Autos stehen auf einem PArkplatz eines Autokinos in Dortmund in einer Reihe, im HIntergrund eine Kinoleinwand
Reuters/Leon Kuegeler
Autokino bis Keynesianismus

Die Rückkehr der vergessenen Dinge

Viele Wochen häuslicher Isolation und andere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben den Alltag auf den Kopf gestellt. Dabei tauchten einige Dinge wieder auf, die in den vergangenen Jahren auf dem absteigenden Ast waren, vielleicht sogar in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden waren, die sich doch jetzt plötzlich wieder als ganz und gar nicht unpraktisch erweisen.

Das Autokino: Auferstehung eines Relikts

Ein Relikt der 1950er, 60 und 70er Jahre feierte in Südkorea und in Deutschland eine Auferstehung. Angesichts von Kinoschließungen kamen findige Betreiber darauf, das Autokino wiederzubeleben. In den USA in den 1930er Jahren erfunden, war das Autokino nicht nur ein Symbol für die Verbundenheit des Menschen zu seinem fahrbaren Untersatz. Das Autokino hatte auch eine andere Funktion: Junge Paare konnten sich in Ermangelung eines anderen Rückzugsorts näher kommen. Das bekannteste Autokino in Österreich wurde 1967 in Groß-Enzersdorf am Rande Wiens gegründet. In wirtschaftliche Turbulenzen geriet es öfters, 2015 wurde es schließlich geschlossen. Nun ist eine Wiedereröffnung geplant, die aber vorerst noch scheiterte – mehr dazu in noe.ORF.at. Und auch ein Projekt in Linz wurde angekündigt, in den 70er Jahren hatte es auch in Pasching ein Autokino gegeben – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Wenn man vom WLAN Kabel kriegt

Die Bilder bei der Videokonferenz frieren permanent ein, die Website baut sich in Zeitlupe auf, und im geistigen Ohr tauchen plötzlich piepsende Telefonmodemgeräusche aus den späten 90er Jahren auf: Das Homeoffice stellt das eine oder andere Heim-WLAN vor eine Belastungsprobe. Die Lösung liegt im besten Fall in jener Kiste im Keller, wo sich neben Elektroschrott, Dutzenden Ladekabeln und sonstigen Technorelikten auch noch ein Ethernet- bzw. LAN-Kabel findet. Drahtlos mag schicker sein, im Zweifelsfall nimmt man dann aber doch ein quer durchs Zimmer laufendes Kabel in Kauf – zumindest solange der Küchentisch als Arbeitsplatz herhalten muss.

Ethernet-Kabel
ORF.at/Zita Klimek
Kabelsalat statt Funkloch

Reindlschnitt wird zum Bowl Cut

Es gab Zeiten, da galten Friseurbesuche – vor allem für Kinder – als leicht einsparbares Luxusgut. Also wurde selbst Hand angelegt, und Finessen wie Stufenschnitt und Undercut sollten erst später das Friseurhandwerk bereichern. Als Motto galt: Hauptsache rundum gerade, das Resultat war der Reindlschnitt oder der Topfschnitt, damit man es im benachbarten Deutschland auch versteht.

Und in Zeiten geschlossener Friseure macht auch das Wachstum des Haupthaars nicht halt. Wer nicht gerade das Must-have-Tool der vergangenen Wochen, die Haarschneidemaschine, zu Hause hatte, griff oft und gerne zur Schere. Und fast schon prophetisch hatten diverse Lifestyle-Magazine bereits im Vorjahr den Reindlschnitt als neue Trendfrisur ausgerufen, als Bowl Cut natürlich, klingt auch gleich viel besser.

Model mit Topfschnitt
Reuters/Stephane Mahe
Hipp durch die Krise

Es wird wieder telefoniert

In der Selbstisolation und der physischen Distanzierung wurde wenig überraschend viel gesimst, gewhatsappt, gefacebookt, geskypt und gezoomt. Wiederentdeckt wurde auch das gute alte Telefonat. Während in den vergangenen Jahren die Mobilfunk- und Festnetzbetreiber ein stetiges Sinken der Telefongespräche vermeldeten, verzeichneten sie ab März einen sprunghaften Anstieg. Die Zahl der Gesprächsminuten stieg bei einigen Betreibern um die Hälfte an, manche beobachteten sogar eine Verdoppelung. Auch Auslandsgespräche legten stark zu. Und nicht nur private Gespräche sorgten für den Telefonieboom: Auch die vielen Menschen im Homeoffice können nicht alles mit Onlinekommunikation klären, auch hier hilft oft der Griff zum Telefon. So verzeichneten einige Betreiber die meisten Gespräche des Tages am Vormittag.

Brettspiele und Puzzles entstaubt

Vom Revival des Brettspiels wurde schon viele Jahre erzählt und geschrieben. Und tatsächlich zählt fast jeder Haushalt das eine oder andere Gesellschaftsspiel gut verstau(b)t in irgendeinem Kasten. Doch jetzt nahm man sich tatsächlich die Zeit, das Weihnachtsgeschenk von vor vier Jahren einmal zur Hand zu nehmen. Wobei in Zeiten angespannter Nervenkostüme nicht jedes Spiel gleich gut geeignet ist, eine Partie „Mensch ärger dich nicht“ könnte problematisch werden.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Puzzles. Als Mensch zwischen 20 und 50 erfolgte die letzte Begegnung mit einem Puzzle zumeist in einer Frühstückspension, die sich den Charme der 80er Jahre erhalten hat. Und dort hängt – je nach Region – der 500-teilige Tauernblick, die Kirche von Heiligenblut oder der Stephansdom fein säuberlich auf Karton geklebt im Gang zu den Gästezimmern. Doch jetzt, wo genug Zeit ist, zeigt sich für viele, dass so ein Puzzle durchaus eine kontemplative Freizeitbeschäftigung sein kann – mehr dazu in wien.ORF.at.

Brettspiel
ORF.at/Lukas Krummholz
Endlich Zeit für Spiele

Der Bassenatratsch ist wieder da

Apropos Zeit: In Zeiten, in denen der Gang zum Postkasten und das Misthinuntertragen schon fast zum Tageshighlight wurde, kam es auch zu ganz außergewöhnlichen Begegnungen, mit einer Spezies, die man sonst kaum zu Gesicht bekam: andere Menschen. Würdigte man diese in Normalzeiten bestenfalls mit einem kurzen Gruß, hatte man nun nicht nur die Postadresse gemeinsam. So beobachteten viele, dass sie sich mehr oder weniger erstmals länger mit ihren Nachbarn unterhalten haben. Der gute alte Bassenatratsch, benannt nach dem Wasserbecken im Gang alter Mietshäuser, hat wieder seine Berechtigung.

Bassena in einem Wiener Altbau
ORF.at/Carina Kainz
Die Bassena – einst sozialer Treffpunkt im Mehrparteienhaus

Schulfernsehen: Bildung am Bildschirm

Seit den 60er Jahren gehörte es zum Fixpunkt des ORF-Programms, 1992 wurde es als nicht mehr zeitgemäß eingestellt: das Schulfernsehen. Zeitgeschichte, Mathematik, aber vor allem Fremdsprachen sorgten dafür, dass der vielzitierte Bildungsauftrag des ORF in aller Munde war. Als bis heute legendär gilt vor allem „Russisch für Anfänger mit Lisa Schüller“. Wie bei allen anderen öffentlich-rechtlichen Sendern wurde das Schulfernsehen auch in Österreich von der Zeit überholt.

Im März erfolgte nun nach der Schließung der Schule respektive der Einstellung des Unterrichts in den Schulen das große Revival: Als „Freistunde“ wird täglich am Vormittag ein dreistündiges Spezialprogramm für Kinder angeboten – inklusive der Nachrichtensendung „ZIB Zack“ – mehr dazu in tv.ORF.at.

Fanny Stapf
ORF/Günther Pichlkostner
„Freistunde“ im ORF statt Unterricht in der Schule

Keynesianismus: Die Rückkehr des starken Staats

Der Keynesianismus stand jahrzehntelang auf dem Abstellgleis der wirtschaftstheoretischen und vor allem wirtschaftspolitischen Ansätze. Dabei hatte er beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre gute Dienste geleistet: Benannt nach dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes steht die Denkrichtung – verkürzt gesagt – für einen starken Wohlfahrtsstaat, der aktiv und durchaus finanziell aus dem Vollem investierend in die Wirtschaftspolitik eingreift, um Arbeitslosigkeit zu verhindern und damit auch Produktion und Nachfrage sicherzustellen – auch um den Preis, Schulden anzuhäufen. Abgelöst wurde der Keynesianismus mehr und mehr durch das Postulat der Herrschaft des freien Marktes, der vieles bis alles regeln soll. Unter dem Sammelbegriff neoliberaler Politik wurde der Staat verschlankt und der betriebswirtschaftlichen Maxime der höheren Einnahmen im Vergleich zu Ausgaben im Greißlerstil unterworfen.

Lord John Maynard Keynes
AP
John Maynard Keynes

Doch jetzt, im „Worst Case“-Szenario, zählt die schwarze Null nicht mehr viel. Selbst die strengsten Apologeten des schlanken Staats entdecken den Keynesianer in sich: Milliardenpakte für alle möglichen Wirtschaftszweige werden geschnürt, staatliche Beteiligungen werden geschmiedet, mehr oder weniger bedingungslose Grundeinkommen werden diskutiert und regional umgesetzt, einige Länder diskutieren sogar ein Helikoptergeld, also Barzahlungen an alle Einwohnerinnen und Einwohner. Und das nicht nur aus Nächstenliebe: Ein Wirtschaftscrash, horrende Arbeitslosenzahlen und damit abstürzende Steuereinnahmen sind ein Teufelskreis, den auch der Markt nicht so einfach durchbrechen kann.

Und anders als in der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren, als auch schon von Keynesianismus die Rede war, als einigen Industrien, vor allem aber Banken stark unter die Arme gegriffen wurde, erinnern sich manche offenbar nicht nur an das geflügelte Wort von Keynes, mit dem er Kurzsichtigkeit bei der Verschuldung begegnet war: „Auf lange Sicht sind wir alle tot", schrieb er, aber auch gleich darauf: „Die Volkswirtschaft macht es sich zu leicht und macht ihre Aufgabe zu wertlos, wenn sie in stürmischen Zeiten uns nur sagen kann, dass, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig sein wird."