Albertina
APA/Helmut Fohringer
Schließzeiten

Erste Bundesmuseen lenken ein

Die Bundesmuseen dürften eigentlich Mitte Mai wieder aufsperren – aber zunächst hat es geheißen, sie wollten gar nicht. Nach enttäuschten und empörten Reaktionen aus Politik und von zahlreichen Privatpersonen sowie nach einem Bericht von ORF.at lenken nun das Kunsthistorische Museum (KHM), die Albertina und das Belvedere ein, wie die „Presse“ (Onlineausgabe) berichtete.

In der „Presse“ hieß es, die Direktorinnen und Direktoren seien letzte Woche durch die Pressekonferenz von Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne), wonach sie wider Erwarten schon Mitte Mai aufsperren dürfen, völlig überrascht gewesen – sprich: Man habe sie auf dem falschen Fuß erwischt. In einer ersten Reaktion hieß es, man halte trotzdem am ursprünglichen Plan fest, am 1. Juli zu öffnen, um die Zeit für Renovierungsarbeiten und Sparmaßnahmen wie Kurzarbeit zu nutzen – außerdem zahle sich eine Öffnung ohne Touristen nicht aus. Die Empörung war groß.

Das entging offenbar auch den Direktorinnen und Direktoren nicht. Das KHM hat sich laut einer Aussendung am Donnerstag Abend ebenfalls entschieden, früher zu öffnen – auf einer neu gefundenen finanziellen Basis: Generaldirektorin Sabine Haag sperrt das Haus zu Pfingsten Ende Mai auf. Den Eintrittspreis kann man im ersten Monat selbst entscheiden, es gilt das Prinzip „pay as you wish“.

Eingang zur Albertina in Wien
ORF.at/Dominique Hammer
Ohne Touristen nicht rentabel: die Albertina

„Mein Herzblut hängt daran“

Belvedere-Chefin Stella Rollig will sogar schon Mitte Mai die Sonderausstellung „Into the Night“ für zwei Wochen öffnen. Dann wäre diese sowieso ausgelaufen. Rollig gegenüber der „Presse“: „Mein Herzblut hängt daran, so viele wollten diese Ausstellung noch sehen.“ Am 1. Juni werde das Belvedere 21 geöffnet, am 1. Juli das Obere Belvedere, wo momentan bei Klimatechnik und Barrierefreiheit nachgerüstet wird.

„So eine Enttäuschung“

„Als wir gemerkt haben, dass so eine Enttäuschung herrscht über eine fortgesetzte Schließung, haben wir sofort begonnen zu überlegen, wie wir umdisponieren können", so Rollig: „Man muss sich noch einmal den Ablauf vor Augen führen. Vor knapp einer Woche noch dachten wir, eine frühere Öffnung als 1. Juli ist gar nicht möglich.“

Die Albertina wiederum hatte in ihrer Beantwortung einer Anfrage von ORF.at zunächst geschrieben, sie wolle „lieber heute als morgen öffnen“. Man habe sich in Abstimmung mit der Politik aber darauf geeinigt, „notwendige Investitionen/Infrastrukturmaßnahmen vorzuziehen, im Fall der Albertina werden Kühlaggregate getauscht“.

Dann hieß es, die Albertina Modern, deren Publikumspräsentation ausfallen musste, werde doch schon mit 1. Juni öffnen. Am Donnerstagabend besserte Generaldirektor Albrecht Schröder laut einer Agenturmeldung noch einmal nach.

Das neue Haus am Karlsplatz eröffnet nun bereits am 27. Mai mit der Schau „The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“. Aber auch das Haupthaus der Albertina wird ab diesem Datum die Ausstellungen zu Wilhelm Leibl sowie „Die frühe Radierung. Von Dürer bis Bruegel“ zugänglich machen.

Die Geschichte einer Irritation

Wie war es zu der chaotisch anmutenden Situation gekommen? Zunächst hörte man wochenlang gar nichts. Dann sagte Lunacek letzte Woche in einer mit Spannung erwarteten gemeinsamen Pressekonferenz mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), dass alle Museen Mitte Mai öffnen dürften, die Bundesmuseen aber erst am 1. Juli öffnen wollten. Es bedurfte einer Erklärung, warum gerade jene Museen, die Sammlungen im Eigentum des Steuerzahlers verwalten, erst später öffnen sollten.

Die Generaldirektorin der Nationalbibliothek und aktuelle Vorsitzende der Bundesmuseenkonferenz, Johanna Rachinger, versuchte die Irritation direkt im Anschluss an die Pressekonferenz im Ö1-Mittagsjournal aufzulösen. Sie argumentierte mit den Renovierungsarbeiten, die schon begonnen hätten, und damit, dass man die Mitarbeiter, die man in Kurzarbeit geschickt hat, nur schwer spontan in Vollzeit zurückholen könne – vor allem aus finanziellen Gründen.

KHM-Direktorin Haag zur Öffnung von Museen

Museen öffnen wieder. Kunst und Kultur drohen aber Langzeitschäden. Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums, äußert sich zur Öffnung der Museen.

„Nicht direkt eingebunden“ und „keine Weisungen“

Wenige Stunden später bekräftigte KHM-Direktorin Haag diese Begründung in der ZIB2. Die Bundesmuseen seien in guter Abstimmung mit der Politik, und ein gemeinsames Vorgehen sei ihnen wichtig. Nur: Das Gremium der Bundesmuseen war in dieser Frage gar nicht zusammengekommen, um einen offiziellen Beschluss zu fassen.

Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM), immerhin eines der größten Bundesmuseen, sagte gegenüber ORF.at: „Ich darf anmerken, dass wir vom NHM nicht direkt in irgendwelche derartigen Erörterungen eingebunden waren und vom Ministerium in dieser Sache keine schriftlichen Weisungen bekommen haben.“

Naturhistorisches Museum
ORF.at/Sonja Ryzienski
Blick auf das Naturhistorische Museum

Das Naturhistorische Museum hätte laut Köberl sehr wohl früher öffnen können als am 1. Juli, aber aus betriebswirtschaftlicher Perspektive sei es nur wenig sinnvoll. Damit schloss er sich Rachinger und Haag an.

Diskussion: Existenzbedrohung für die Kulturnation

Ulrike Lunacek, Yvonne Gimpel, Herbert Föttinger und Christoph Klingler diskutieren über die Existenzbedrohung für die Kulturnation

„Die Touristen bleiben aus“

Fragen wirft aber vor allem der ursprüngliche Plan der Bundesmuseen auf, nicht zu öffnen. So sagte Rachinger in Ö1: „Dazu kommt auch, dass wir uns nicht erwarten, dass wir sehr große Besucherströme im Mai und Juni haben werden. Die Touristen bleiben aus, die Schulen werden auch nicht kommen, weil die Vorgaben haben, wie sie sich in Zeiten von Corona zu verhalten haben, und dann haben wir ja auch noch eine starke Zielgruppe von 60 plus, das ist eine gefährdete Zielgruppe.“

Wer geht ins Museum – und wer bezahlt?

Für kulturinteressierte Laien entsteht der Eindruck: Ohne Touristen rollt der Rubel nicht, da zahlt sich ein Museumsbetrieb nicht aus. Sind die Zielgruppe von Bundesmuseen also nur zwangsverpflichtete Schüler, Seniorinnen und Senioren mit geschenkten oder stark verbilligten Tickets und Touristen, die sowieso kommen, weil Touristen einfach in Museen gehen? Wie kommen die Museen an das Geld für ihre Budgets?

OENB-Geschäftsführerin Johanna Rachinger
APA/Herbert Neubauer
Johanna Rachinger, Direktorin der Nationalbibliothek und Vorsitzende der Bundesmuseenkonferenz

Die Antwort fällt für jede Institution anders aus: Der Bund, als Eigentümer der Sammlungen, zahlt den Bundesmuseen jährlich die sogenannte Basisabgeltung. Diese deckte im Jahr 2018, das sind die letzten verfügbaren Zahlen, für die Albertina rund 30 Prozent des Budgets, für das KHM rund 50 und beispielsweise für das NHM zwei Drittel.

Das kritische Sechstel

Das ist abhängig davon, ob ein Museum teure Ausstellungen mit Leihgaben produziert oder mehr an den eigenen Beständen Forschung betreibt. Laut dem Bundesmuseengesetz sind die Museen verpflichtet, die restlichen Mittel abseits der Basisabgeltung durch Kartenverkäufe, Sponsoring, Spenden und Vermietungen ihrer Räumlichkeiten zu lukrieren.

Belvedere-Chefin Rollig und Wolfgang Bergmann, wirtschaftlicher Geschäftsführer des Hauses, beharren in einer Aussendung darauf, dass in der Coronavirus-Krise deutlich werde, dass das heimische Kulturleben wesentlich vom Tourismus lebe. „Wenn wir das Programm und die Größe der Ausstellungsflächen beibehalten wollen, müssen wir bei Wegfall der touristischen Einnahmen entweder die Ticketpreise verfünffachen, was unrealistisch ist, oder die öffentliche Basisabgeltung verdreifachen“, so Bergmann. Würde man stattdessen das Programm reduzieren, koste dies auch Arbeitsplätze. „Für die öffentliche Hand ist es daher auch unter diesem Aspekt sinnvoller, durch eine Erhöhung der Basisabgeltung Jobs zu finanzieren als Arbeitslose zu subventionieren.“

Warum aber wollten die Bundesmuseen zunächst daran festhalten, erst im Juli wieder zu öffnen? Man kann nun entweder jedes Argument im Einzelnen diskutieren und damit die Sichtweise der Museumsbetreiberinnen und -betreiber übernehmen. Oder zwei Schritte zurücktreten und die Grundsatzfrage stellen: Wieso schaffen es die Museen nicht, mehr freiwillig zahlende, erwachsene Menschen aus Österreich anzuziehen? 2018 zählten 33 Prozent der Besucherinnen und Besucher zur Bevölkerung Österreichs. Konservativ gerechnet zahlt mehr als die Hälfte davon kein Eintrittsgeld (hauptsächlich Schüler).

Kernaufgabe der Res publica

Das wirft gleich auch noch Fragen in Bezug auf das Bildungssystem auf – das ja den Boden für echtes Interesse bereiten müsste. Die Kernaufgaben der Museen sind ja „Vermitteln, Sammeln, Bewahren, Dokumentieren, Forschen und Ausstellen“. 
Einen guten Eindruck davon vermittelt „Das große Museum“, eine Doku von Johannes Holzhausen aus dem Jahr 2014 über das Kunsthistorische Museum.

Eine naheliegende Lesart der Situation wäre: Wenn humanistische Bildung zurückgedrängt wird und man lieber auf kommerziell verwertbares Wissen setzt, wenn ganze Schultypen auf Kunstunterricht verzichten, zieht man eine Generation von Museumsmuffeln heran. Doch versteht man Kunst als Reflexion von Vergangenheit und Gegenwart, Spiegel und Korrektiv der Gesellschaft zugleich, dann kann man den Erfolg von humanistischer Bildung nicht an den Kennzahlen des Kunst- und Kulturmarktes messen, sondern am Reifegrad einer Demokratie. Mit dieser Erklärung würde die Finanzierung des scheinbaren Randbereichs Kultur zu einer der Kernaufgaben der Res publica.

Ähnlich argumentiert Otto Hochreiter vom GrazMuseum, gleichzeitig Generalsekretär der ICOM Österreich gegen den Kommerz um des Kommerzes willen: „Museen sind leise und laut zugleich: Sie sind nicht nur der lauten Gegenwart des Ausstellungserfolgs und der Besucher/innen-Maximierung verpflichtet, sondern genauso der leisen Funktion als Gedächtnisspeicher der Gesellschaft.“ Dann müsste die Gesellschaft aber auch reingehen ins Museum.

Shoppingcenter ja, Museum nein

Faktum ist: Gerade in einer Zeit, in der ein großer Teil der Österreicher ins Museum gehen könnte, weil viele neben Kurzarbeit und reduziertem Homeoffice und mangels Urlaubsalternativen Zeit hätten, sind einige der wichtigsten Museen des Landes zu, während sich die Menschen in Baumärkten und bald auch wieder Einkaufszentren drängeln. Auch wenn jetzt nach und nach eingelenkt wird: Es bleibt ein schaler Nachgeschmack in der Kulturnation.