Arbeiter an einer Hausfassade
Reuters/Lisi Niesner
Trübe Aussichten

Wirtschaft braucht Jahre zur Erholung

Die Erholung der Wirtschaft in Österreich könnte sich nach der Coronavirus-Pandemie länger hinziehen als zunächst gehofft. Ökonomen rechnen mit bis zu drei Jahren. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte heuer um bis zu 6,0 Prozent zurückgehen.

Ende März hatten WIFO und IHS im besten Fall mit einem Minus des BIP von zwei bis 2,5 Prozent und einer V-förmigen Rezession gerechnet. Das hätte einen scharfen Einbruch der Konjunktur gefolgt von einer kräftigen Erholung im zweiten Halbjahr 2020 und im Folgejahr bedeutet. Ökonomen der Wirtschaftsuniversität Wien, des Instituts für höhere Studien (IHS), des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) und des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) zeichnen in einer gemeinsamen Studie allerdings ein etwas trüberes Bild.

Das Minus von 6,0 Prozent des BIP ergebe sich unter der Annahme, dass die Reduktion der wirtschaftlichen Tätigkeiten bis Mitte Juni anhält, heißt es in einer Aussendung der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU). Sollte sie nur bis Mitte Mai dauern, ist mit einem BIP-Rückgang von 4,0 Prozent zu rechnen.

Zahlen könnten weiter nach unten gehen

Die Zahlen könnten aber noch weiter nach unten gehen, sagte IHS-Chef Martin Kocher am Dienstag im Ö1-Journal, beispielsweise wenn der Tourismus im Sommer sehr viel restriktiver geregelt wird als angenommen. Es gebe aber auch Entwicklungen, die zu einer Verbesserung der Lage und damit der Prognosen führen könnten. Kocher nannte hier die Entwicklung eines Covid-19-Medikaments oder eines SARS-CoV-2-Impfstoffs.

Grafik zeigt Wirtschaftsprognose
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: WU Wien

„Wir können zwar derzeit sehr gut berechnen, welche Kosten sich ergeben aus einer Woche der Beschränkungen – zwei Milliarden ungefähr“ sagte Kocher, „aber das Problem ist, dass wir nicht wissen: Wie lange dauert das? Und das ist entscheidend für die wirtschaftlichen Abschätzungen.“

BIP bis Ende 2022 nicht auf Vorkrisenniveau

Für die zwei darauffolgenden Jahre erwarten die Ökonomen zwar eine klare Erholung und positive Wachstumsraten, auf Vorkrisenniveau werde das BIP jedoch auch bis Ende 2022 nicht zurückkehren. Zum Verhängnis werde Österreich unter anderem die starke internationale Vernetzung in der Industrie.

„Kleinere Volkswirtschaften wie Österreich, die über hochentwickelte Produktions- und Dienstleistungssektoren mit einem komplexen Netzwerk internationaler und inländischer Wirtschaftsbeziehungen verfügen, müssen daher mit einem spürbaren Multiplikatoreffekt der Covid-19-Pandemie-Krisenmaßnahmen rechnen“, so der WU-Ökonom Jesus Crespo Cuaresma.

Arbeitslosenquote über zehn Prozent

Trotz der Möglichkeit der Kurzarbeit erwarten die Volkswirte für 2020 einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf über 10,5 Prozent – unter Annahme der derzeit geltenden Beschränkungen bis Mitte Mai. Sollten die Maßnahmen bis Mitte Juni in Kraft bleiben, steigt die Prognose sogar auf zwölf Prozent, und vor Ende 2022 wäre keine Rückkehr auf ein Vorkrisenniveau abzusehen. Aber auch hier lässt sich laut Kocher aufgrund der vielen verschiedenen Risiken nicht seriös sagen, wie sich die Zahlen entwickeln werden.

Staatsverschuldung bei 75 Prozent

Die Staatsschuldenquote wird sich laut der vorliegenden Analyse wegen der von der Regierung beschlossenen Finanzhilfen bis Jahresende von 70,4 auf knapp 75 Prozent erhöhen und erst Ende 2022 wieder auf rund 70 Prozent fallen, sollten die Beschränkungen für die Wirtschaft nur bis Mitte Mai gelten, so die Volkswirte.

Hilfsmaßnahmen unbedingt notwendig

Die staatlichen Hilfsmaßnahmen seien dennoch unbedingt notwendig, insbesondere für die unmittelbar betroffenen Sektoren wie das Beherbergungs- und Gaststättengewerbe. Für dieses rechnen die Wissenschaftler mit einem starken Produktionsrückgang im Jahresverlauf, der längere Zeit nicht aufgeholt werden dürfte.

„Für den Bereich Beherbergungs- und Gaststättengewerbe wird bis zum Ende des zweiten Quartals 2020 ein Rückgang um bis zu 33 Prozentpunkte unter der Annahme einer neunwöchigen Abschaltung und um mehr als 50 Prozentpunkte prognostiziert, wenn die Beschränkungen bis Mitte Juni beibehalten werden. Dieser Produktionsrückgang wird durch die anschließende Ausweitung innerhalb unseres Simulationszeitraums von drei Jahren nur teilweise kompensiert, sodass die sektorale Produktion insbesondere für Bauwesen, Handel, Transport und Gastgewerbe unter dem Trend bleibt“, so die Forscher.

IV: Vor allem Dienstleistungssektor betroffen

Bereits in den vergangenen Tagen hatte Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), von einem erwarteten BIP-Einbruch für heuer von 7,6 Prozent bzw. 31 Mrd. Euro gesprochen. Am Dienstag präzisierte die IV, dass davon sieben Mrd. Euro auf die Gastronomie und weitere zwölf Mrd. Euro auf sonstige Dienstleistungen wie Friseurbesuche und Pflege, Sport- und Kulturveranstaltungen fallen. Die Industrie (inklusive Energie) dürfte mit einem Minus von rund fünf Mrd. Euro, Bau und Handel mit einem Minus von rund drei bzw. 3,5 Mrd. Euro betroffen sein.

„Dieser Schaden wird nicht am Ende der Wiederanlaufphase beseitigt sein – das wird noch länger ein Echo haben“, sagte Helmenstein am Dienstag. Mit Wiederanlaufphase bezeichnet die IV den Mai und Juni dieses Jahres. Darauf soll die Phase der Normalisierung folgen, die im Juli beginnen soll und vorerst bis Ende des Jahres anberaumt ist, aber im Grunde bis zur Verfügbarkeit eines Therapeutikums oder eines Impfstoffes dauern dürfte.

Um Österreich aus der Krise steuern zu können, müsse die Regierung nun vor allem den Standort Österreich stärken, sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Er schlug Investitionsfreibeträge für digitalisierungs- und umweltfördernde Investitionen vor. Weiters sprach sich Neumayer für den Ausbau der Mitarbeiterbeteiligungsprogramme aus. Zudem müssten Schlüsseltechnologien in Österreich gehalten bzw. wieder angesiedelt werden – „nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch aus Resilienzgründen“, sagte Neumayer. Beispielsweise müsse in der Pharmaindustrie die Abhängigkeit von Asien reduziert werden.

Ruf nach „grünem Wiederaufbau“

WIFO und das auf Klimafragen spezialisierte Wegener Center der Universität Graz plädieren, die Verwendung von öffentlichen Mitteln an zwei Zielen auszurichten: der Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft und der Bekämpfung des Klimawandels. An diesen Zielen sollen sowohl die nach der Krise nötigen Konjunkturpakete als auch kommende Steuerreformen und Konsolidierungspakete ausgerichtet werden. Als Beispiele genannt werden Investitionen in öffentlichen Verkehr und in die Weiterbildung und Qualifikation von Arbeitskräften, aber auch die Ökologisierung des Steuersystems und die Bepreisung des CO2-Ausstoßes.

Ein „grüner Wiederaufbau“ ist auch das Anliegen der NGO Greenpeace und von Sigrid Stagl, Ökonomin an der WU und Mitglied von Scientists For Future. Beide berufen sich auf eine Analyse des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS), wonach „grüne“ Konjunkturpakete ein wahrer Jobmotor sein könnten. Allein durch die Erreichung der Ausbauziele der Bundesregierung bei der Photovoltaik könnten 200.000 „zukunftsfähige“ Jobs geschaffen werden, hieß es.