Die Schauspieler Tom Hanks und Daryl Hannah während einer Filmszene in „Splash – Eine Jungfrau am Haken“
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Politische Korrektheit

Disney Plus mit zensurierten Filmen

Disney greift auf seiner neuen Streamingplattform Disney Plus teilweise in ältere Produktionen ein. Das Vorgehen ist je nach Rassismus- oder Sexismusvorwürfen unterschiedlich. Ist dieses Vorgehen sinnvoll oder Selbstzensur? Es wird darüber debattiert, ob man mit Kindern und Jugendlichen besser reden als die Urheber in die Pflicht nehmen sollte.

Bereits zum US-Start von Disney Plus entbrannte eine Diskussion um den Klassiker Dumbo (1941). In einer Szene wird die putzige Hauptfigur, der Elefant Dumbo, der stets für seine zu großen Ohren ausgelacht wird, von einer Gruppe schwarzer Vögel gehänselt, die nicht glauben wollen, dass Dumbo fliegen kann.

Erst in der englischsprachigen Originalfassung werden die rassistischen Untertöne hier eindeutig. Die Vögel sprechen in afroamerikanischem Slang und verkörpern Stereotype, die im 19. Jahrhundert mit der Figur „Jim Crow“ geschaffen und in den Rassentrennungsgesetzen zementiert wurden, bis zur Durchsetzung der Bürgerrechte in den 1960er Jahren.

Afroamerikaner werden hier meist als fröhliche, tanzende Spaßmacher dargestellt, die aber faul und mitunter kriminell sind. Ein Stereotyp, das Disney, neben vielen anderen fragwürdigen und verletzenden Darstellungen von Asiaten und Indigenen, über Jahrzehnte in seinen Filmen tradiert hat.

Rassismus kontextualisieren?

Eine Grundfrage, die sich durch viele Diskussionen zur Political Correctness zieht, ist, wie mit solchen Darstellungen in der Gegenwart umzugehen ist. Soll man sie entschärfen und sich so den Vorwurf der (Selbst-)Zensur einhandeln? Oder die Werke kontextualisieren, auf die geltenden und als falsch erkannten kulturellen Normen der Entstehungszeit hinweisen und sich den Vorwurf einhandeln, man reproduziere die Darstellung, bejahe sie mitunter heute noch?

Disney geht hier unterschiedliche Wege. Im Fall von „Dumbo“ erscheint der Film mit einem Hinweis zu Beginn: „Diese Sendung wird in ihrer ursprünglichen Form gezeigt und könnte überholte kulturelle Darstellungen enthalten.“ Bei andern Filmen, wie „Fantasia“ (1940), entschied man sich schon vor Jahrzehnten, Teile herauszuschneiden. In der Ursprungsfassung war eine schwarze Centaurin zu sehen, die anderen Centaurinnen die Hufen säuberte, was in den späteren 1960er Jahren als Sklavereidarstellung interpretiert wurde.

Orientalismus verstecken?

Auch in den Film „Aladdin“ wurde eingegriffen, allerdings direkt in einen Songtext. Lautete es im Titelsong „Arabische Nächte“ früher noch: „Du riskierst deinen Kopf und sofort ist er weg. / Tja, vergiss es! Dann platzt der Termin.“, wurde inzwischen auf „Und steckst du mal im Sand, kommst du dort nie mehr weg. / Tja, vergiss es! Dann platzt der Termin.“ umgetextet.

Die ursprüngliche Version wurde teils als herabsetzend für Menschen aus dem arabischen Raum gedeutet – als eine Art der Stereotypisierung, die der in Palästina geborene Literaturwissenschaftler Edward Said 1978 in seiner Studie „Orientalismus“ nachzeichnete.

Triggerwarnung und Diskussionsaufruf

Die Diskussion ist mit jener um die „Trigger-Warnings“ verwandt, in der US-amerikanische Studierende von ihren Dozentinnen und Dozenten forderten, auf mögliche (re-)traumatisierende Lehrinhalte hingewiesen zu werden. Dass eine solche Praxis beim breiten Studium kulturgeschichtlich relevanter Texte nicht unbedingt praktikabel ist, darauf verwies schon 2016 ein Beitrag in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. Der Urheber des Textes wollte aus Angst vor Anfeindungen anonym bleiben.

Als eine zugespitzte Konsequenz der Debatte zitierte der anonyme Autor einen vielsagenden Satz, den ein Schulbuchverlag auf die Titelseite einer Neuausgabe von Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ druckte: „Bevor sie es ihnen erlauben, dieses klassische Werk zu lesen, sollten Eltern mit ihren Kindern vielleicht besprechen, wie sich die Sicht auf Themen wie Rasse, Geschlechterrolle, Sexualität, Ethnizität und interpersonelle Beziehungen verändert hat, seit dieses Buch geschrieben wurde.“

Zielgruppe Kinder und Jugendliche

Genau hier wird die Debatte um Disneys Umgang mit herabsetzenden Stereotypen in älteren Werken interessant. Während es Erwachsenen zuzutrauen ist, Darstellungen durch kritisches Hinterfragen zu kontextualisieren, gilt dies nicht für die eigentliche Zielgruppe von Zeichentrickfilmen, Kinder und Jugendliche.

Im Interview mit ORF.at erklärt Karin J. Lebersorger, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychoanalytikerin und Teamleiterin Nord des Wiener Instituts für Erziehungshilfe: „Der zitierte Hinweis im Film ist so abstrakt, dass er wohl auch einer erklärenden Begleitung bedarf. Im Idealfall sind Eltern in der Lage, diese zu leisten. Viele Eltern haben aber selber nicht erlebt, dass mit ihnen über Themen, die komplex oder konflikthaft sind, gesprochen wird.“

Ein Hinweis wie in „Dumbo“ kann also zweckdienlich sein, damit Eltern genauso wie „PädagogInnen, FreizeitbetreuerInnen, TherapeutInnen etc. solche Themen aufgreifen“, so Lebersorger. Kinder können nicht vor Themen bewahrt werden. „Aggression, Sexualität oder Vorurteile sind menschliche Themen, somit auch jedem Kind bekannt. Neben dem unmittelbaren Erleben in realen Situationen und über Bilder erachte ich ein Fassen in Worte und eine Verarbeitung durch ein Darüber-Nachdenken, eine sogenannte Mentalisierung, für wesentlich.“

Der wegretuschierte Hintern

Ein weiterer Fall in Disneys Umgang mit älteren Filmen, der eher belustigt als empört, stammt aus der romantischen Komödie „Splash – Eine Jungfrau am Haken“ (1984). Darin sieht man kurz den nackten Hintern von Daryl Hannah, die sich als Meerjungfrau am Strand räkelt.

Was Tom Hanks in der ursprünglichen Fassung begeistert, ist jetzt per digitaler Haarverlängerung wegretuschiert worden. Ob es diese Prüderie braucht? An den fragilen Seelen von jugendlichen Zusehern sollte die Retusche eigentlich nicht liegen, so Lebersorger: „Es schadet Kindern nicht, Nackte zu sehen.“

Auch Sexualität ist etwas, das – altersgerecht – vermittelt werden will. „Für Kinder ist es wichtig, dass sie Worte für alle Körperteile haben, dass ihr Genital dabei nicht ausgespart bleibt“, so die Kindertherapeutin. Und weiter: „Wenn in Eltern eine ausgeprägte Scham besteht, Natürliches zu benennen, können Kinder eine schamhafte Haltung zu Sexualität entwickeln, oder aber auch zu Sexualisierung neigen, um das Thema zur Sprache zu bringen oder ihre Eltern damit zu provozieren.“