Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
„Bisschen bizarr“

Debatte über Kontrolle und Angstschüren

Mit den Regeln zu den Ausgangsbeschränkungen hat die Regierung in den vergangenen Tagen erneut für Verwirrung gesorgt. Die Kritik darüber ist auch am Dienstag nicht abgeflaut. Die Diskussion, dass private Treffen durch die aktuellen Regeln nicht verboten sind, findet Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) „ein bisschen bizarr“. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) unterstützt das.

Anschober versteht die wieder aufgekochte Debatte deshalb nicht, weil man schon vor Ostern betont habe, private Wohnungen nicht zu kontrollieren. Nehammer ergänzte, dass die ab Mitte März von der Polizei durchgeführten Amtshandlungen zur Auflösung von „Corona-Partys“ nicht wegen der Ausgangsbeschränkungen durchgeführt wurden, sondern wegen anderer Vorwürfe: „Grundlage war immer das Thema Lärmbelästigungen.“ Und: „Wir haben nie den Anspruch gehabt, schon gar nicht als Polizistinnen und Polizisten, Wohnungen zu betreten und Nachschau zu halten, ob sich da Menschen versammeln.“

Anschober verwies diesbezüglich auch auf die Diskussion über den „Ostererlass“. Dieser hätte eine Obergrenze für private Familienfeiern fixieren sollen, wurde aber nach öffentlichen Protesten zurückgezogen. „Du kannst im privaten Bereich weder kontrollieren noch sinnvollerweise dadurch Verankerung realisieren“, so der Gesundheitsminister.

„Ostererlass nicht verwirklicht“

Daher sei es „formalrechtlich richtig, dass es kein Verbot von Besuchen von Verwandten gegeben hat, weil wir das mit dem Ostererlass nicht verwirklicht haben“, so Anschober weiter. Gleichzeitig bekräftigte er die – von Juristen angesichts des Wortlauts der Verordnung bezweifelte – Rechtsansicht der Regierung, dass ein Besuch in einer privaten Wohnung eigentlich gar nicht möglich sein dürfte, weil die noch bis Ende April geltenden Ausgangsbeschränkungen keine diesbezügliche Ausnahme vorsehen.

Anschober über die Kritik an den Verordnungen

In den vergangenen Wochen wurde vonseiten der Regierung kommuniziert, dass es nur vier Gründe gebe, um das Haus zu verlassen. Das findet so jedoch keine rechtliche Deckung. Gesundheitsminister Rudolf Anschober nimmt zur Kritik der Opposition, die Regierung habe die Bevölkerung getäuscht, Stellung.

Im Interview mit der ZIB2 am Dienstagabend hielt Anschober auch erneut fest, dass die Bestimmungen laut Juristen verfassungskonform seien. Es liege aber bei den Höchstgerichten, darüber zu entscheiden. Dass es in Privatwohnungen Polizeikontrollen geben werde, wies Anschober jedenfalls erneut zurück. Das sehe „auch der Innenminister so“.

Bereits untertags hatte Anschober sich gegen den Vorwurf verwehrt, die Regierung und insbesondere Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe bewusst die Angst vor der Ansteckung geschürt. Die Opposition hatte diesen Vorwurf erhoben, weil im Protokoll einer Sitzung von Regierung und Experten vom 12. März von einem Spiel mit der Angst die Rede war. „Es war eine Analyse, wo es nicht um Angstmache gegangen ist, sondern wo es darum gegangen ist, sichtbar zu machen, wie die Entwicklung in mehreren Nachbarstaaten bereits ist und was das bei uns bedeuten könnte, wenn wir nicht handeln“, so Anschober.

Opposition warnt vor Kontrollen

NEOS befürchtet, dass die Regierung entgegen öffentlicher Beteuerung doch noch Kontrollen in Privathaushalten planen könnte. Anlass ist eine vom Kanzleramt an die Parlamentsklubs verschickte Zusammenfassung der ab 1. Mai geltenden Maßnahmen. Dort heißt es, die Einhaltung der Zehnpersonengrenze werde auch für den privaten Bereich empfohlen, aber „vorerst“ nicht kontrolliert. „Die österreichische Bundesregierung droht uns, dass sie in Zukunft dann auch noch die Polizei zu uns nach Hause schickt, wenn wir uns nicht so verhalten, wie sie es gern hätte“, kritisierte NEOS-Vizeklubchef Nikolaus Scherak in einer Aussendung.

Insgesamt zeigte sich die SPÖ heute in einer Aussendung besorgt ob „der autoritären Tendenzen, die diese Bundesregierung an den Tag legt“, so SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung. Er bezog sich auf die Drohung der Bundesregierung „vorerst nicht, aber in Zukunft vielleicht doch private Haushalte zu kontrollieren“. „Die Drohgebärden und das Spiel mit der Angst sind eines Bundeskanzlers und einer Bundesregierung unwürdig“, sagte der SPÖ-Klubchef.

FPÖ beantragt Ministeranklage

Auch FPÖ-Klubchef Herbert Kickl gefällt die Vorgehensweise Anschobers gar nicht. „Wenn die Österreicher nicht brav sind, dann schicken ihnen ÖVP und Grüne die Polizei in die Wohnung, ins Wohnzimmer oder in den Garten“, argwöhnte er. Beide Parteien verwiesen auf die Unverletzlichkeit des Hausrechts. Die FPÖ bringt am Dienstag im Nationalrat außerdem einen Antrag auf Ministeranklage beim VfGH gegen Anschober ein. Für die Freiheitlichen hat der Ressortchef seine Arbeit in der Krise nicht nur besonders sorglos, sondern auch schuldhaft und rechtswidrig ausgeführt.

Belakowitsch (FPÖ) und Leichtfried (SPÖ) kritisieren Regierung

Dagmar Belakowitsch, die Gesundheitssprecherin der FPÖ, und Jörg Leichtfried, der stellvertretende Klubobmann der SPÖ, sehen Probleme in der Bewältigung der Coronavirus-Krise und üben Kritik am Krisenmanagement der Regierung.

Anschober habe entgegen dem Gesetzestext ein „generelles Betretungsverbot“ für den gesamten öffentlichen Raum verordnet, obwohl aufgrund des Covid-19-Maßnahmengesetzes nur das Betreten einzelner abgegrenzter Orte hätte untersagt werden dürfen. Auch um den „Ostererlass“ geht es dabei. Der entsprechende Antrag, der als Ziel die Amtsenthebung Anschobers hat, wird fürs Erste dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Dass der Sozialminister real gefährdet wäre, ist mehr als unwahrscheinlich, da es sich bei der Ministeranklage um kein Minderheitenrecht handelt.

„Hat Exekutive vor große Probleme gestellt“

Die Kritik an der Art der Kommunikation reicht über die Parteienlandschaft hinaus. Auch Verfassungsjurist Heinz Mayer bemängelte im Gespräch mit Ö1, dass mehrfach von der Regierung Verbote impliziert worden seien, die in den Verordnungen gar nicht vorgesehen waren.

„Es ist leider vorgekommen, dass Politiker Inhalte kommuniziert haben, die in den Verordnungen nicht festgemacht sind. Das hat die Exekutive vor große Probleme gestellt“, sagte Mayer im Ö1-Mittagsjournal. Warum die Regierung nicht auch Gesetze für das Verhalten in privaten Wohnungen erlassen habe, verstehe er nicht. Grundsätzlich sei das laut Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) möglich, wenn auch ein massiver Grundrechtseingriff, so Mayer – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Ausgangsbeschränkungen laufen aus

Anschober kündigte am Dienstag das Auslaufen der derzeit noch geltenden strengen Ausgangsbeschränkungen mit 30. April, 24.00 Uhr, an. Sie werden durch neue Regeln ersetzt: Ausgehen ist generell wieder erlaubt, dabei gilt es aber weiter den Mindestabstand von einem Meter einzuhalten, so der Gesundheitsminister bei einer Pressekonferenz. Auch kleine Veranstaltungen mit bis zu zehn Personen werden damit wieder möglich sein.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Auch Nehammer wies die Kritik zurück

Wie Nehammer ergänzte, werden Veranstaltungen künftig bis zehn Personen möglich sein, bei Begräbnissen können bis zu 30 Personen anwesend sein. Die neuen Regeln sollen vorerst bis Ende Juni befristet gelten. Hotels, Tierparks, Sehenswürdigkeiten und Schwimmbäder dürfen am 29. Mai öffnen, kündigte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger an (ÖVP) – sofern der Mindestabstand eingehalten werden kann.

„Wir können jederzeit Stopp sagen“

Davon ausgenommen sind laut Anschober „Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz“ (Demonstrationen). Diesbezüglich soll im Nationalrat eine eigene Regelung beschlossen werden, „wo Demonstrationen unter ganz bestimmten Voraussetzungen auch möglich sein werden“, sagte der Gesundheitsminister. Nehammer betonte, dass es Aufgabe der Polizei sei, Grundrechte zu schützen. Bei künftigen Demonstrationen sei der Sicherheitsabstand von einem Meter erforderlich. Veranstalter müssen garantieren, „dass Auflagen umgesetzt werden“. Dazu zähle auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.

Sachlicher Hintergrund der Lockerung ist laut Anschober ein Rückgang der Infektionszahlen. So sei die Reproduktionszahl zuletzt erstmals unter 0,6 gelegen (nämlich bei 0,59). „Der ganz große Blumenstrauß an die Bevölkerung, die das ermöglicht hat“, so Anschober. Aber es komme weiterhin auf jeden Einzelnen an: „Es ist leider noch nicht vorbei.“ Die Maßnahmen werden evaluiert: „Wir können jederzeit Stopp sagen.“