Franz Weber, Hans Wijnberg, Fred Mayer
US National Archives and Records Administration / Tyrolia Verlag
1945/2020

„Inglourious Basterds“ und das befreite Tirol

Wer waren die „wahren Inglourious Basterds“ aus dem Kultfilm von Quentin Tarantino? Das haben bereits TV-Dokus gefragt und sie in den Agenten der legendären US-„Operation Greenup“ gefunden, die wesentlich für die Befreiung Innsbrucks war. Zentrale Figuren des Geheimdiensteinsatzes wie Fred Mayer, Hans Wijnberg und der spätere ÖVP-Politiker Franz Weber sind mittlerweile bekannt. Entscheidend war auch die Mitarbeit vieler Frauen, die den Erfolg der Aktion garantierten. Erspart geblieben ist Innsbruck dadurch eine blutige Abwehrschlacht der SS unter dem Tiroler Gauleiter Franz Hofer rund um die Tage des 2. und 3. Mai.

Über die Selbstbefreiung der Stadt Innsbruck zirkulieren bis zur Gegenwart unterschiedliche Erzählungen. Die Faktenlage ist seit den Öffnungen der Archive des US-Geheimdienstes OSS klarer geworden, die historischen Bewertungen unterscheiden sich nach wie vor. Als man in den letzten Apriltagen 1945 in Wien jedenfalls erste Schritte für die provisorische Staatsregierung getroffen und Weichenstellung in Richtung Demokratie und Wiederaufbau vorgenommen hatte, wurde in den meisten Teilen Österreichs noch schwer gekämpft. Und besonders schwer in Tirol, wo der von Adolf Hitler mit der Abwehrschlacht der „Alpenfestung“ betraute Gauleiter Hofer eine Doppelrolle suchte: Mit den Amerikanern in der Schweiz wollte er einen Sonderstatus für Tirol unter seiner Führungsrolle abklären. Gleichzeitig waren die Einheiten, die den anrückenden Westalliierten entgegenstanden, auf Abwehrschlacht eingestellt.

Österreich-Bild: Die Befreiung Tirols 1945

Im Mai 1945 ziehen US-Truppen in die Tiroler Landeshauptstadt ein. Ein junger Innsbrucker schreibt in sein Tagebuch: „Friede in Europa“. Endlich sind die Schrecken des Zweiten Weltkriegs vorbei, der NS-Terror ist Geschichte und viele denken, es werde nie wieder Krieg geben.

Alpen als „Bollwerk des germanischen Lebensraumes“?

Bereits 1944 hatte Hofer in einem Memorandum an Hitler vorgeschlagen, ein Kerngebiet in den Alpen zur „Alpenfestung“ als letzter Bastion des Reiches auszubauen. Tirol wäre als „Reichsfestung“ das „südliche Bollwerk des germanischen Lebensraumes“. Einen Tag vor seinem Suizid hatte Hitler Hofer zum „Reichsverteidigungskommissar“ der „Alpenfestung“ ernannt. Es war übrigens derselbe Tag, an dem die Heeresgruppe C im italienischen Caserta die Kapitulation unterzeichnete.

Adolf Hitler begrüsst die ‚anlässlich der..Übernahme der Verwaltung in der Ostmark..gemäss Ostmark-Gesetz vom 1. April 1940..zu Reichsstatthaltern ernannten Gauleiter‘..(Originaltext) in der Reichskanzlei in..Berlin; von links: Josef Bürckel (Wien),..August Eigruber (Oberdonau), Franz Hofer..(Tirol), Dr. Friedrich Rainer (Salzburg);..ganz links: Reichsminister Dr. Hans..Heinrich Lammers, Chef der Staatskanzlei;..im Hintergrund: Hitlers persönlicher..Adjutant SA-Obergruppenführer Wilhelm..Brückner.
ullstein bild / Ullstein Bild / picturedesk.com
1. April 1940 in der Reichskanzlei Berlin: Hitler ernennt die Reichsstatthalter in Österreich. Hofer, dem Hitler auf diesem Foto die Hand schüttelt, wird Gauleiter für Tirol und Vorarlberg.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gestapo in Innsbruck schon einen OSS-Agenten gefangen, der sich unter dem Namen Frederick Mayer und mit französischen Papieren als Ingenieur in die Flugzeugproduktion der letzten Kriegstage eingeschlichen hatte. Es handelte sich um Fred Mayer, einen ins US-Exil geflohenen Juden aus dem deutschen Freiburg im Breisgau, der gemeinsam mit dem in die USA emigrierten Niederländer Hans Wijnberg und dem aus Oberperfuss bei Innsbruck stammenden Wehrmachtsdeserteur Franz Weber den Kern der aus Italien gestarteten „Operation Greenup“ bildete.

Begonnen hat diese Operation Ende Februar 1944 mit einer spektakulären Gletscherlandung und einer heiklen Versteckaktion in Webers Heimatort im Westen von Innsbruck – mehr dazu auch in tirol.ORF.at. Ziel der Operation des US-Geheimdienstes OSS war die Bestandsaufnahme zum Heeresnachschub über die Brenner-Eisenbahn – und eine Einschätzung der tatsächlichen Wehrkraft der „Alpenfestung“.

Franz Weber in NS-Uniform im Jahr 1945
National Archives and Records Administration (NARA)
Der Wehrmachtssoldat Weber, der 1944 in Italien zu den Amerikanern überlief. In Italien lernte er beim OSS die zwei vor den Nazis geflüchteten Juden Mayer und Wijnberg kennen. Nach dem Krieg wurde Weber Mitglied der ÖVP und Landtagsabgeordneter, später Abgeordneter zum Nationalrat.

Das Versteck in Oberperfuss

Es war nicht zuletzt das familiäre Umfeld von Weber in Oberperfuss, das half, die „Operation Greenup“ am Laufen zu halten. Die Mutter von Webers Verlobter Anni, Anna Niederkircher, eine überzeugte Gegnerin der Nazis aus dem katholischen Lager, spielte auch durch ihre Position im Ort eine zentrale Rolle für die logistischen Abläufe der Operation: Der Funker Wijnberg wurde auf dem Dach einer Scheune versteckt; ihren Schwiegersohn in spe brachte sie in einem entlegenen Zimmer ihres Gasthofs unter.

Wijnberg sollte zentrale Erkenntnisse, die Mayer besorgen sollte, in das OSS-Quartier im italienischen Bari senden, Weber wiederum hatte die Aufgabe, Kontakte zu lokalen Widerstandsnetzen zu knüpfen.

Die Tiroler Wirtin Anna Niederkircher im Jahr 1945
National Archives and Records Administration
Webers Schwiegermutter: Anna Niederkircher spielt als überzeugte Katholikin eine entscheidende Rolle im Oberperfer Widerstand gegen die Nazis

Entscheidend für das Gelingen der Aktion waren auch Webers drei Schwestern, ebenfalls überzeugte Gegnerinnen der Nazis, die in Innsbruck tätig waren. Luisa Weber arbeitete als Krankenschwester und besorgte für Mayer die Uniform eines verstorbenen SS-Offiziers. Unter dieser Tarnung mischte sich Mayer als Offizier auf Genesungsurlaub zunächst unter die lokale SS-Prominenz, um sich Informationen zu beschaffen, die über eine Kontaktkette zu Wijnberg gelangten und von dort weiter gefunkt wurden.

Hans Wijnberg und Fred Mayer im Mai 1945 in Oberperfuss
National Archives and Records Administration (NARA)
Wijnberg und Mayer in Tirol 1945

Als Mayer die Rolle wechselte und als französischer Ingenieur von der Gestapo verhaftet wurde, drohte die Operation zu kippen. Mayer überstand die Folter der Gestapo, auch dank eines Arztes, der erkannte, dass Mayer für den lokalen Gauleiter in den Verhandlungen mit den Alliierten nützlich sein könnte. Als Mayer schließlich ins Quartier von Hofer kam, meinte man, einen höheren US-Offizier vor sich zu haben. Mayer bluffte gut und handelte mit Weber die unblutige Übergabe Innsbrucks an die herannahende 103. Infanteriedivision aus – im Gegenzug wollte Hofer wie ein Kriegsgefangener behandelt werden, der nicht für seine Taten in der Nazi-Zeit zur Rechenschaft gezogen werden würde.

„Mayer als Chance für Hofer“

„Fred Mayer war eine Chance für Hofer“, skizziert der Zeithistoriker Peter Pirker von der Universität Innsbruck im Gespräch mit ORF.at die Lage, „weil Hofer vermutete, dass er über Mayer einen Kontakt zu den herannahenden Amerikanern erhalten könne.“ Die Abwehrkämpfe in Scharnitz und auch im Außerfern seien Ende April für die Amerikaner heftiger gewesen als erwartet – „und sie sind entsprechend langsam auf Innsbruck vorangekommen“, weil Hofer davor Brücken habe sprengen und Abwehrstellungen ausbauen habe lassen.

Pirker hat die Abläufe der „Operation Greenup“ bereits im Vorjahr in einem umfangreichen Band auf der Grundlage der Bestände in den US-Archiven beschrieben. Aufgeschlüsselt darin auch: die unterschiedlichen Codenamen, die Tiroler Orte im Rahmen dieser Aktion bekommen haben. Aus „Innsbruck“ war da etwa „Brooklyn“ geworden.

Microfilm zu den Codenamen in der Operation Greenup
US National Archives and Records Administration
Codenamen für österreichische und deutsche Orte im Rahmen der „Operation Greenup“: Aus Innsbruck wurde „Brooklyn“, der Obersalzberg zu „Bay Ridge“

Die unblutige Übergabe Innsbrucks

Der Deal mit Mayer sei eine Chance gewesen für eine unblutige Übergabe Innsbrucks und für Hofer, dass er vor der Verfolgung seiner Verbrechen davonkomme. Ausgerüstet mit dieser Botschaft sei Mayer mit weißer Fahne im Quartier der Amerikaner, die sich gerade auf ihren Angriff auf Innsbruck vorbereitet hatten, angekommen.

Mayers Botschaft habe die entscheidende Wende gebracht, erinnert Pirker. Dass Ludwig Steiner als Vertreter des Tiroler Widerstands um den späteren Landeshauptmann Karl Gruber bereits am 29. April bei den Amerikanern in Zirl gewesen sei, habe für die Lage wenig geändert. Die Amerikaner hätten ein sehr unklares Bild darüber gehabt, wer in Innsbruck die Kontrolle über Artillerie und Heckenschützen gehabt habe, und Steiner habe dazu keine wesentliche Klärung bringen können.

Lagebesprechung im Gendarmerieposten Zirl (Tirol), 30. April 1945. Von links nach rechts: Lt. Peter Random, Major Bland West, Ludwig Steiner. (DÖW Foto 9381)
DÖW
Der Widerstandskämpfer der O5: Steiner, der im Auftrag von Gruber die Amerikaner in Zirl kontaktierte, im Gespräch mit dem US-Leutnant Peter Random (ganz links) und US-Major Bland West

Steiner selbst hatte im Band „Erzählte Geschichte“ des Dokumentationszentrums des österreichischen Widerstandes (DÖW) festgehalten: „Im Büro des Gendarmeriepostens in Zirl begann Major West zusammen mit anderen Offizieren mit mir über die Möglichkeit einer deutschen Gegenwehr auf der Straße nach Innsbruck zu beraten (…); ich versicherte den Amerikanern, dass eine organisierte Gegenwehr vor Innsbruck nicht mehr möglich sei, und dass ich auf der Straße von Innsbruck her nichts von Minen bemerkt hätte. (…) Ich hatte den Auftrag, auf ein rasches Vorrücken der Amerikaner zu drängen. Diese wollten aber vorerst nicht weiter vorrücken, sondern zuerst Infanteriespähtrupps vorausschicken.“

Die 103. Infanteriedivision erreicht Innsbruck

Am 3. Mai konnte die 103. Infanteriedivision jedenfalls in ein befriedetes Innsbruck einfahren und wurde von Widerstandskämpfern zum Landhaus gebracht, wo Gruber mit dem lokalen Widerstand anwesend war. Hofer wiederum wurde am 5. Mai interniert. Ein Umstand, auf den Hofer, wie Pirker erzählt, „empört“ reagiert habe: „Er sieht das als Bruch der Vereinbarungen und macht noch bei der Verhaftung den Hitler-Gruß.“ Nach seiner Überstellung nach Deutschland habe man Hofer zu einer Spruchkammer bringen wollen, wo es um die Fragen seiner Involviertheit in die Verbrechen des Nationalsozialismus gegangen wäre. Hier sei ihm die Flucht gelungen, schildert Pirker. Hofer sei zunächst untergetaucht.

Battalion der 103. Infantriedivision der US Streitkräfte im Mai 1945 in Innsbruck
Jim Pringle / AP / picturedesk.com
Die 103. Infanteriedivision der US-Armee in Innsbruck im Mai 1945

CIA-Quellen belegten, dass man aber sehr wohl wusste, wo sich Hofer aufgehalten habe; es sei aber zu keiner weiteren Verfolgung gekommen. „Es gab in der Tiroler Nachkriegsjustiz Akteure, die ab 1947 sehr darum gekämpft haben, dass Hofer ausgeliefert wird“, so Pirker; das sei nicht geglückt. Andere Tiroler Eliten seien allerdings froh gewesen, dass es nie zu seiner Auslieferung Hofers gekommen sei: „Dann hätte das Narrativ der Tiroler Selbstbefreiung Kratzer bekommen; und natürlich war die Tiroler Wirtschafts- und Kulturelite eng mit dem Regime verbunden. All das hat man sich vom Leibe gehalten.“ Zu Hofers Beerdigung (er starb 1975 in Mühlheim an der Ruhr) wurde auch eine Abordnung der Tiroler Schützen geschickt.

Luftkarte der US Airforce im Frühjahr 1945
US National Archives and Records Administration
Karte des Gebiets um Innsbruck der US Airforce im Frühjahr 1945

Geschichte und ihre Deutung

Die Geschichte vom Wehrmachtsdeserteur und den zwei jüdischen Agenten scheint jedenfalls lange nicht ins Bild der Erzählungen rund um die Befreiung Innsbrucks gepasst zu haben. Der Widerstandskämpfer und spätere Verleger Fritz Molden, der mit seinem Bruder Otto ja auch das zentrale Ost-West-Scharnier im O5-Widerstand bildete, entwickelte etwa im Buch „Fepolinski & Waschlapski“ sein eigenes Bild des Widerstandes in Tirol, das sich für den Historiker Pirker großartig lesen lasse, in Teilen aber nicht mehr mit den historischen Fakten decke.

Der ÖVP-Politiker Weber selbst berichtete sehr spät, aber sehr ausführlich über seine Geschichte in der Wehrmacht, sein Überlaufen zu den Amerikanern und die „Operation Greenup“. Eine breite Wahrnehmung davon, so Pirker, habe es nicht gegeben. Webers Bericht passte nicht in das Narrativ der Zweiten Republik.

Brad Pitt während der Drehs zu Quentin Tarantinos Film Inglourious Basterds
Studio Babelsberg / Action Press / picturedesk.com
Brad Pitt in der Rolle des jüdischen Agenten Aldo Raines. Hier bei den Dreharbeiten in Berlin Babelsberg.

Tarantinos Geschichtsutopie

Tarantinos Film „Inglourious Basterds“ aus dem Jahr 2009, der sich mit der Rache der Jüdin Shosanna Dreyfus (Melanie Laurent) an der Ermordung ihrer Familie durch den so belesenen SS-Offizier Hans Landa (Christoph Waltz) und einer Gruppe hemdsärmeliger jüdischer Agenten um den Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt) beschäftigt, mag seine Vorlage in der „Operation Greenup“ gehabt haben.

Bücher zum Thema

  • Peter Pirker, Matthias Breit, Schnappschüsse der Befreiung. Fotografien amerikanischer Soldaten im Frühjahr 1945, Tyrolia (2020), 209 Seiten, 29,95 Euro.
  • Peter Pirker, Codename Brooklyn. Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945. Tyrolia (2019), 385 Seiten, 29,95 Euro.

In den USA, so erzählt Pirker, habe man die „Operation Greenup“ ja schon im Herbst 1945 in einem großen Artikel der „New York Times“ gewürdigt. Mit der Öffnung der OSS-Archive sei ohnedies eine breitere Forschung der US-Agententätigkeit bei der Befreiung Europas in Gang gekommen.

Publizistisch sehr wirkungsmächtig sei etwa Joseph Persicos Darstellung von Mayer in seinem Buch „Piercing the Reich“ gewesen. Und Mayers in Dokus gerne geäußerten Satz „I wanted to kill Nazis“ will man auch als Wiedergänger im Film Tarantinos gehört haben. „Es gibt in ‚Inglorious Basterds‘ Szenen, die an die ‚Operation Greenup‘ erinnern“, erzählt Pirker im Gespräch: „Tarantino wusste natürlich, dass die Amerikaner viele Nazis davonkommen ließen; gegen diesen historischen Umstand hat er dagegen eine Utopie gesetzt, dass die Nazis nicht davonkommen.“

Webers Bericht über seine Desertion aus der Wehrmacht

Neuer Blick auf die Geschichte

Für Pirker ist es wichtig, die Narrative zur Geschichte nach 1945 zurechtzurücken. Das bedeute keinesfalls, die Leistung der Leitung des Tiroler O5-Widerstandes um den späteren Landeshauptmann und Österreich-Diplomaten Gruber zu schmälern. Nach dem Krieg habe sich, so Pirker, ein sehr männliches Narrativ durchgesetzt, das die Rolle vor allem männlicher Tiroler Mitglieder des Widerstandes gestärkt habe. Die wichtige Unterstützung von Frauen in diesem Zusammenhang wie etwa bei der „Operation Greenup“ sei da unter den Tisch gefallen.

Artikel in der New York Times zur Operation Greenup im Herbst 1945
Screenshot New York Times Oktober 1945
Ausschnitt aus dem Artikel in der „New York Times“ zur ‚Operation Greenup‘ aus dem Oktober 1945

Pirker möchte freilich nicht nur die jüdische Beteiligung bei der Befreiung Tirols in jenes Licht rücken, das den Fakten entspräche: „Im Rahmen der ‚Operation Greenup‘ waren in Innsbruck auch Leute involviert, die aus jüdischen Familien stammten und die es geschafft haben, bis zum Frühjahr 45 in Tirol zu überleben. Und es gibt nicht nur eine jüdische Geschichte auf der Seite der Agenten, sondern auch eine auf der Seite der lokalen Kooperationspartner.“