Senior mit Kinderwagen
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Risiko abschätzen

Kontakt zu Großeltern als Gratwanderung

Die Älteren schützen, lautet die Devise in Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Zwar sind mit 1. Mai die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Begleitet von der Einmeterabstandsregel und dem Tragen von Schutzmasken öffnen damit mehr Bereiche des öffentlichen Lebens. Bei vielen Senioren und Seniorinnen nimmt dadurch die Verunsicherung allerdings zu.

Welche Aktivitäten und Kontakte sind nun wie möglich, ohne das Risiko einer Ansteckung zu groß werden zu lassen? Groß wird das Fragezeichen beim Kontakt zu den Enkelkindern. „Für Kinder ist die Kontaktlosigkeit schwer verständlich, für Großeltern zermürbend“, sagt Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health an der MedUni Wien gegenüber ORF.at.

Entsprechend sorgte die Aussage des offiziellen Schweizer Covid-19-Beauftragten, Daniel Koch, dass einander Großeltern und Enkelkinder ohne Risiko umarmen dürften, für Aufsehen. Koch hält es aber für ratsam, dass Oma und Opa noch nicht auf ihre Enkel aufpassen, denn dann nehme auch der Kontakt zu den Eltern, der mittleren Generation, zu. Und da sei das Risiko für die Großeltern höher, sich anzustecken.

Seniorein beim Videotelefonieren
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In den vergangenen Wochen verlagerte sich der Kontakt innerhalb der weiteren Familie auf Telefon- und Videogespräche

Derzeit geringe Durchseuchung bei Kindern

Derzeit gebe es eine geringe Durchseuchungsrate bei Kindern, erklärt die Virologin Monika Redlberger-Fritz gegenüber ORF.at. Es sei daher derzeit wahrscheinlicher, dass sich Ältere bei Erwachsenen anstecken. Mit der steigenden Zahl von Kindern in Schulen und Kindergärten könne die Zahl der infizierten Kinder aber steigen.

Sind Kinder mit dem Coronavirus infiziert, haben sie in den meisten Fällen einen milden Verlauf. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie hoch das Ansteckungsrisiko durch Kinder ist. Es gibt bemerkenswerte Einzelfälle und erste Analysen, die nahelegen, dass die Rolle von Kindern und Jugendlichen bei der Ausbreitung der Pandemie überschätzt worden sein könnte. Große Studien dazu fehlen aber noch – mehr dazu in science.ORF.at.

Offene Fragen zu Kindern

Eine am Mittwochabend publizierte Studie aus dem Labor des Virologen Christian Drosten an der Berliner Charite zeigt dagegen, dass Kinder so infektiös sind wie Erwachsene. Bei der Viruslast gebe es keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen, twitterte Drosten. Aber es zeigte sich auch: Je älter die Kinder, desto höher die Viruslast. Studienleiter Terry Jones mahnte entsprechend zur Vorsicht bei der unbegrenzten Wiederöffnung von Schulen und Kindergärten – mehr dazu in science.ORF.at.

Für die Studie wurden 3.712 Infizierte getestet, darunter 37 Kinder im Kindergartenalter, 16 Volksschüler und 74 Jugendliche aus höheren Schulen. Die Anzahl der Kinder ist nicht hoch, nach Angaben der Berliner Forscher seien aber seit Beginn der Pandemie bisher nur 1.065 mit dem Virus infizierte Kinder erfasst worden, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“). Einige der bisherigen Studien zweifelten daran, dass Kinder eine große Infektionsquelle darstellen. Einschränkungen in diese Richtung kamen auch vonseiten der Virologen der Charite: Da Kinder oft nur mit wenigen oder ganz frei von Symptomen erkranken, werde auch weniger infektiöses Material freigesetzt.

„Ansteckungsrisiko minimieren“

„Eine 100-prozentige Sicherheit, sich nicht anzustecken, gibt es nur, wenn es keinen Kontakt zwischen Großeltern und Enkelkindern gibt“, sagt Redlberger-Fritz gegenüber ORF.at. Sie gesteht aber zugleich zu, dass das sozial nicht möglich sei. Es gehe also darum, das „Ansteckungsrisiko zu minimieren“. Das gehe am besten beim Kontakt im Freien und mit einem Meter Abstand. In Räumen müsse man das Übertragungsrisiko so weit wie möglich minimieren, so Redlberger-Fritz – auch hier mit Abstand und ausgiebigem Lüften.

Besuche in Pensionistenheimen

Im Zuge der Lockerungen auch für private Zusammenkünfte forderte Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec Lockerungen für innerfamiliäre Besuche, da ältere Menschen besonders unter dem Alleinsein leiden: „Keine Familienbesuche, kein gewohnter Alltag, kein kurzes Gespräch rasch im Vorbeigehen, das ist schwer zu ertragen“, so Korosec. Das habe sich vor allem bei Bewohnern von Senioren- und Pflegeheimen gezeigt. Es sei zudem an der Zeit, dass die „Großeltern wieder ihre Kinder und Enkel besuchen können“.

Seniorin telefoniert
ORF.at/Christian Öser
In Senioren- und Pflegeheimen sind unter strikten Sicherheitsmaßnahmen ab 4. Mai wieder Besuche möglich

Für die besonders gefährdeten Bewohner und Bewohnerinnen von Senioren- und Pflegeheimen gibt es nun konkrete Handlungsempfehlungen, wie wieder Kontakt nach außen möglich ist. Lange Isolation ist ein großes Problem. Mit 4. Mai werden die im Zuge der Coronavirus-Krise eingeführten Besuchsbeschränkungen gelockert. Bei der Umsetzung sind die Pflegeheime gefragt – etwa mit Plexiglasschutz, viel Abstand, Schutzmasken und Händewaschen.

Prozedere für Kontakte gefragt

Für ältere Menschen außerhalb der betreuenden Institutionen gibt es keine konkreten Vorgaben. Hutter sieht hier das Sozial- und Gesundheitsministerium gefragt, wie in nächster Zukunft die Kontakte von Älteren mit der engeren Familie am sichersten zu organisieren seien: „Wenn man nicht aktiv vorgeht und kommuniziert, was möglich ist, entscheidet jeder irgendwann selbst, wie die Kontakte gestaltet werden, und das ist dann regellos.“ Dabei handle es sich um simple Anweisungen: „Was ist erlaubt? Was können wir tun? Das ist keine Hexerei“, so Hutter.

Das Sozial- und Gesundheitsministerium verweist mit Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen auf die Eigenverantwortung aller Beteiligten, wie im privaten familiären Umfeld achtsam miteinander umgegangen wird: „Je länger und je näher die Kontaktaufnahme erfolgt, desto höher ist das Risiko. Der Kontakt zwischen den Generationen bringt somit ein gewisses Risiko mit sich.“ Dieses müsse jeder selbst abschätzen.

Die Entscheidung liege bei den Familienangehörigen, was getan wird und ob die Empfehlungen befolgt werden. Zu den Empfehlungen zählen eben, die Hände zu waschen, Abstand zu halten und eine Maske zu tragen, hieß es aus dem Ministerium gegenüber ORF.at. Es gelte aber weiterhin grundsätzlich, soziale Kontakte zu minimieren.

„Kein Problem“, Kinder abzuholen

So bleibt auch die Entscheidung jedem selbst überlassen, wann etwa Enkelkinder wieder von den Großeltern betreut werden. Die Expertenmeinungen dazu gehen auseinander. Während etwa Public-Health-Experte Hutter „kein Problem“ darin sieht, wenn Großeltern ihre Enkelkinder von Kindergarten und Schule abholen – unter Voraussetzung der Einhaltung der Abstandsregel und mit Maske –, ist Redlberger-Fritz zurückhaltender: „Schulkinder vor dem Gebäude abholen ist nicht so ein großes Problem.“

Schwieriger werde es im Kindergarten, wenn man in einem geschlossenen Raum auf viele andere Kinder treffe: „Das würde ich derzeit eher noch mit Vorsicht betrachten.“ Ähnlich argumentiert auch das Ministerium: „Dass Großeltern die Kinder vom Kindergarten abholen, ist nicht ratsam.“ Und wie die Situation im Sommer sein werde, könne man jetzt noch nicht vorhersagen.