Dan Reisner beim Action Painting während der Skype-Konferenz
Screenshot Dan Reisner
Dan Reisner

„Action-Painting“ gegen den Covid-Stress

Seit seinen eigenen traumatisierenden Erfahrungen im Libanonkrieg hat der israelische Künstler Dan Reisner eine Mission: Kunst könne heilen und jeden von seinen ganz persönlichen Lasten befreien. Reisner, dessen Arbeiten auch schon in Wien zu sehen waren, sieht die Coronavirus-Krise als Chance: Im Moment stecke die ganze Welt in einer neuen Situation von Gemeinsamkeit. Und in seinem Land nutzt er schon mal Videokonferenzen für eine Gruppentherapie. Mittels „Action Painting“.

Die Welt befindet sich seit Covid-19 in einer ungewohnten Gemeinsamkeit. Überall muss man mit Ausgangsbeschränkungen und dem Gefühl von Eingesperrtsein zurechtkommen. Der in Jaffa lebende und arbeitende Künstler Dan Reisner sieht den Druck, den diese an vielen Orten ungewohnte Situation erzeuge, meint aber zugleich, wenn, dann wären Künstler die Partner für einen gesamtgesellschaftlichen Prozess. „Wir Künstler sind eigentlich sehr darauf vorbereitet, uns einzusperren, in uns selbst zu gehen – um dann aus uns herauszukommen“, so Reisner in einem Gespräch, das man wie so oft in diesen Tagen über eine Videokonferenz abhält.

„Künstler sind auf diese Situation vorbereitet“

Dan Reisner erklärt in seinem Atelier in Java, warum Künstler im Moment besonders darauf vorbereitet seien, mit Krisen wie dem Coronavirus umgehen zu können.

„Ich bin gerade mit meiner Frau aus Bethlehem zurückgekehrt, als die Corona-Maßnahmen inkraft traten, und da wir in den Westbanks waren, mussten wir, so wollten es die Vorschriften, 14 Tage in Quarantäne gehen“, berichtet er. Bis auf den Umstand, nicht mehr auf die Straße gehen zu können, sei sein Leben so gewesen wie bisher: Er sei zwischen seiner Wohnung und dem Atelier im Erdgeschoß einsam hin und her gependelt, gleichzeitig mit einer großen Wachsamkeit für die Lage in seinem Land, das ja sehr frühzeitig einschneidende Maßnahmen gewählt hat – und das ja aus ganz anderen Gründen geübt ist, mit Rückzugsszenarien umgehen zu müssen.

Kunst als Therapie

Seit Jahren ist Reisner nicht nur als bildender Künstler mit Schwerpunkt Bildhauerei und Plastik tätig. Reisner, dessen Arbeiten vor zwei Jahren auch im Jüdischen Museum in Wien zu sehen waren, hat sich der Kunstdidaktik verschrieben und arbeitet speziell mit traumatisierten Menschen, denen er einen Zugang zur Kunst und zum Schaffen ermöglichen will. „From Strait to Create“ (zu Deutsch etwa: „von der Straße zum Erschaffen“) nennt er seine Methode, mit der er Menschen abholen möchte, die sich in einer gewissen Notsituation wie eingeschlossen und in einem Tunnel befinden.

„Auch jetzt, mit der Corona-Krise, merkt man, dass sehr viele Menschen geradezu den Drang verspüren, künstlerisch etwas realisieren zu wollen“, erzählt Reisner. Künstler, so seine Überzeugung, könnten diesen Prozess leiten – und letztlich auch das Gefühl stärken, dass man den Gang der Dinge wieder selber bestimmen kann. Zu den Kunden Reisners zählen nicht nur ehemalige Mitglieder aus dem militärischen Bereich (Reisner arbeitete auch Traumata mit Veteranen des Jom-Kippur-Krieges auf) – vergangene Woche arbeitete Reisner mit den Mitarbeitern aus dem Gesundheitsbereich deren Stressbelastungen auf.

Israelisch Begriffe wie „Haus“ am Rand des großen Bildprojekts
Screenshot ORF.at
Reisner zeigt das Begriffesammeln am Anfang der gemeinsamen Malsitzung

Coronavirus und die unsicheren Grenzziehungen

Reisners Partner in einer Videokonferenz waren die Verantwortlichen eines der zwei führenden israelischen Gesundheitsdienste. Es ging vor allem um die Belastungen, die im Moment in der Betreuung von Telefonanfragen entstehen. Die Verantwortlichen der Hotlines nannten in einer Schaltkonferenz nicht nur die Themen, mit denen man sich in diesen Tagen zu beschäftigen habe – Reisner fragte die Beteiligten nach ihren Gefühlen und Stimmungen. Er stellte im Hintergrund seines Ateliers einen zwei Meter breiten Holzmalgrund auf – und ließ sich von den Inputs der Konferenzteilnehmerinnen leiten.

Zuerst, erzählt er, habe man allgemeine Begriffe gesucht, „bevor wir näher auf die Situation der Einzelnen eingegangen sind“. Der Verlust der Grenzen und die Verwandlung des eigenen Hauses von einer Zone der Geborgenheit hin zu einem Schauplatz, so beschrieb es einer, der einer „Kommandozentrale in einem Krieg“ gleiche. „Wir sind in einer Situation, in der wir davor noch nie waren“, sagte eine andere Teilnehmerin.

Reisner wollte die Teilnehmer der Konferenz von ihrer eigenen Perspektive, wie er sagte, „herausführen“: „Alle erkannten die Ähnlichkeit ihrer Situation.“ Als man im äußeren Kreis eine Reihe an dunklen Dornen angelegt hatte, habe jemand gefordert: „Wir brauchen jetzt unbedingt Gelb.“ Schritt für Schritt habe er als Künstler versucht, als Mediator, ja als Darsteller, der die Gefühle anderer aufnimmt, aufzutreten.

Das Haus im Zentrum habe man erst am Schluss als den zentralen Schauplatz aus dem dunklen Malgrund herausgerieben. „Zum ersten Mal bin ich still gestanden und habe mir meine Situation bildlich ansehen können“, habe eine der Teilnehmerinnen am Schluss gesagt. Eine Form von Befreiung, vor allem aber Perspektivenwechsel, sei das Entscheidende eines solchen Prozesses, zeigt sich Reisner im Gespräch nach seinem kollektiven Malprojekt sicher.

Gruppenbild mit weißem Haus in dunklem Grund, rundherum sehr bunter, floraler Rand
Dan Reisner
Ergebnis einer gemeinsamen Gruppenarbeit: „Es muss noch etwas Gelbes hinein.“

Coronavirus-Krise als „Moment der Chance“ für Israel

Für Israel sieht Reisner im Moment eine Chance gekommen. „In den Krankenhäusern arbeiten Israeli und Araber eng zusammen – alle wollen Leben retten, und das erzeugt ein neues Gefühl des Zusammmenhalts“, so Reisner, der zugleich auch ortet, dass die jetzige Situation politischen Entscheidern sehr viel Macht in die Hände lege, „Dinge in die eine oder andere Richtung zu puschen“. Dennoch gibt er sich überzeugt: „Wenn diese Situation nicht eine Änderung in unserer Gesellschaft herbeiführt, dann weiß ich nicht, aus welcher Situation überhaupt noch so was wie Änderungen kommen können.“

Dan Reisner über CoV und die Gesellschaft in Israel

„Wenn das nicht eine Veränderung bringt, dann weiß ich nicht, was in Israel Veränderungen bringen soll.“

Kollektive Gemeinsamkeit

Überhaupt sieht er die ganze Welt momentan in einer ähnlichen Lage. „Nur dieses Gefühl, dass wir gerade alle da gemeinsam drinnenstecken, macht das ganze erträglich und gibt auch eine Chance: dass wir jetzt den Drang verspüren, nicht in diesem Zustand gefangen zu bleiben, sondern auch in diesen Momenten des Isoliertseins und der Einschränkung etwas tun wollen.“

Er selbst erinnert sich dabei an die traumatisierenden Erfahrungen seines Libanon-Einsatzes in den Jahren 1983 bis 1986, „unser Vietnam“, wie er es bezeichnet. Damals sei er in einem Land gewesen, das dem eigenen komplett geglichen habe – aber man sei mitten in einem Krieg gestanden, dessen Motive man nicht verstehen konnte. Die Erfahrung des Todes eines Kameraden auf derselben Patrouille habe bei ihm schwere Traumatisierungen hervorgerufen: „Ich wusste nach einiger Zeit: Ich kann durch die eine Tür gehen, wo danach alles nur noch dunkler werden würde – oder aber, ich gehe durch eine Tür, nehme mein Schicksal in die Hand und bin in der Lage, mich selbst aus dieser Grube herauszuziehen“, so Reisner. Sein Weg durch die richtige Tür sei die bildliche und plastische Aufarbeitung seiner Traumata mit Kunst gewesen.

Kurzfilm: Dan Reisner, vom Trauma in die Kunst

Seit seinen eigenen traumatisierenden Erfahrungen im Libanon-Krieg hat der israelische Künstler Dan Reisner eine Mission: Kunst kann heilen.

Beinahe archetypisch sehen die Arbeiten von Reisner aus, die man da in seinem Atelier sieht. Es sind Avatare des eigenen Lebens, Spiegelungen – und Transfers einer Lebensgeschichte, die selbst davon erzählt, wie man aus einer inneren Spaltung zu einer Art von Selbsterhöhung über die eigene Situation komme. Manche Skulptur sieht dabei aus wie ein Übergang zwischen surrealistischer Gestaltungen zu Abstraktionen, wie man sie etwa von Brancusi kennt.

Felix Nussbaums Triumph des Todes mit gerippen über einem absurden Schlachtfeld, darüber Papierdrachen
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Felix Nussbaums „Triumph des Todes“, eines der letzten Bilder dieses Hauptvertreters der Neuen Sachlichkeit

Der Bezug zu Felix Nussbaum

Zentraler Bezugspunkt seines Schaffens ist das Werk des deutschen Malers Felix Nussbaum, der 1944 gemeinsam mit seiner Frau, der polnischen Malerin Felka Platek, im gemeinsamen Brüsseler Versteck denunziert worden war und so wie seine Frau auch in Auschwitz ermordet wurde. „Triumph des Todes“ heißt eine der letzten Arbeiten Nussbaums, in der er das berühmte Werk von Hieronymus Bosch in die Erfahrung seiner Gegenwart überführte. Über den Gerippen Nussbaums schweben Drachen – ein Motiv, das Reisner für ein Monument für Nussbaums Geburtsstadt Osnabrück wieder aufnahm, um die Bedeutung der Vorlage in ihr Gegenteil zu drehen: Reisner will den „Triumph des Lebens“, wie er seine Arbeit nennt, zelebrieren. Reisner sieht sich wie in Nussbaums Biografie eingestiegen, die er auf einer zweiten Ebene fortsetzen wolle.

Entwurf für das Monument Triumph des Lebens von Dan Reisner
Dan Reisner
Reisners Entwurf zum Monument für die Geburtsstadt von Felix Nussbaum, Osnabrück: „Der Triumph des Lebens“

Reisner ist tief überzeugt von der Notwendigkeit der Empathie, die er als einen Schlüssel für die Überwindung der Konflikte in seiner eigenen Heimat ansieht. Er selbst hat sein Atelier in jenem Teil Jaffaas, der einst von amerikanischen Pietisten am Rande der alten arabischen Stadt besiedelt worden war. Jeden Tag, wenn er aus seinem Atelier geht, sieht er, wie sich kulturelle Einflüsse überkreuzt haben. Er begegnet, wie auf unserem Video, aber auch Soldaten – und erinnert sich, wie seine eigene Geschichte als Künstler in Gang gekommen ist. „Vielleicht wäre ich ohne mein Trauma ein anderer Künstler geworden. In jedem Fall aber wusste ich, dass ich ein Künstler werden muss“, erzählt er. Jetzt ist es eine Form der Kunst mit einer gesellschaftlichen Mission geworden.