Tanklastwagen in Texas, USA
Reuters/Angus Mordant
Viel zu viel da

Kollaps des US-Ölpreises

Der Rohölpreis ist Montagabend in den USA beispiellos abgestürzt. Am Ende notierte jener für die bekannte US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) für die Lieferung im Mai zum ersten Mal in der Geschichte im Minus. Zuallererst lag das daran, dass das entsprechende Termingeschäft am Dienstag (Ortszeit) ausläuft: Weil für die nächsten paar Wochen mehr Erdöl da ist als offenbar verbraucht wird, will es auch niemand mehr haben, sondern im Gegenteil möglichst loswerden – aus verschiedenen Gründen.

Die Rohölpreise sind seit Wochen unter Druck, in den USA ging es am Montag steil bergab. Erst fiel bei der bekannten Referenzsorte WTI der Preis von 1986, dann ging es unter fünf, später auf einen Dollar je Barrell (159 Liter) und schließlich ins Minus.

Am Ende lag der Preis nach einem Tagesverlust von mehr als 200 Prozent nicht nur auf dem niedrigsten Stand seit Einführung des Futurehandels 1983, sondern bei minus 18,30 Dollar (16,8 Euro). Theoretisch bezahlten damit Produzenten ihren Abnehmern Geld.

Spezielle Situation

Einerseits zeige das, hieß es in Analysen dazu Montagabend, wie stark aktuell Angebot und Nachfrage auseinanderklafften. Andererseits – und vor allem – handelt es sich auch um ein sehr spezielles Phänomen: Der entsprechende Terminkontrakt auf US-Öl zur Lieferung im Mai verfällt am Dienstag (Ortszeit). Bei derartigen Termingeschäften, Futures, wird die Lieferung einer Ware zu einem festen Preis und Termin vereinbart. Für Mai will derzeit offenbar niemand mehr US-Öl haben.

Kurvengrafik über den absteigenden Ölpreis
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Wohin damit?

Wegen der gesunkenen Nachfrage auf der einen und des zu hohen Angebots auf der anderen Seite hätten in den USA kurzfristig Lagerkapazitäten gedroht überschritten zu werden, schrieb die „Financial Times“ Montagabend. Händler hätten deshalb „kapituliert“. Die britische Wirtschaftszeitung verwies auch darauf, dass die USA mit ihrer Offensive bei Schieferöl (Fracking) zum größten Erdölproduzenten geworden sind.

Tanklastwagen in Texas, USA
Reuters/Angus Mordant
Nach ihrer jahrelangen Offensive bei Fracking sitzen die USA auf vollen Lagern

Ein weiteres Indiz für eine spezielle Situation: Mit dem Mai-Future für die US-Leichtölsorte stürzten nicht alle gleichermaßen ab. Der für Juni und WTI lag Montagabend bei 22,30 Dollar und kostete damit schon deutlich mehr, die wichtigste europäische Referenzsorte Brent aus der Nordsee notierte bei 26,50 Dollar pro Barrell.

Längerfristig Wetten auf höheren Preis

Obwohl beide damit ebenfalls klar in der Verlustzone lagen, zeigt das, dass Händler längerfristig wieder mit höheren Preisen rechneten – zumindest noch. Das „Wall Street Journal“ verwies als Beispiel auf den Preis für November. Der zeige, dass Händler davon ausgingen, dass die Coronavirus-Krise vorübergehend sei und die Rohölpreise wieder steigen würden.

Die „Financial Times“ zitierte einen US-Erdölmarktexperten mit den Worten, er gehe davon aus, dass die Lagerkapazitäten in den Vereinigten Staaten in den beiden nächsten Wochen erschöpft sein würden. Der Verbrauch sinke, mit steigender Arbeitslosigkeit würden viele Amerikanerinnen und Amerikaner auf den Sommerurlaub verzichten müssen, es würde weniger Treibstoff verbraucht. Die Monate mit dem gewöhnlich stärksten Bedarf würden heuer ausfallen.

Noch ein besonderer Effekt

Laut der Wirtschaftszeitung wurde auch davon gesprochen, Händler, die über tatsächliche Lagerkapazitäten verfügten, würden auf andere, die diese nicht hätten, „Druck machen“, um sich „ultrabillig“ Bestände „schnappen“ zu können, um diese dann einen Monat später für 20 Dollar und mehr verkaufen zu können. Zur Erinnerung: Während der Finanz- und Wirtschaftskrise waren die Rohölpreise 2008 auf beinahe 150 Dollar geklettert.

Aufgrund der wesentlich höheren Preise für künftige Rohöllieferungen, nicht nur bei US-Öl, sprachen Marktteilnehmer von einem „Super-Contango“. Eine solche Marktsituation ist gekennzeichnet durch steigende Preise, je weiter ihre physische Auslieferung in der Zukunft liegt, bedingt etwa auch durch Lagerkosten. Sie kann ein Zeichen für eine aktuell besonders schwache Nachfrage oder ein besonders hohes Angebot sein. Gegenwärtig trifft beides zu.

Krise und Preiskampf der Produzenten

Durch die Coronavirus-Pandemie ist der Flugverkehr fast vollständig zum Erliegen gekommen, es gab Produktionsstopps in der Industrie, durch die geltenden Einschränkungen der individuellen Bewegungsfreiheit werden weniger Treibstoffe verbraucht. Dazu kam, dass einander die großen Förderländer Saudi-Arabien und Russland einen Preiskampf geliefert hatten. Seither hätten sich die Lager beständig gefüllt, schrieb das „Wall Street Journal“. Kürzlich kündigten dann zwar auch sie deutliche Förderkürzungen an, um den Preis über ein knapperes Angebot zu stabilisieren, das führte bisher aber zu keinem größeren Effekt.