Präsidentschaftskanzlei und Bundeskanzleramt
ORF.at/Roland Winkler
Versammlungsfreiheit

Heikler Umgang mit einem hohen Gut

Bis 30. April ist das Betreten öffentlicher Orte in Österreich zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus verboten. Damit einher geht die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Demonstrationen werden von den Behörden untersagt – am Freitag wurde auch eine Kleindemo, die erst genehmigt war, doch verboten. Das Gesundheitsministerium arbeitet an den Maßnahmen für die Zeit ab Mai.

„Die beschlossenen Verordnungen sind bis 30. April gültig. Weitere Maßnahmen werden derzeit erarbeitet und zeitgerecht kommuniziert werden“, teilte das Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at mit. Weitere Details wurden nicht genannt. Bis Monatsende ist das Betreten öffentlicher Orte jedenfalls verboten, abgesehen von den in der entsprechenden Verordnung zum Covid-19-Maßnahmengesetz festgelegten Ausnahmen.

Sie umfassen die „Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum“, die „Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen“, die „Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“ auch zum „Erwerb von Waren oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen“, den Weg zur Arbeitsstätte sowie die Möglichkeit, mit einer im Haushalt lebenden Person an die frische Luft zu gehen.

Ärger über Kundgebungsverbote in Wien

Die Versammlungsfreiheit ist in Österreich über die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in der Verfassung verankert. In der Verordnung zum Covid-19-Maßnahmengesetz ist der Umgang mit diesem hohen Gut nicht direkt erwähnt. Seit Inkrafttreten der gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus am 16. März wurden in Österreich aber alle Demonstrationen – sofern sie nicht bereits vom Veranstalter abgesagt wurden – behördlich untersagt. In Wien, wo öffentliche Versammlungen bei der Landespolizeidirektion angemeldet werden müssen, sorgte dieses Vorgehen zuletzt für Kritik.

Demonstration in Tel Aviv
Reuters/Corinna Kern
Kundgebung trotz Pandemie: In Tel Aviv demonstrierten am Sonntag Tausende Menschen gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu – mit Sicherheitsabstand zwischen den Teilnehmenden

Minidemo erst erlaubt, dann doch untersagt

Die Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen (ICI) wollte am Freitag in der Wiener Innenstadt für ein sofortiges Ende des Covid-19-Maßnahmenpakets demonstrieren. Zuerst hieß es, die Veranstaltung sei verboten, dann, dass sie doch stattfinden könne, nachdem die ICI angekündigt hatte, den negativen Bescheid vor Gericht zu bekämpfen. Die in Wien dafür zuständige Landespolizeidirektion bestätigte erst, dass die Versammlung stattfinde.

Die Behörde werde bei jedem einzelnen Ansuchen „die Versammlungsfreiheit und die Gefährdung des öffentlichen Wohls durch die Abhaltung der Versammlung gegeneinander abwägen“, hieß es vonseiten der Wiener Polizei. Da bei einer größeren Personenzahl an einem Ort auch das Infektionsrisiko deutlich steige, müssten Versammlungsverantwortliche nachvollziehbar darlegen, „mit welchen Vorbeugungsmaßnahmen sie der Gefahr der Entstehung einer Infektionskette und somit der Gefahr der Verbreitung entgegenwirken werden“.

Kundgebung fand trotz Untersagung statt

Am Freitag untersagte die Landespolizeidirektion die Veranstaltung dennoch. Aufgrund der „öffentlichkeitswirksamen Medienkampagne“ sei davon auszugehen, dass „es zu einem Zustrom eines Vielfachen der angegebenen Teilnehmerzahl kommen wird“, hieß es in einer Aussendung der Polizei. Ursprünglich wurde die Versammlung für fünf Teilnehmer angemeldet.

Trotz der Untersagung fanden sich mehrere Dutzend Personen am Freitagnachmittag auf dem Albertinaplatz ein. Eine von der Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen (ICI) angekündigte Presseerklärung wurde vorerst nicht verlesen, vielmehr ergriffen einzelne Demonstrierende das Wort. Als die Polizei kurz nach 15.00 Uhr eine Durchsage machte, dass die Sicherheitsabstände einzuhalten seien, wurden die Beamten lautstark ausgebuht – mehr dazu in wien.ORF.at.

Verfassungsjurist Mayer: Nicht zulässig

Verfassungsjurist Heinz Mayer hält die Untersagung für nicht zulässig. Vielmehr könnte die Behörde den Versammlungsverantwortlichen Maßnahmen vorschreiben, etwa, dass Ordner dafür sorgen müssen, dass die Abstände eingehalten werden. Aber die Versammlung bereits im Vorfeld zu untersagen sei nicht gerechtfertigt.

Mayer betonte zudem, dass Versammlungen untersagt werden können, „wenn das notwendig ist zum Schutz der Bevölkerung“. Aber die Behörde dürfe die Kundgebung nicht im Voraus untersagen, wenn diese nur für fünf Personen angemeldet ist. So viele Personen träfen beispielsweise ja auch im Supermarkt aufeinander.

Vielmehr könne die Polizei Maßnahmen verlangen, etwa, dass die Sicherheitsabstände zwischen einzelnen Personen eingehalten werden müssen und dass das von Ordnern gewährleistet werden muss. „Sie können alles vorschreiben, wenn das aber nicht funktioniert, kann man die Demonstration auflösen“, sagte Mayer.

Abstand, Masken, Desinfektionsmittel

Auch der Kleinpartei Wandel war eine Versammlung untersagt worden. Parteivorsitzender Fayad Mulla kündigte an, man werde gegen den Untersagungsbescheid der Polizei „selbstverständlich Einspruch erheben, weil er rechtlich absolut unhaltbar ist“.

Seit Mitte März seien in Wien zehn Versammlungen untersagt worden, erklärte ein Sprecher der Polizei gegenüber ORF.at, im Vergleich zu normalen Jahren sei das eine geringe Anzahl. Die Untersagungsbescheide würden sehr gründlich argumentiert, betonte der Sprecher. Als Rechtsgrundlage berufe sich die Polizei auf den Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, demzufolge die Versammlungsfreiheit zum „Schutz der Gesundheit“ eingeschränkt werden kann.

Rechtliche Fragen

Das Abhalten einer Demonstration sei „nach derzeitiger Verordnungslage“ nicht zulässig, sagte auch der Verfassungsjurist Bernd Christian Funk gegenüber ORF.at. Das Verbot ist zwar nicht direkt in der Verordnung genannt, ergebe sich aber daraus, „dass immer noch das Verbot des Betretens öffentlicher Orte gilt“, so Funk.

Für Benjamin Kneihs, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Salzburg, ist die Sache differenziert zu betrachten. Die Untersagung einer Versammlung sei ein Eingriff ins Grundrecht und daher nur unter bestimmten Zwecken und in bestimmtem Maße gestattet. „Man kann sagen, dass der öffentliche Zweck – der Schutz der öffentlichen Gesundheit und insbesondere auch des Gesundheitssystems vor Überlastung – ein zulässiger Grund sein kann, die Versammlung zu untersagen. Aber das muss auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit geschehen“, sagte Kneihs zu ORF.at.

Demonstration in Beirut
AP/Hussein Malla
Im Libanon wurde mit einem Autokorso gegen Korruption protestiert, um das Risiko einer CoV-Infektion zu minimieren

An diesem Punkt „fangen die Probleme an“, so Kneihs. Wenn sich etwa all jene, die Covid-19 überstanden haben, versammeln wollten, gäbe es „keinen öffentlichen Zweck, das zu untersagen. Die können weder einander noch sonst jemanden anstecken.“ Oder wenn eine Versammlung mit der Maßgabe angemeldet wird, man bilde einen losen Kreis mit zwei Metern Abstand zwischen den Teilnehmern. „Das einzige Argument dagegen wäre: Irgendwie müssen die Versammlungsteilnehmer dorthin kommen und wieder wegkommen. Dabei entsteht eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit.“

Je weiter die Beschränkungen zur Eindämmung des Virus gelockert werden, desto weiter müsse der öffentliche Raum für die Versammlungsfreiheit geöffnet werden, argumentierte Kneihs: „In dem Moment, wo sie Geschäfte und Lokale aufmachen und Begegnung im öffentlichen Raum grundsätzlich wieder in Kauf nehmen, müssen sie wohl auch – weil es ein Grundrecht ist – die Bewegung in Kauf nehmen, die entsteht, wenn Menschen zu einer solchen Versammlung fahren oder gehen.“ Wenn die Verordnung das pauschal verbiete, dann widerspreche sie in diesem Punkt dem Gesetz, „oder das Gesetz ist verfassungswidrig“, so Kneihs.

Deutsche Verfassungsrichter kippten Demoverbote

„Solange es nicht erlaubt ist, Kinos, Theater oder Sportveranstaltungen zu besuchen, so lange wird wohl auch das Versammlungsverbot als seuchenpolizeilicher Eingriff bestehen“, sagte Verfassungsrechtler Funk. Die Fragen seien nun, wann und unter welchen Bedingungen das derzeitige Versammlungsverbot wegfallen werde und ob die Aufrechterhaltung des Verbots verfassungskonform wäre.

Demonstration in Berlin
Reuters/Christian Mang
In Berlin wurde eine Demo von Gegnern der Pandemiemaßnahmen von der Polizei aufgelöst – Kundgebungen in anderen Städten durften nach Interventionen des deutschen Bundesverfassungsgerichts dagegen stattfinden

Die endgültige Klärung letzterer Frage wird in Österreich noch auf sich warten lassen. Beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ging in letzter Zeit eine wachsende Zahl von Beschwerden über die Covid-19-Maßnahmengesetze beziehungsweise die dazugehörigen Verordnungen ein. Anders als in Deutschland können hierzulande aber keine Eilanträge beim VfGH gestellt werden. Der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe kippte in der Vorwoche gleich mehrere von lokalen Behörden erlassene Demonstrationsverbote.

Zeit zur Fehlerkorrektur „nicht genutzt“

„Ich würde mich freuen, wenn ein paar Leute Versammlungen anmelden, sie sich untersagen lassen und das durch die Instanzen treiben“, sagte Rechtswissenschaftler Kneihs, „weil dann haben wir bald einmal gerichtliche Entscheidungen, wie weit die Einschränkung der Versammlungsfreiheit wirklich gehen darf.“

Am Anfang der Coronavirus-Pandemie habe die Regierung ob der unsicheren Prognosen und der verheerenden Situation in Italien rasch handeln müssen. Inzwischen seien aber mehrere Wochen vergangenen, in der Zeit gewesen wäre, „Fehler zu korrigieren“, so Kneihs, „und Fehler sind da schon drin, sowohl im Gesetz als auch in der Verordnung.“

„Diese Zeit hat man nicht genutzt. Man beruhigt sich damit, dass der Rechtsschutz ohnehin erst greift, wenn alles wieder vorbei ist“, konstatierte Kneihs in Hinblick auf die Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser hatte erklärt, eine Reparatur der beschlossenen Gesetze und Verordnungen sei nicht notwendig, da diese ohnehin nicht auf Dauer gelten sollten. Bis eine Überprüfung durch den VfGH stattgefunden habe, „werden sie nicht mehr in Kraft sein“. Dass einige Gesetzestexte teils mangelhaft seien, habe auch damit zu tun, dass „wir schnell gehandelt haben“. Und immerhin habe es „gut funktioniert“. „Ich bitte um etwas Nachsicht, dass es eine Ausnahmesituation ist“, sagte Kurz.

Virtueller Klimastreik

In anderen Ländern werden unterdessen trotz der strengen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus Kundgebungen abgehalten. Am Sonntag versammelten sich Tausende Menschen in der israelischen Stadt Tel Aviv zu einer Demonstration gegen Regierungschef Netanjahu. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trugen Masken und hielten einen Sicherheitsabstand zueinander ein. Im Libanon protestierten Anfang dieser Woche zahlreiche Menschen gegen die Korruption in der politischen Führung des Landes. Zum Schutz vor einer Ansteckung wurde die Kundgebung in Form eines Autokorsos abgehalten.

Die Aktivistinnen und Aktivisten von „Fridays For Future“ haben für Freitag unterdessen wieder zum weltweiten Streik für das Klima aufgerufen – dieses Mal aber rein virtuell. Politische Reden werden in einem Livestream übertragen, die bereits fertigen Flyer und Transparente sollen auf „Fenstern, Balkonen oder dem Gartenzaun“ angebracht werden, so Veronika Winter, Mitorganisatorin des Klimastreiks in Wien gegenüber ORF.at. „Der Coronakrise muss ebenso wie der Klimakrise in aller Handlungsbereitschaft und mit dem notwendigen politischen Willen begegnet werden“, sagte Winter.

Ob und in welcher Form wieder reguläre Demonstrationen stattfinden werden, könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, so Winter: „Das kommt natürlich auf die Entwicklungen an. Wir hören auf die Wissenschaft und wollen Menschen schützen, beim Klima und bei Corona. Für uns ist es aber nicht nachvollziehbar, dass Shoppingmeilen besucht werden können, aber Versammlungen weiterhin nicht erlaubt sind.“ Denn niemals könne eine Onlineaktion die Demonstration von Menschen im öffentlichen Raum ersetzen, so Winter. „Unsere Demokratie lebt von der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft.“