Gelse auf einem Daumen
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Bissige Gesellen

Gelsen heuer früher aktiv

Noch hat sie nicht begonnen: die Gelsensaison. Doch einige der bissigen Gesellen sind – früher als sonst – schon aktiv. Und bald werden es wieder Abermillionen sein. Wie heftig die Saison heuer wird, hängt für den Gelsenexperten Bernhard Seidel auch vom menschlichen Hausverstand ab.

Differenziert wird zwischen Haus- und Überschwemmungsgelsen. Während Letztere in Überschwemmungsgebieten ausgebrütet werden, überdauern Erstere den Winter in frostfreien Verstecken von Häusern und bewegen sich im Frühjahr wieder nach draußen, um kontinuierlich eine Generation nach der anderen zu bilden. Bis zu 300 Eier legt laut Seidel ein einziges Gelsenweibchen nach einer Blutmahlzeit, die es sich mit einem Stich bzw. Biss holt.

Beide Ausdrücke seien übrigens erlaubt, so der Experte im ORF.at-Interview, „im Gegensatz zu Wespen beispielsweise, die nur stechen, nicht aber beißen können“. Es mag dann ein bis zwei Wochen dauern, bis aus den Eigelegen im Wasser, aus einer Larven- und nach einer Puppengeneration die geflügelten Blutsauger schlüpfen. Dieser Zyklus wiederhole sich dann bis zum Spätsommer mehrmals, und somit entstehe über das Jahr eine gewaltige Gelseninvasion.

Schon zweite Generation unterwegs

Bei acht bis neun Generationen seien das rechnerisch – die hohe Ausfallquote und vielen Fressfeinde außer Acht gelassen – bis zu eine Milliarde Nachkommen, sagte Seidel. Heuer habe der Frühling rund 14 Tage früher eingesetzt und sei besonders mild gewesen. Schon vor Ostern habe er Eigelege gefunden und „erste Erlebnisse mit Gelsen“ gehabt, so Seidel, „trotz anhaltender Trockenheit“.

Schlüpfende Gelse
Peter Pfeiffer
Bald werden Millionen Gelsen wie diese aus ihrer Puppenhülle schlüpfen

Zum einen habe es hie und da Regenschauer gegeben, zum anderen gebe es aber unabhängig davon in einer Siedlung ab dem Frühjahr zahlreiche mit Wasser gefüllte Behälter wie Gießkannen, Blumengeschirr und Regentonnen, die als Brutstätten für Gelsen geeignet sind. Mit Hausverstand lasse sich aber leicht gegensteuern und die Gelsenmenge einfach reduzieren, sagte Seidel. Der Experte rät zu einer genauen Inspektion solcher Behältnisse und zum gründlichen Säubern des Bodensatzes.

„Massenbestände gibt es heuer zwar noch nicht, die Gelsen scharren aber schon in den Startlöchern“, warnte Seidel. Mittlerweile seien die Tiere schon in der zweiten Generation, „hochgerechnet bedeutet das eine Vergrößerung der Population um weit mehr als das 200-Fache“. Die Lage könnte sich zudem schlagartig verschärfen und zu einer Plage auswachsen, wenn es wie etwa im Juni 2019 zu Hochwasser kommt.

„Prävention relativ leicht“

Das Bundesland Salzburg hat im vergangenen Jahr eine Untersuchung der Gelsenpopulationen durch die Agentur für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (AGES) durchführen lassen. Diese Erhebung ist laut Seidel zu dem Schluss gekommen, dass der Entwicklung der Gelsen gerade in den Siedlungsgebieten zu viel an Raum und Möglichkeiten gewährt werde. „Präventionen wie die Kontrolle ihrer Brutstellen um das eigene Haus sind relativ leicht zu machen, sehr wirksam und auch aus hygienischer Sicht sinnvoll“, so der Experte.

Die ersten Gelsen in der Falle

Die ersten Gelsen des noch jungen Jahres hat Experte Bernhard Seidel bereits gefangen. Eine genaue Prognose, wo und wann die Blutsauger in Scharen auftreten werden, ist aber schwierig.

„Nachdem zahlreiche Menschen gerade jetzt durch die Maßnahmen zur Coronavirus-Epidemie viel Zeit zu Hause verbringen, mag der Hinweis auf einen ‚Gelsen-Frühjahrsputz‘ eine sinnvolle Ergänzung sein, weil Gelsen in den Sommermonaten lästig werden können und weil sie auch als Überträger von verschiedenen Krankheitserregern bekannt sind“, sagte Seidel, betonte aber: „Das Coronavirus übertragen Gelsen nicht.“

Als potenzielle Krankheitsüberträger seien die Insekten dennoch nicht ungefährlich, mahnte Seidel und nannte etwa das West-Nil-Virus und das Usutu-Virus. Übertragungen durch Gelsenstiche hat es laut Experten schon mehrfach gegeben. Dabei sei das Szenario dem einer Coronavirus-Infektion nicht unähnlich. Wie bei dieser sei dieselbe Risikogruppe besonders betroffen, und es gebe keine Impfung dagegen. Außerdem verlaufe ein Großteil der Infektionen asymptomatisch, „heißt: bleibt verborgen“, so Seidel.

In Reifen auf Reisen

Hinzu kommt, dass Zuzüglerarten oft sehr resistent sind – etwa die asiatische Buschmücke. Auch dieser Gelsenart würden für ihre Larven schon kleine stehende Gewässer wie Lacken und Gießkannen genügen. Außerdem können sie laut Seidel auch Frost überleben und sogar in montane Gebiete vordringen. Er habe vergangenes Jahr bis Ende November Aktivität registriert und auch heuer schon asiatische Buschmückelarven gefunden, sagte Seidel. In Österreich sei diese Gelsenart erstmals 2011 im steirisch-slowenischen Grenzgebiet nachgewiesen worden, inzwischen habe sie sich in Südostösterreich etabliert.

Mit dem Klimawandel habe ihre Verbreitung jedoch nichts zu tun, so Seidel, denn dann wären diese Gelsen hierzulande schon viel länger heimisch, etwa im städtischen Bereichen wie der U-Bahn, wo es nie gefriert. Die Ursachen liegen laut dem Experten vielmehr im globalen Handel. Eingenistet auf Waren wie Bambussprossen und Reifen würden sie als blinde Passagiere aus Südostasien transportiert werden und im Hafen von Triest oder Hamburg einfach an Land gehen. Gelsen wie die asiatische Buschmücke seien in der Lage, „die Vorzüge der menschlichen Kultur zu nützen“, seien also Kulturfolger. Aus ökologischer Sicht seien sie somit Anzeiger von Veränderungen im Lebens- und Kulturraum.

Kaum Maßnahmen zur Eindämmung

Im Gegensatz zum Kampf gegen das Coronavirus würden seitens der zuständigen Behörden aber kaum Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung gesetzt. So werde die Gelsenproblematik bei Raumplanungs- und Wasserbauprojekten nicht berücksichtigt. Rückhaltebecken etwa seien „wahre Gelsenschleudern“. Statt mögliche Nistplätze zu reduzieren, werde nachträglich Gift versprüht. „Das ist aber nicht nachhaltig, ökologisch problematisch und teuer“, sagte Seidel.

Wie bei einer Bergwanderung

Und wie sich vor Gelsenstichen bzw. -bissen schützen? Von Repellents hält Seidel nur wenig. „Wie beim Schutz gegen das Coronavirus steht und fällt auch der Schutz gegen Gelsen mit dem Hausverstand“, so Seidel. „Mit dem Coronavirus kann man sich fast nicht infizieren, wenn man die entsprechenden Maßnahmen einhält und sich isoliert.“

Wassertümpel in einem Wald
Bernhard Seidel
In Waldtümpeln wie diesem brüten gerade massenhaft Gelsen

Isolation helfe gegen Gelsen zwar nicht, „wenn man aber vor die Türe geht, muss man einfach wissen, wohin man geht, sich informieren und sich richtig anziehen, so wie wenn man auf einen Berg geht“, sagte Seidel, „denn wenn man auf den Berg geht, zieht man sich gescheite Schuhe und Kleidung an, und das sollte man auch als Schutz vor den Gelsen tun.“ Mit kurzen Hosen nach einem Hochwasser auf die Donauinsel zu gehen sei wie ins offene Messer zu laufen, nannte Seidel als ein abschreckendes Beispiel.