Baumeister Richard Lugner im ORF.at-Interview in seinem Büro in der Lugner City, Wien
ORF.at/Carina Kainz
Kindheit im Krieg

Mörtel einer rastlosen Baulöwen-Laufbahn

Baumeister, Society-Löwe, Opernballkönig mit Hang zum Herrenwitz – Richard Lugner ist eine Marke für sich. Eine weniger bekannte Rolle ist die des Zeitzeugen mit akribischem Gedächtnis. 1932 geboren, erlebte er als Jugendlicher die letzten Tage des Krieges mit, aus dem sein Vater nicht heimkehrte. Er sah den Wiederaufbau und war als junger Unternehmer Teil des keimenden Wirtschaftsbooms. Ein Leben und eine Karriere, die entlang der Eckpfeiler der österreichischen Zeitgeschichte verliefen, wie er ORF.at anlässlich des 75. Jahrestags des Kriegsendes erzählte.

Lugners Erfolge sind bekannt, als Bauunternehmer wie als Gründer seines Einkaufszentrums. Er „war aber nie ein Gieriger“, so Lugner im Gespräch mit ORF.at. Gezählt habe nicht das Geld, nur der Erfolg. In seinem Büro im sechsten Stock des Lugner-City-Komplexes in Wien sind viele Stationen von Leben und Karriere sichtbar: ein Modell der Moschee, mit deren Bau Lugner berühmt wurde, Fotos mit Prominenten, Bilder von Lugner in Kostümierung bei illustren Events. Dass Lugner Baumeister wird, Reality-Star und Dauergast in Klatschspalten, war nicht vorherbestimmt. Der Vater hatte anderes im Sinn: Für Richard und den kleineren Bruder Roland hatte er Berufe wie Anwalt und Gutsbesitzer vorgesehen.

Richard senior war selbst Rechtsanwalt und Hausverwalter in Wien, bevor er eingezogen wurde und an die Front kam. „Er war ein Regimefreund, kein Widerstandskämpfer“, so der Sohn heute. Richard und Roland sammelten als Kinder Bilder von berühmten Nazi-Figuren, von Jagdfliegern wie Ernst Udet und Manfred von Richthofen. Auf der Praterstraße musste er Spalier stehen für Nazi-Größen, die in Wien empfangen wurden. Im vorletzten Kriegsjahr wurde Richard im Rahmen einer Kinderlandverschickung auf den Semmering gebracht – um in Sicherheit zu sein und ernährt zu werden.

Ein Vater, der fehlt

Der Vater kam in seiner Rolle als Hauptmann in Nowyj Buh nördlich von Odessa in Kriegsgefangenschaft. Richard sah ihn zu Weihnachten 1942 im Alter von zehn Jahren zum letzten Mal. Der Vater galt ab 1944 als vermisst. Aus Briefen von Kameraden erfuhr Lugner viele Jahre später mehr über das Schicksal des Vaters: „Man hat ihnen die Stiefel weggenommen. Sie mussten 90 Kilometer von der Front weg drei Tage marschieren, ohne Essen und Trinken. Da sind ihm die Füße so angefroren gewesen, dass er ins Spital gekommen ist. Weitere Kontakte sind uns nicht bekannt.“

Lugner über seinen Vater

Der Baumeister hat seinen Vater zu Weihnachten 1942 im Alter von zehn Jahren zum letzten Mal gesehen.

Die Lugners wohnten damals im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Oberen Donaustraße, entlang einer der Hauptkampflinien in den letzten Tagen des Krieges. Vom Augarten her sahen die Buben die Geschoße fliegen, von weiter weg hörten sie schon den Gefechtslärm. „Mein Bruder und ich haben dann so eine Angst gekriegt, wir haben nur noch gesagt: Wir wollen weg, wir wollen weg.“ Ihre Mutter Leopoldine überredeten sie, das Nötigste zusammenzupacken und aus der Stadt zu fliehen. Sie bestiegen den Zug Richtung Waldviertel, der Vater besaß eine Jagd in Dorfstetten.

Rückkehr ins zerbombte Wien

„Wir sind in Tulln über die Donaubrücke gefahren, und gleich hinter uns wurde sie gesprengt“, so Lugner. Auf dem Land blieben die drei, bis der Krieg vorbei war. Im Wald beobachteten die beiden Kinder im Mai einen Mann, der wild gestikulierend rief, dass der Krieg zu Ende war. „Mein Bruder und ich sind sofort weitergerannt und haben auch geschrien: ‚Der Krieg ist aus‘, wenngleich dort niemand war, der das gehört hätte.“

Abgeschossener russischer Panzer beim Wiener Augarten mit Flakturm im Hintergrund
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Wieder in Wien, erwarteten zerschossene Panzer die Lugners

Auf dem Weg zurück nach Wien sah die Familie die ersten sowjetischen Soldaten. Nach einer Odyssee zu Fuß, per Fähre, Holztransporter und Eisenbahn kamen die drei wieder in der zerbombten Hauptstadt an.

Vor Lugners Wohnhaus standen ausgeschossene Panzer der Roten Armee, das Haus war schwer beschädigt. In der Wohnung hatte in der Zwischenzeit jemand gehaust. Als russische Soldaten die Wohnung eines Nachts auf der Suche nach einem entflohenen Gefangenen durchsuchten, fanden sie darin eine Pistole. „Die war noch von den Kampfhandlungen. Da war wer bei uns in der Wohnung und hat die dort versteckt oder liegen gelassen. Ich weiß nicht, ob es eine deutsche oder russische war“, so Lugner.

„Wir hatten natürlich Angst“

Er kannte, 1945 im Alter von 13, schlimme Geschichten, die man sich in Wien über die russischen Besatzer erzählte. Der zweite Bezirk war sowjetische Zone. „Die Russen haben mit uns ihr Essen geteilt, sie waren kinderfreundlich. Ich habe nie ein schlechtes Erlebnis mit denen gehabt. Aber wir hatten natürlich Angst.“ Die Mutter wurde einige Male zum Arbeitseinsatz eingezogen. Sie stand nun – wie viele Frauen ihrer Generation – plötzlich als Alleinerziehende da.

„Essen stehen lassen, das hat es nicht gegeben“

Verschwendung geht Lugner gegen den Strich – eine Einstellung, die aus dem Mangel heraus entstand.

Die größte Sorge war, nicht genug Essen auf den Tisch zu bekommen. Bis 1955 gab es noch zugeteilte Lebensmittelmarken. „Man konnte zum Bäcker gehen, aber man hatte ja pro Woche nur für einen halben Kilo Brot eine Marke und jeden Tag für eine Semmel. Mehr gab es nicht.“ Es habe ihm aber nicht geschadet, so Lugner. „Es war einfach so.“ Die Ansprüche seien anders gewesen, ebenso die Erziehung. „Das hat gereicht. Ich kenne ja viele Leute aus meiner Generation, und dass man sich nicht so vollgefressen hat, ich glaube, dass das auch einen Vorteil gebracht hat.“

Start in den Wiederaufbau

Die Lugners behielten auch nach dem Krieg ein kleines Gartenhaus in Breitenfurt bei Wien – 30 Quadratmeter groß, ohne Bad oder Toilette. Dort wurden Hühner und Hasen gehalten, Gemüse angebaut. Die Mutter sorgte so für Nahrung, sie habe sich aufgeopfert für die Buben, so Lugner. „Ich kann nicht sagen, dass ich jemals Not gelitten hätte.“

Die Mutter war es auch, die die Weichen für die spätere Karriere legte und Richard in der Bundesgewerbeschule für Hochbau einschrieb – gegen seinen Willen. Sie ließ ihn Biografien lesen von Unternehmern wie Rockefeller und Krupp. Der Vater aber fehlte – Richard suchte sich im Geschäftsleben der Wiederaufbauära und des späteren Booms die Ersatzfiguren für ihn: manchmal Vorgesetzte, manchmal väterliche Freunde.

Nach der Matura ging er zu einer ersten Baufirma, auf drei Monate bedingt: lange Abende und viele Samstage im Büro, ohne Geld für Überstunden. Später ging es zur Mineralölfirma Mobil – harte Lehrjahre: „Ich habe gearbeitet wie ein Wilder, damals gab es eine 48-Stunden-Woche, zwei Wochen Urlaub und, wenn man fünf Jahre bei einer Firma war, drei Wochen – und das war’s.“

Expansion als Credo

Die erste Ehe schloss Lugner 1961: Christine kannte er schon einige Jahre, sie wuchs im selben Haus auf. Das Paar zog nicht schnell zusammen, auch nicht nach der Heirat – um Geld zu sparen. Christine zog in die Wohnung der Schwiegermutter mit ein. Das Paar hatte den Ehrgeiz, sich mit der Wirtschaft mit aufzuschwingen. Bei der Gründung der eigenen Firma war gerade Sohn Nummer eins unterwegs, und sie arbeitete von Anfang an mit.

Über Frauen und seine eigene Schüchternheit

Da er als junger Bub stets immer „viel zu schüchtern war“, hat Lugner oftmals seine Mutter an seiner Stelle sprechen lassen.

Die neue Baufirma mit Lugners Namen erhielt 1962 die Konzession und sofort den ersten Auftrag. Christine war Prokuristin und auch dafür zuständig, die Bauaufträge an Land zu ziehen – „ich habe sie überall hingeschickt, weil ich viel zu schüchtern war“, so Lugner. Er selbst habe das Technische übernommen. Das Ziel war von Anfang die Expansion – Wachstum und Fortschritt entsprachen dem Credo der Boom-Jahre.

Lugner wollte aber nur ausgesuchte Projekte realisieren, ihm ging es um Image und Reputation. Einfamilienhäuser bauen wollte er nicht. Die Hauptsache war, dass die Baustellen mit dem roten Logo in der Innenstadt sichtbar waren. Den ersten großen Schub für die Firma gab es 1964 mit Umbauten großer Firmen, die damals in Österreich in aller Munde waren, wie etwa Flaga Propan.

Schritt ins Rampenlicht

Der zweite Höhepunkt für die Baufirma war zweifelsohne der Bau der ersten Moschee in Österreich. Ein Jahr lang zeichnete Lugner geheim die Pläne dafür, immer in langwierigen Verhandlungen mit der saudischen Botschaft. Forschungsreisen nach Tunesien, Marokko, Ägypten und in die Türkei standen auf dem Programm. Lugner bekam den Zuschlag, weil er im Rahmen von 55 Mio. Schilling an Baukosten blieb. „Niemand hat gewusst, dass wir das planen. Weil wenn das in der Zeitung gestanden wäre – Lugner plant eine Moschee –, dann hätten sich hundert Baumeister auch dafür interessiert.“ Erst 1977 – zwei Jahre nach dem ersten Anruf – ging Lugner an die Öffentlichkeit. Der Bau wurde medial stark beachtet und machte ihn landesweit bekannt.

Eröffnung der neuen Moschee des Islamischen Zentrums in Wien 1978. Richard Lugner am Rednerpult stehend.
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Lugner (ganz rechts) bei der Eröffnung der Wiener Moschee 1978

Lugner zahlte sogar die Verlängerung des Minaretts aus eigener Tasche – aus ästhetischen Gründen: „Gott sei Dank, es wäre sonst zu klein gewesen.“ Es folgten Aufträge wie die Renovierung der Wiener Synagoge und des OPEC-Gebäudes am Ring. Zu dieser Zeit geriet der Baumeister erstmals wiederholt ins Rampenlicht. Er nahm gerne Einladungen zu Interviews an, diskutierte im Fernsehen über Erfolg und Wirtschaft – etwa 1985 im „Club 2“ des ORF mit dem Titel „Brauchen wir Eliten?“

Lugner 1985 als Gast im „Club 2“

Baumeister Richard Lugner war 1985 Studiogast in der Diskussionssendung „Club 2“ zum Thema „Brauchen wir Eliten?“.

Politisch waren in Österreich längst die beiden Blöcke einzementiert, eine damals noch harmonische Vernunftehe zwischen SPÖ und Volkspartei. Die beiden Großparteien legten auch den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung. Der erste Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) habe ihn als „Leitfigur“ beeindruckt, so Lugner. Es sei nicht gestritten worden. „Damals haben die Roten und die Schwarzen an einem Strick gezogen. Das ist eine Seltenheit geworden.“

Turbulenzen im Privatleben

Für Österreich ging es bergauf, ebenso für Lugners Geschäfte. Ende der 1980er Jahre bereitete er die Eröffnung seines Einkaufszentrums vor – auf den Gründen des früheren Galvanowerks Skolnik im 15. Bezirk. Lugner dachte – mit Hilfe der Politik – von Beginn an groß und kaufte gleich mehrere Gebäude ein. 1990 wurde das dreigeschoßige Einkaufszentrum mit viel Medientrubel und Prominenz eröffnet.

Je mehr es Lugner in die Öffentlichkeit zog, desto stärker litt das Private. Zu Bruder Roland wurde der Kontakt seltener. Lugners erste Ehe wurde 1978 geschieden, die Freundschaft zu Christine aber blieb bestehen. Sie arbeitete noch bis 2004 in der Firma, die sie mit aufgebaut hatte. Es folgten noch vier weitere Ehen und nach den beiden Söhnen auch noch zwei Töchter. Dem breiten Publikum am meisten bekannt war die Ehe mit Christina, aus der Tochter Jacqueline stammt.

Erfolg als Maxime

Lugner kam vermehrt mit Opernballgästen anstatt mit Bauaufträgen in die Schlagzeilen. 1956 hörte er sich den ersten Opernball im Radio an, später besuchte er ihn als einer der vielen Gäste jährlich. In den 1990er Jahren entdeckte er das Marketingpotenzial der prominenten Gäste in Wien und versuchte fortan, jährlich einen noch größeren Coup zu landen: Angefangen 1992 mit Harry Belafonte, brachte Lugner Stars wie Sophia Loren, Pamela Anderson und Goldie Hawn zum Staatsball mit. „Ich bin der Meinung, dass man stolz sein soll auf den Opernball“, er sei einzigartig in der Welt.

Baumeister Richard Lugner im ORF.at-Interview in seinem Büro in der Lugner City, Wien
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Lugner beim Interview in seinem Büro: „Ich würde sagen, ich habe nicht viel falsch gemacht“

Auch wenn seine mehrmaligen Kandidaturen für politische Ämter erfolglos waren und auch die Baufirma ins Wanken geriet und am Ende zusperrte – „ich würde sagen, ich habe nicht viel falsch gemacht“, so Lugner. Egal in welcher Zeit man lebe, Erfolg hänge von der richtigen Idee ab. Die Arbeit macht dem Workaholic noch immer Freude: „Es zählt der Erfolg, und der Erfolg macht Spaß.“ Tiefschläge habe er weggesteckt. Das Aufwachsen in der Nachkriegszeit habe ihn aber gelehrt, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden – es war quasi der Mörtel – so ja auch Lugners Spitzname – für seine Biografie. „Solange es mir gutgeht, ist mir das egal. Das ist aus der Zeit im Krieg: Auch wenn man nichts hat, kann man zufrieden sein.“