COVID-19-test auf einem Supermarktparkplatz in Neuseeland
AP/Mark Baker
Eliminieren statt eindämmen

Neuseelands ehrgeizige Pandemiestrategie

Ein besonders ehrgeiziges Ziel im Kampf gegen das Coronavirus hat sich Neuseeland gesetzt: Man will es nicht nur eindämmen, sondern auf der Insel ganz eliminieren. Dafür wurden Maßnahmen ergriffen, die zu den schärfsten auf der ganzen Welt zählen. Die niedrigen Infektions- und Totenzahlen scheinen der Regierung recht zu geben. Premierministerin Jacinda Ardern stellte nun eine leichte Lockerung der Vorschriften in Aussicht. Doch ein Problem könnte das Land einholen.

Der rigide Plan scheint aufzugehen: Neuseeland zählte zuletzt nur etwas mehr als 1.100 bestätigte Infektionen, 18 auf das Virus positiv getestete Menschen starben. In kaum einem anderen Land gibt es weniger Fälle. Diese Woche gab es täglich nur eine Handvoll Neuinfektionen.

Dabei hatte das Land bei der Bekämpfung des Virus wie die meisten anderen Staaten begonnen: mit Empfehlungen, Abstand zu halten, und für Hygienemaßnahmen, mit Einreisekontrollen und verpflichtender Quarantäne für Neuankömmlinge. Angesichts der dramatischen Entwicklung in anderen Ländern, insbesondere in Europa, ging man aber am 23. März einen drastischen Schritt: Die Regierung beschloss, die Verbreitung des Virus nicht nur einzudämmen, sondern setzte sich das Ziel, es ganz zu eliminieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Neuseeland rund 100 bestätigte Infektionen und noch keinen Todesfall.

Die Möglichkeiten einer Insel

Drei Tage später traten rigorose Regeln in Kraft: weitreichende Ausgangsbeschränkungen, die Schließung von öffentlichen Einrichtungen, Bildungs- und Sportstätten und fast aller Geschäfte. Und: Die Grenzen wurden fast völlig geschlossen, selbst die Ausreise von Ausländern gestaltete sich schwierig. Als Inselstaat nützte da Neuseeland seinen Vorteil, Vorschriften zu erlassen, die für andere Länder weit schwieriger umzusetzen sind.

Alle nicht systemrelevanten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden ins Homeoffice geschickt, Kontakt sollten ansonsten nur Menschen haben, die zusammenwohnen – mit wenigen Ausnahmen wie Kinder getrennt lebender Eltern und Alleinlebende, die sich eine zweite Person in der Umgebung suchen durften.

Zivilgesellschaft, Medien und Parlamentarismus beschnitten

Die Regierung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin setzte auf eindeutige, nach Lebensbereichen aufgeschlüsselte und per Website kommunizierte Regeln. Schon vor dem „Lock-down“ wurden vier Alarmstufen mit entsprechenden Deeskalationsstufen definiert.

Sicherheitskraft beim Verteilen von Gesichtsmasken
APA/AFP/MartyMelville
Rigoroses „Social Distancing“ in Neuseeland

Widerstand gab und gibt es freilich: Unternehmen und Opposition kritisierten, dass die Wirtschaft des Landes geopfert werde und auch Hilfspakete die Folgen nur zum Teil abfangen würden. Und Expertinnen und Experten sehen wesentliche Einschränkungen in der Zivilgesellschaft, dem Parlamentarismus und der Medienfreiheit: Die politische Führung, Ardern und eine Handvoll ihrer Vertrauten hätten derzeit eine unangetastete Machtfülle, während Kontrollrechte zusammengestutzt worden seien.

Ardern als Joker

Gleichzeitig wird es Arderns Führungskompetenz und ihrer Unterstützung durch die Bevölkerung zugeschrieben, dass die scharfen Maßnahmen auch akzeptiert und befolgt werden. Die 2017 völlig überraschend ins Premiersamt gewählte Politikerin gehe bei Medienbriefings ausführlich auf Fragen ein und stelle sich sogar solchen in eigenen Terminen auf Facebook, bei denen sie die Vorgangsweise begründet, schreibt das wissenschaftsaffine Nachrichtenportal The Conversation.

Bei aller Härte der Maßnahmen verteilt die Politikerin auch Zuckerln und agiert zwischen volksnah und populistisch: Den Osterhasen stufte sie medienwirksam als „systemrelevant“ ein, als eine der ersten Politikerinnen weltweit verzichtete sie auf einen Teil ihres Gehalts – ein Beispiel, dem andere, auch die österreichische Regierung, folgen sollten.

Die Premierministerin Neuseelands, Jacinda Ardern
AP/Nick Perry
Premierministerin Ardern erklärt die Alarmstufen

Längerfristige Perspektive unklar

Diese Woche verkündete Ardern, dass der Ausnahmezustand zwar verlängert wird, am Montag aber Lockerungen in Kraft treten werden: Die Alarmstufe werde von vier auf drei zurückgefahren. Sie sagte, wie in nur wenigen anderen Ländern sei es gelungen, die verheerende Welle zu stoppen. Ab Montag sollen die Menschen weiter zu Hause bleiben, Schulen dürfen aber zum Teil wieder öffnen, kleine Hochzeitsfeiern und Beerdigungszeremonien sind wieder erlaubt.

Geht die Strategie weiter auf, könnte Neuseeland der erste und einzige größere Staat werden, dem es gelingt, das Virus nicht nur einzudämmen, sondern vollständig zu eliminieren. Das Leben im Inselstaat könnte dann in den Normalmodus zurückkehren – mit einer großen Ausnahme: Die Strategie zielt darauf ab, dass irgendwann ein verlässlicher Impfstoff verfügbar ist.

Das scheint derzeit selbst in optimistischsten Schätzungen nicht vor dem Frühjahr 2021 der Fall zu sein. Bis dahin müsste Neuseeland seine Grenzen schließen oder zumindest rigoros kontrollieren, damit das Virus nicht wieder eingeschleppt wird. Kurzfristig scheint das kein Problem zu sein, längerfristig wirft eine solche Abschottung sehr viele Probleme und Fragen auf.