, am Freitag in einer Aussendung. „Kinder und Jugendliche leiden ganz besonders unter der derzeitigen Situation. Sie vermissen ihre Freunde und ihr gewohntes Leben. Dazu kommt die Ungewissheit, wie es mit der Schule weitergeht.“ Hinzu kämen häufig familiäre Konflikte: „Die Situation ist in vielen Familien inzwischen sehr angespannt“, so Satke.

Sobotka: Fahrplan „in der nächsten Zeit“

Dass die Veränderungen während der Krise bei vielen Menschen zu Belastungen führen, kann Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka gut nachvollziehen. „Ich verstehe das sehr gut“, sagte er etwa in Bezug auf Homeschooling von Kindern und Jugendlichen. Zur Wiedereröffnung von Schulen konnte er am Sonntag in der ORF-Pressestunde jedoch nicht viele Neues berichten. Er erwarte sich einen Fahrplan „in der nächsten Zeit“, das liege im Bereich des Bildungsministeriums. Ihm sei klar, dass Eltern sehr gefordert sind, aber mit viel Humor und Kreativität könne man den letzten Weg noch durchhalten, gab sich der ehemalige Lehrer überzeugt.