Leerer Kinosaal
ORF.at/Julia Hammerle
Streit über Streaming

Kinoboykott könnte Filmwelt umkrempeln

Das Filmstudio Universal hat sich dazu entschlossen, im Zuge der Krise „Trolls World Tour“ zum Kinostart gleichzeitig online zu veröffentlichen – mit überraschendem finanziellen Erfolg. Das Studio dachte deshalb laut darüber nach, diesen Weg künftig für alle Filme zu gehen. Die weltgrößte Kinokette AMC kündigte daraufhin einen Boykott für Universal-Filme an – der Streit könnte einen Umbruch in der Branche auslösen.

Das Coronavirus sorgt für zahlreiche Verzögerungen in der Filmbranche: Premieren werden verschoben, durch Ausgangsbeschränkungen bleiben die Kinosäle leer. Für alle Beteiligten bedeutet das große finanzielle Belastungen – und zwingt selbst einige Großkonzerne offenbar zum Umdenken.

„Trolls World Tour“, die Fortsetzung des 3-D-Animationsfilms „Trolls“, hätte am 10. April in den US-Kinos anlaufen sollen. Da zu diesem Zeitpunkt viele Säle nicht mehr zugänglich waren, entschied sich Universal, den Film am selben Tag auch online anzubieten – für 20 Dollar in den USA und 15 Euro in Europa.

Onlineverleih brachte 100 Millionen Dollar

Die Formel ging auf: In drei Wochen spielte der Film allein auf dem US-Markt rund 100 Millionen Dollar ein, berichtete das „Wall Street Journal“ („WSJ“) am Dienstag. Laut dem Branchenblatt „Hollywood Reporter“ liegt man damit nur knapp hinter dem Ergebnis des ersten Teils – für eine Fortsetzung ein beachtliches Ergebnis.

Universal-Chef Jeff Shell sagte dem „WSJ“: „Das Ergebnis von ‚Trolls World Tour‘ hat unsere Erwartungen übertroffen und die Tragfähigkeit von PVOD (Premium Video on Demand, Anm.) demonstriert.“ Das galt lange Zeit als undenkbar in der Branche – und Shell legte nach: „Sobald die Kinos wieder öffnen, gehen wir davon aus, dass wir Filme gleichzeitig auf beiden Wegen veröffentlichen.“

Weltgrößte Kinokette streicht Universal-Filme

AMC-Chef Adam Aron bezeichnete die Äußerungen des Studiochefs als inakzeptabel. In einem offenen Brief an die Universal-Gruppe kündigte er einen Boykott an: „Es ist sehr enttäuschend für uns, aber Jeffs Kommentare und Universals einseitige Aktionen und Absichten lassen uns keine andere Möglichkeit, als ab sofort keine Universal-Filme mehr in den USA, Europa und im Nahen Osten vorzuführen“, zitierte der „Hollywood Reporter“.

Universal beschwichtigte daraufhin, aber hielt an der Richtung fest: „Wir glauben an die Kinoerfahrung und haben nichts Gegenteiliges behauptet. Wie bereits erwähnt werden wir Filme gleichzeitig in Kinos und online zeigen, sobald dieser Ausspielweg sinnvoll ist“, heißt es in einem Statement. Man werde mit den Kinoketten weiterverhandeln, sei aber enttäuscht von dem Boykott.

Auch andere Studios setzen auf Streaming

Universal ist nicht das einzige Filmstudio, das in der Krise auf Streaming setzt. Auch WarnerMedia und Disney setzen auf den Onlineverleih. Universal ist jedoch der erste große Name auf dem Markt, der eine dauerhafte Änderung der bisherigen Ordnung in der Filmbranche in Aussicht stellt.

Die weltgrößte Kinokette ging bereits mit einer hohen Schuldenlast in die Coronavirus-Krise hinein – Expertinnen und Experten an der Wall Street gingen laut „Hollywood Reporter“ davon aus, dass die Kinokette mit der Schließung der Säle dazu gezwungen wäre, Insolvenz zu beantragen. Zuletzt verbesserte sich der Ausblick jedoch wieder.

Auch Oscars ändern die Regeln

Unterdessen lässt auch ein anderer wichtiger Bestandteil der Filmindustrie in Hollywood erkennen, dass die Coronavirus-Krise die Branche verändern könnte. In der Nacht auf Mittwoch kündigte die Academy of Motion Picture Arts and Sciences an, dass künftig auch Filme in die Oscar-Auswahl kommen, die nie im Kino waren – bisher ein Zankapfel in der „Traumfabrik“ Hollywood, ganz besonders seit Beginn der Netflix-Ära.

Normalerweise muss ein Film an mindestens sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem Kino in Los Angeles zu sehen sein, um für eine Nominierung für die Filmpreise infrage zu kommen. Alle Kinos in Los Angeles sind aber seit mehr als einem Monat wegen der Coronavirus-Pandemie geschlossen. Nach einer Wiederöffnung der Kinos gelte die vorübergehend gelockerte Regel nicht mehr, hieß es von der Academy. Die 93. Oscar-Verleihung ist für den 28. Februar 2021 geplant.