Amazon Mitarbeiterin in einer US-Filiale
AP/Ross D. Franklin
Schutz vor Coronavirus

Stiller Widerstand bei Amazon

Die US-Belegschaft des Onlineversandgiganten Amazon will sich nun mit stillem Protest bei der Konzernleitung in Sachen Hygienemaßnahmen durch die Coronavirus-Pandemie Gehör verschaffen. Der massenweise vollzogene Gang in den Krankenstand soll die Chefetage aufrütteln, so der Plan laut dem britischen „Guardian“ von Dienstag. Unbill droht unterdessen dem „Krisengewinner“ Amazon von Wettbewerbshütern.

Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Amazon-Lagern in den USA wollten sich für die nächsten Tage krankmelden, wie der US-Korrespondent der britischen Zeitung schrieb. Es sei damit der bisher größte US-weite Protest gegen die Arbeitsbedingungen in Zeiten des Coronavirus bei Amazon, so der Korrespondent weiter. Die Frustration ist groß, zitierte die Zeitung die US-Arbeitsrechtsinitiative United for Respect.

United for Respect geht neben Amazon etwa auch gegen die Arbeitsbedingungen bei dem Einzelhandelsriesen Walmart vor. Die Amazon-Belegschaft protestiert dafür, dass von ihrem Arbeitgeber Amazon die empfohlenen CoV-Hygienestandards eingehalten werden. So nehme Amazon nicht wie bereits ausgemacht regelmäßige Temperaturmessungen an den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den riesigen Lagerhäusern vor. Des Weiteren verweigert Amazon seinen Arbeitskräften bezahlten Krankenstand.

Amazon Filiale in Seattle, USA
Reuters/Jason Redmond
Ein Schild, das auf die Benutzung von Handdesinfektionsmittel hinweist, im Eingangsbereich für Büromitarbeiter von Amazon

„Wir sind für sie nur Nummern“

„Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, da Amazon den Profit vor unsere Gesundheit stellt“, zitierte die Zeitung Jaylen Camp, einen Vertreter der Amazon-Belegschaft aus dem Versandlager in Romulus im US-Bundesstaat Michigan. „Wir sind nicht wichtig für sie – sie sehen uns nur als Nummer und zu erfüllende Quoten und schützen unsere Gesundheit nicht“, so Camp weiter gegenüber dem „Guardian“.

Amazon Mitarbeiter demonstrieren vor einer US-Filiale
AP/Paul Sancya
Bei früheren Protesten für mehr CoV-Sicherheit setzte man auf Schilder

Arbeitskräfte in den mehr als 130 US-Lagerhäusern des Konzerns sind laut United for Respect mit dem neuartigen Coronavirus infiziert, so der „Guardian“ weiter. In einigen Lagern soll es laut den Angaben bereits mehr als 30 bestätigte CoV-Fälle geben, wie die Zeitung weiter schrieb. Die Belegschaftsvertreter fordern nun eine zweiwöchige Schließung dieser Lager, Durchtestungen und die weitere Bezahlung der von den Schließungen betroffenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

„Mit Fieber an den Arbeitsplatz“

Amazon habe zwar den Mitarbeitern, die mit Covid-19 erkrankt sind oder Symptome zeigen, versprochen, während der Erkrankungszeit weiter den Lohn zu zahlen. Es sei aber schwierig, den bezahlten Krankenstand zu bekommen, hieß es laut „Guardian“ aus der Belegschaft. Einige seien etwa mit Fieber an den Arbeitsplatz gekommen, so United for Respect weiter.

Weiters forderte die Vertretung der Arbeitnehmer, dass es für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die die schlechten Arbeitsbedingungen kritisierten, keine Vergeltungsmaßnahmen vonseiten des Konzerns gebe.

Zeitdruck macht Händewaschen schwierig

Eine Abschaffung der Quoten wird ebenfalls gefordert. Selbst das Einhalten des Händewaschens sei aus Zeitgründen schwierig, da es ja Quoten gebe, die von den Arbeitskräften zu erfüllen seien. Die Quoten sind so festgelegt, dass von den Amazon-Arbeitern stündlich eine bestimmte Anzahl von Waren eingescannt und eine bestimmte Anzahl von Kartons eingepackt werden müssen.

Amazon selbst verweist in einer auf die bisher eingeführten Hygieneregeln und auch darauf, dass kranke Mitarbeiter heimgehen könnten und auch für fünf Stunden bezahlt würden. Bei der Amazon-Lebensmitteltochter Whole Foods wird laut einem Bericht des „Business Insider“ wiederum versucht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überwachen, um die Organisation der Arbeiter und Arbeiterinnen in dem Unternehmen zu verhindern, wie der „Guardian“ schrieb. Damit sollen offenbar etwaige organisierte Proteste wie nun in den Amazon-Lagerhäusern verhindert werden.

Amazon Mitarbeit bei Auslieferung von Paketen
Reuters/Shannon Stapelton
Ein unabhängiger Amazon-Lieferant scannt die auszuliefernden Pakete der Amazon-Tochter Whole Foods ein

Besorgnis über wachsende Marktmacht

Kritik gibt es auch an dem durch den Coronavirus wachsenden Marktanteil des „Krisengewinners“ Amazon. So zeigt sich etwa das deutsche Kartellamt besorgt über die Zunahme der Marktmacht. „Wir beobachten das Verhalten des Unternehmens sehr eng“, sagte der Präsident des deutschen Kartellamts Andreas Mundt gegenüber der Zeitung „Welt“. „Ausgelöst durch die Coronavirus-Krise erhalten wir derzeit vermehrt Beschwerden von Händlern“, so der Behördenchef.

Das habe das Amt zum Anlass genommen, Amazon zu einer Stellungnahme darüber aufzufordern, wie mit Lieferengpässen umgegangen werde und welche Lieferungen im Zweifel bevorzugt oder eben nachrangig behandelt würden.

Ökonom: „Schon jetzt ist Amazon systemrelevant“

Auch die EU-Kommission prüft bereits seit Monaten mögliche Kartellverstöße der Onlineplattform im Umgang mit Händlern. Die Pandemie habe den Weltmarktführer nun in Deutschland in eine neue Rolle gebracht, erklärte etwa der Ökonom und Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein der „Welt“. „Auch wenn es vielen nicht gefällt und es Handelsexperten schon fast nicht auszusprechen wagen: Schon jetzt ist Amazon systemrelevant.“ Die Marktmacht des Konzerns sei in der Krise „auf ein besorgniserregendes Maß gestiegen“, sagte Heinemann weiter. Sie werde auch danach weiter zunehmen.

Amazon Mitarbeite streiken vor Filiale in Frankreich
Reuters/Pascal Rossignol
In Frankreich mobilisiert auch die Gewerkschaft gegen die Arbeitsbedingungen von Amazon

Logistikzentren in Frankreich geschlossen

Unterdessen lässt Amazon seine Logistikzentren in Frankreich nach einem Gerichtsurteil zu Coronavirus-Schutzmaßnahmen weiterhin geschlossen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden sicher noch bis einschließlich Mittwoch zu Hause bleiben, teilte das Unternehmen in Frankreich am Sonntag mit.

Ein Gericht hatte vergangene Woche entschieden, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Logistikzentren nicht ausreichend gegen Coronavirus-Gefahren geschützt seien. Amazon müsse sich auf Bestellungen von Nahrungsmitteln sowie Hygiene- und Medizinartikeln beschränken, bis die Schutzmaßnahmen verbessert sind, entschieden die Richter in Nanterre. Angesichts der drohenden Strafe von einer Million Euro pro Verstoß entschloss sich das Unternehmen, die Logistikzentren vorübergehend zu schließen.

Amazon verweist auf bisherige Maßnahmen

Das Gericht hatte Amazon auferlegt, in allen Lagern eine Risikobewertung durchzuführen und erforderliche Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Amazon hatte nach eigenen Angaben bereits investiert, um für die Sicherheit der Mitarbeiter zu sorgen. So seien in den vergangenen vier Wochen in die französischen Standorte 1,5 Millionen Schutzmasken und 27.000 Liter Handdesinfektionsmittel gebracht worden.

Kunden in Frankreich können weiterhin bei Händlern bestellen, die ihre Waren über die Amazon-Plattform verkaufen, aber sich selbst um den Versand kümmern. Zudem sollen sie über Amazons Logistiknetz in anderen Ländern weiter versorgt werden, wie ein Sprecher in der vergangenen Woche sagte. Die Gerichtsentscheidung war von der Gewerkschaftsgruppe Union Syndicale Solidaires erwirkt worden.