Eine Frau mit Kleinkind in einer ländlichen Region im Südsudan
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UNO

CoV-Krise könnte Zahl Hungernder verdoppeln

Die Vereinten Nationen warnen davor, dass sich die Zahl der unterernährten Menschen wegen der Coronavirus-Krise und ihrer wirtschaftlichen Folgen weltweit fast verdoppeln könnte. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nun gemeinsam mit 15 weiteren Organisationen vorstellte.

Die Zahl der Menschen, die sich nicht ausreichend ernähren können, um gesund zu leben, oder die sogar Hunger leiden, könnte 2020 sprunghaft auf 265 Millionen Menschen anwachsen, hieß es darin. Schon im Vorjahr sei die Zahl der Menschen mit einem akuten Mangel an ausreichend Essen bei 135 Millionen weltweit gelegen.

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus drohe nun, Millionen von Menschen zu treffen, die wegen Hungers und Mangelernährung „bereits am seidenen Faden hängen“, erklärte der WFP-Experte Arif Husain. „Wir müssen jetzt gemeinsam handeln, um die Auswirkungen dieser weltweiten Katastrophe abzumildern.“ Unter der drastischen Verschlechterung ihrer Ernährungslage durch die Folgen der Krise dürften vor allem Menschen in ärmeren Staaten leiden – insbesondere Kinder, Schwangere, stillende Frauen sowie Ältere seien dort betroffen. Auch vor den Folgen für fast 80 Millionen Geflüchtete wird gewarnt.

Eine verschleierte Frau im Jemen mit einem unterernährten Kind
APA/AFP
Kinder gelten als besonders gefährdet

Warnung vor Unruhen

„Covid-19 könnte Bedingungen für soziale und politische Unruhen schaffen, vor allem in den am stärksten von Hungersnöten betroffenen Ländern“, heißt es zudem. „Unsicherheit über künftige Herausforderungen durch die Pandemie kombiniert mit Ausgangsbeschränkungen, rasant steigenden Arbeitslosenzahlen, ein eingeschränkter Zugang zu Nahrung und die Erosion von ohnehin fragilen Existenzgrundlagen dürften zu Unzufriedenheit führen, und somit Gewalt und Konflikte befeuern.“

Der Zugang zu Lebensmitteln sei durch die Pandemie sowohl in den Städten als auch in ländlichen Gebieten bereits schwieriger geworden. Bauern haben den Angaben zufolge bereits Schwierigkeiten, hochwertiges Saatgut und Düngemittel zu beschaffen. „In wenigen Tagen ist der Preis für einen 100-Kilo-Sack Hirse von 16.000 auf 19.000 CFA-Francs gestiegen, und die Kosten für einen Liter Speiseöl haben sich verdoppelt“, sagte Amadou Hamadoun Dicko von der Vereinigung zur Förderung des Viehbestands in der Sahelzone und in der Savanne.

Ferner wird in dem Bericht auf die Auswirkungen auf die Lieferung humanitärer Hilfsgüter bzw. eine der Krise geschuldete Erhöhung der Transportkosten verwiesen. Gewarnt wird darin auch vor einer Erhöhung der Lebensmittelpreise ähnlich wie 2007 und 2008 – damals führte der Anstieg weltweit zu Unruhen. Fachleute zeigten sich zudem besorgt, da bisher kaum Gelder aus Spendennationen eingetroffen sind. Allein rund 320 Millionen Euro würden WFP zufolge sofort gebraucht werden.

Guterres: Aufruf zum Handeln

Laut UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sollte der Bericht ein Aufruf zum Handeln sein. „Der Umbruch, der durch die Covid-19-Pandemie in Bewegung gesetzt worden ist, könnte noch mehr Familien und Gemeinschaften in noch größere Not versetzen“, schrieb Guterres im Vorwort des Berichts.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
APA/AFP/Angela Weiss
Die Folgen der Pandemie könnten UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zufolge „noch mehr Gemeinschaften in noch größere Not versetzen“

„In Zeiten immenser globaler Herausforderungen, von Konflikten über Klimakatastrophen bis hin zu wirtschaftlicher Instabilität müssen wir unsere Bemühungen im Kampf gegen Hungersnöte und Unterernährung verdoppeln. Wir haben das Werkzeug und das Wissen. Was wir brauchen, ist politischer Wille und Zusagen von Regierungschefs und Nationen“, so Guterres weiter.

Lage war bereits 2019 prekär

Schon vor der Pandemie habe die Ernährungsunsicherheit in vielen Ländern zugenommen, erklärte das WFP in dem Bericht zu weltweiten Ernährungskrisen, den es unter anderen zusammen mit der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) erstellt hat. Mit 135 Millionen Menschen, die im vergangenen Jahr von akuten Ernährungskrisen betroffen waren, gab es bereits 20 Millionen Betroffene mehr als noch 2018 – es war zugleich die höchste Zahl seit vier Jahren.

Mit 73 Millionen Hungernden war Afrika dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr am stärksten betroffen, gefolgt von 43 Millionen Hungernden im Nahen Osten und Asien. Besonders viele Menschen hatten demnach im Südsudan, im Jemen, in Afghanistan und in Syrien nicht genug zu essen. Die Zunahme der Ernährungskrisen war dem Bericht zufolge zuletzt vor allem auf Konflikte, Wirtschaftskrisen und Wetterereignisse wie Dürren zurückzuführen.

Sorge um Situation in Westafrika

Hilfsorganisationen warnten besonders vor einer Verschärfung der Lage in Westafrika, wo etliche Konflikte herrschen. Die Coronavirus-Krise „trifft mit voller Wucht auf eine bereits sehr fragile Ernährungssituation“, teilten Oxfam, Care und weitere NGOs mit. Die Landwirtschaft macht nach Angaben der Hilfsorganisationen mehr als 30 Prozent der westafrikanischen Wirtschaft aus. Für 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung ist sie die größte Einkommens- und Lebensgrundlage.

Die Vorräte der vergangenen Ernte gehen demnach zu Ende, und wegen der Covid-19-Restriktionen in vielen Ländern steigen Preise, und etliche Grundnahrungsmittel sind nicht verfügbar. Die Organisationen forderten Maßnahmen, „um besonders gefährdete Personen zu schützen und die Nahrungsmittelproduktion in der Region sicherzustellen“. Laut der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS könne die Zahl der von Hunger bedrohten Menschen zwischen Juni und August von 17 Millionen auf 50 Millionen steigen.

Der Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege rief zu lokalen Lösungen in Afrika auf, um der Krise zu begegnen. „Jeder Kontext ist anders“, betonte der kongolesische Gynäkologe bei einer Onlinekonferenz der Stiftung Positive Planet am Dienstag. In seinem Heimatland, der Demokratischen Republik Kongo, arbeiteten etwa fast 80 Prozent der Menschen im informellen Sektor, sagte Mukwege. Eine strikte Ausgangssperre wie in anderen Ländern sei damit „praktisch unmöglich“.

Auch Amnesty warnt

Angesichts drastischer Ausgangsbeschränkungen im südlichen Afrika forderte Amnesty International die Regierungen in der Region jüngst auf, ihren Bürgern Nahrungsmittel zu Verfügung zu stellen. „Die Mehrheit der Menschen lebt von der Hand in den Mund; das bedeutet, dass sie es sich nicht leisten können, eine Woche lang – geschweige denn einen Monat – im Lock-down zu verbringen, weil sie keine finanziellen Mittel für das Anlegen von Vorräten haben“, sagte der Amnesty-Direktor für das östliche und südliche Afrika, Deprose Muchena.

Viele stünden vor der Wahl: entweder die Maßnahmen einhalten und hungern oder für Besorgungen ausgehen und Strafen riskieren. In Südafrika etwa wurden bereits Lebensmittelgeschäfte geplündert. Der Kap-Staat hat Ende März eine der weltweit strengsten Ausgangssperren verhängt, zugleich die Landgrenzen geschlossen und den Personenflugbetrieb eingestellt.

Als wäre es damit nicht genug, kämpfen mehr als zehn ostafrikanische Staaten weiter mit einer Heuschreckenplage. Die Tiere fressen ganze Landstriche kahl, die Ernährung von mehr als 20 Millionen Menschen steht auf dem Spiel. Jetzt scheitert die Anreise von Experten oder Anlieferung von Mitteln gegen die Insekten an Flugverboten.