Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht in der Aktuellen Stunde im Nationalrat
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Nationalrat

Debatte über Schlagwort „neue Normalität“

Der Nationalrat ist am Mittwoch – noch immer mit Abstand – zum Auftakt der neuen Plenarwoche zusammengetreten. Statt Beschlüssen im Eilverfahren sah die Regierung ein Stück „Normalität“ in die Debatte einkehren – und verteidigte ihr Vorgehen in der Krise. Kritik kam aus der Opposition, die stattdessen einen „Ausnahmezustand“ ortete.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte im Zuge seiner Erklärung, es sei „ein Gefühl der Freude und der Erleichterung“, dass die „Debatte, wie sie stattfindet, sehr viel von Normalität“ habe. Er lobte die Anstrengung der Bevölkerung und auch der Opposition, die die „Maßnahmen gemeinsam beschlossen“ hatten, so Kurz. Tatsächlich hatte die Opposition in den vergangenen Wochen einen großen Teil der von ÖVP und Grünen eingebrachten Gesetze unterstützt, aber nicht jede Partei alle. Die Erfolge seien das Verdienst „aller Parteien“, da sie diesen Weg gegangen seien, so Kurz.

Kritikern, die sagten, dass die Maßnahmen übertrieben gewesen seien, riet Kurz, den „Grundregeln der Mathematik“ zu folgen. Wem das nicht möglich sei, der solle nach Italien, Frankreich oder Spanien schauen: „Dann sieht man schnell, wie die Situation wäre, wenn wir nicht gehandelt hätten.“

Rendi-Wagner fordert andere Herangehensweise

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte, das Ziel sei gewesen, die Kurve abzuflachen, um zu verhindern, dass „zu viele Infektionen in kurzer Zeit unser Gesundheitssystem überlasten“. Die „große Frage“, die sich nach diesen Wochen jetzt stelle, sei: „Wie geht es weiter?“

Nationalratsabgeordnete im Plenarssal
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Mit Sicherheitsabstand und Abgeordneten auf den Rängen wurde am Mittwoch die Sitzung im Parlament abgehalten

Rendi-Wagner sagte, dass nach Expertinnen und Experten dieser „Ausnahmezustand“ nicht Wochen und Monate, sondern wesentlich länger weitergehen könnte. Sie spreche dabei bewusst von „Ausnahmezustand und nicht von ‚neuer Normalität‘“. Es sei „nicht normal, 650.000 Arbeitslose zu haben“, und dass „Frauen in veraltete Rollenbilder geworfen werden“. Die „Akutphase“ sei jetzt vorbei – nun brauche es eine andere politische Herangehensweise. Die „gesamte Gesellschaft“ müsse die „neuen Regeln für diesen längeren Ausnahmezustand gemeinsam entwerfen“, so Rendi-Wagner.

Kickl kritisiert Kurz scharf

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sagte, es sei „unbestritten, dass die Entwicklung im Gesundheitsbereich eine positive ist“. Er stellte jedoch die Frage, warum auch in Schweden Erfolge erzielt werden, wo die Schweden „fast alles anders machen, als Sie das machen“, so Kickl in Richtung des Kanzlers. Er warf Kurz vor, „die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt“ zu haben, um „Ihre neue Normalität“ damit „herzustellen“, so Kickl.

Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer wiederum hielt dem Beispiel Schweden entgegen, dass dort „dreimal so viele Tote wie in Österreich“ zu verzeichnen seien. Ferner sagte sie, dass vielen das soziale Netz weggebrochen sei und dass nun dieses in der zweiten Phase wieder hochgefahren werden müsse.

Kogler fordert Gerechtigkeit bei Löhnen

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) forderte für die Zeit nach der Krise mehr Lohngerechtigkeit für jene, die sich gerade jetzt als besonders wichtig erwiesen hätten. Kogler sagte, es könne nicht so sein, dass man später zurückblicke, und jene, die am wichtigsten gewesen seien, hätten am wenigsten verdient. Wenn Pfleger und Erntehelfer so wichtig seien: „Warum stehen sie dann an der untersten Skala?“ Hier würden sich nach der Krise neue Fragen stellen.

Vizekanzler Werner Kogler spricht in der Aktuellen Stunde im Nationalrat
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Kogler forderte Lohngerechtigkeit für Helferinnen und Helfer in der Krise

Dass alle jetzt verkündeten Zeitpläne auch eingehalten werden können, wollte Kogler nicht versichern. Schließlich wäre eine zweite Welle zwar psychisch fatal, auszuschließen sei sie deshalb aber nicht: „Nicht alles ist prognostizierbar.“ Wenn sich manche Zahlen anders entwickeln, würden Öffnungsschritte nicht gemacht werden können.

NEOS sieht „Chaos an Ankündigungen“

NEOS-Abgeordneter Josef Schellhorn kritisierte das Vorgehen der türkis-grünen Regierung. Die Menschen kämpften „mit einem Chaos an Ankündigungen“, und die Unternehmerschaft habe das Vertrauen in die Regierung verloren und sei „sauer“. „Die Unternehmer haben alle mitgemacht. Jetzt ist aber Schluss mit lustig“, so Schellhorn. Nun müsse die Regierung liefern.

Es brauche „Ernsthaftigkeit“ und einen „kompetenten und guten Plan“ sowie eine „zentrale Koordination“. Besonders scharf richtete sich Schellhorn an Vizekanzler Kogler: „Wie kann es sein, dass Sie bei diesem Testballon mitmachen?“ Es fehle ein wirtschaftlicher Expertenrat. Viele Unternehmer, darunter auch Einpersonenunternehmen (EPU), seien „stinksauer“. Die Grünen würden sich in der Regierung vorführen lassen. Es gebe „nichts“ für Bildung, Kultur und Kunst – „nur ein chaotisches Wirtschaftskonzept“.

Aktuelle Stunde zu Thema Transparenz

Die Sitzung am Mittwoch begann mit einer Aktuellen Stunde, NEOS gab das Thema „Wer nichts weiß, muss alles glauben. Transparenz und Information jetzt, Herr Bundeskanzler!“ vor. Zu Beginn hob etwa NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hervor, dass ein „permanentes Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit“ existiere, aber man darauf achten müsse, daraus kein Gegensatzpaar zu machen. Das Parlament habe viel Macht in die Hände der Regierung gelegt. Dafür brauche es aber umfangreiche Transparenz. Die Phase, in der es vordringlich um Geschwindigkeit ging, müsse „jetzt vorbei sein“, so Meinl-Reisinger.

Kurz sagte, dass es sich um eine globale Krise handle, die „weltweit Krankheit, Leid und Tod bedeutet und eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst hat“. Österreich sei durch diese besser gekommen als andere Länder. Jetzt sei man in der zweiten Phase des Wiederhochfahrens angekommen. „Auch wenn manchen die Situation nicht gefällt, ist es eine Phase der neuen Realität“, so Kurz. Diese werde erst zu Ende sein, wenn es ein neues Medikament oder einen Impfstoff gibt. „Bis dahin müssen wir versuchen, bestmöglich mit dem Virus zu leben“, so Kurz. Durch die „harten und raschen Entscheidungen“ sei es gelungen, Leben zu retten. Zudem habe man dadurch die Möglichkeit, schneller aus der Krise zu kommen.

FPÖ wirft Kanzler vor, Angst geschürt zu haben

ÖVP-Klubobmann August Wöginger stieß der Titel der Aktuellen Stunde „sauer“ auf, dieser sei seinem Dafürhalten nach „völlig unangebracht und völlig falsch“. Wöginger verwies auf die „ständige Information“ durch tägliche Pressekonferenzen, wöchentlich Videokonferenzen und zahlreiche Präsidialsitzungen im Hohen Haus. „Die Situation ist zu ernst, um solch einen Titel zu wählen“, so der ÖVP-Klubobmann, der Österreich ebenfalls „international die beste Entwicklung“ attestierte: „Die Zahlen sind eindeutig und sprechen eine klare Sprache.“

Nationalratsabgeordnete im Plenarssal
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Auf den Rängen war der Andrang groß, Sicherheitsabstände wurden offenbar nicht immer eingehalten

Für FPÖ-Vizeklubchefin Dagmar Belakowitsch war die Kritik der ÖVP am Titel der Aktuellen Stunde „unangebracht“ – „so wenig Transparenz sie geliefert hat“. Kurz habe einmal mehr eine Antwort ohne Inhalt gegeben, einmal mehr hab er „verabsäumt bekanntzugeben, wer die Experten sind, wo die Berechnungen sind“, kritisierte die Freiheitliche. Kurz habe mit der Aussage, jeder werde jemanden kennen, der am Virus gestorben sei, der Bevölkerung Angst gemacht. „Dann delektieren sie sich daran, dass die Leute Angst haben.“ Das sei notwendig, um ihre Grundrechte zu beschneiden, lautete der Vorwurf. Zudem unterstellte Belakowitsch Kurz Planlosigkeit: „Herr Bundeskanzler, Sie haben keinen Plan!“ Dank gebühre der Bevölkerung für die Disziplin, die Bundesregierung habe den Dank nicht verdient.

Genesene Abgeordnete zurück im Hohen Haus

Jene zwei Abgeordneten, die am Coronavirus erkrankt waren, sind unterdessen in den Nationalrat zurückgekehrt. Sowohl Johann Singer als auch Maria Großbauer (beide ÖVP) genasen und können somit am parlamentarischen Geschehen wieder teilnehmen. Singer war der erste positiv getestete Mandatar. Die Infektion war während einer Plenarsitzung, an der er nicht teilnahm, am 20. März bekanntgeworden. Großbauers Infektion verkündete Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei einer Sitzung am 2. April.

Nächstes Gesetzespaket geplant

Die Koalition wird im Laufe des Tages ihr nächstes Gesetzespaket zur Bewältigung der Krise im Nationalrat einbringen. Beschlossen werden sollen die zwölf Vorlagen allerdings erst kommende Woche. Neben der gesetzlichen Regelung für die Risikogruppen gibt es unter anderem Erleichterungen bei Krankengeld und Familienbeihilfe.

Genaues zur Risikogruppendefinition wird über eine Verordnung zu erledigen sein. Festgehalten wird im Gesetz aber etwa, dass auch Personen aus systemrelevanten Berufen ebenso von der Regelung umfasst sind wie geringfügig Beschäftigte. Eine weitere Gesetzesinitiative befasst sich mit jenen Sozialleistungen, deren Weiterbezug von Überprüfungen abhängig ist. Das betrifft befristete Pensionen ebenso wie Kranken- und Rehageld. Hier wird sichergestellt, dass die Leistungen bis Ende Mai (und mit entsprechender Verordnung auch länger) weiter ausbezahlt werden, auch wenn wegen des Coronavirus keine Überprüfung stattfinden kann.

Bei der Familienbeihilfe soll darauf Rücksicht genommen werden, dass der Studienfortschritt durch die Krise gehemmt werden kann. So wird die Altersgrenze von 24 bzw. 25 (etwa bei Leistung von Präsenz- und Zivildienst) vorübergehend für Betroffene angehoben – bei einer allgemeinen Berufsausbildung um längstens sechs Monate und im Falle eines Studiums um ein Semester bzw. ein Studienjahr.