Pamela Rendi-Wagner
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Virtueller 1. Mai

Rendi-Wagner attackiert Regierung

Angesichts der Coronavirus-Krise haben die Parteien, allen voran die SPÖ, heuer auf sonst übliche 1.-Mai-Aufmärsche verzichtet und den Tag der Arbeit virtuell begangen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nutzte eine Pressekonferenz am Freitag für einen Frontalangriff gegen die Regierung.

Anstatt einer Rede beim traditionellen Maiaufmarsch auf dem Wiener Rathausplatz, der sich heuer ungewöhnlich leer zeigte, lud Rendi-Wagner zu einem „Roten Foyer“. „Das Virus hat einen Schlussstrich unter der jahrzehntelangen Erzählung der Konservativen, der Erzählung der Marktversessenheit und der Gesellschaftsvergessenheit gezogen“, sagte Rendi-Wagner, mit der symbolträchtigen roten Nelke geschmückt, im Zuge dessen.

„Der 1. Mai steht für Solidarität und Zusammenhalt in der Gesellschaft“, diese Werte seien in der Coronavirus-Krise „so aktuell wie seit Langem nicht mehr“. Die Pandemie „hat uns vor Augen geführt, wie sehr wir aufeinander und auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen sind und wie sehr wir einen starken Sozialstaat und ein gut organisiertes öffentliches Gesundheitssystem brauchen“.

Pamela Rendi-Wagner mit Schutzmaske
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1. Mai mit Mundschutz: Statt einer Rede auf dem Wiener Rathausplatz lud Rendi-Wagner zu einem „Roten Foyer“

SPÖ-Chefin sieht Neoliberalismus am Ende

Dieses System und diese Werte seien von den Konservativen und der ÖVP seit Jahrzehnten angriffen worden. Mit der Pandemie sei aber das neoliberale, konservative Modell gescheitert. „Die Ideologie der Neoliberalen und Konservativen wurde durch die Corona-Krise in die Mottenkiste befördert.“ Die Rufe nach einem helfenden und schützenden Staat würden lauter.

Aber „Solidarität ist mehr als das Klatschen für die ‚Helden des Alltags‘ und mehr als Danksagungen auf sechzig, siebzig oder mehr Pressekonferenzen der Regierung“, so Rendi-Wagner in Richtung türkis-grüne Koalition. „Ein stabiles, belastbares Gesundheitssystem und ein funktionierender Sozialstaat sind das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Arbeit.“

„Zu zögerlich reagiert“

Für den Neustart, den Österreich und Europa brauchten, sind laut der SPÖ-Chefin drei Dinge notwendig: „Sozialstaat ausbauen und stärken, Wachstum und Beschäftigung fördern und eine gerechte Verteilung der Krisenkosten.“ Rendi-Wagner attestierte der Regierung, bisher gut durch die Gesundheitskrise gekommen zu sein, aber im Kampf gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu spät und zu zögerlich reagiert zu haben. Die Tatsache, dass Deutschland nur halb so viele Arbeitslose habe wie Österreich, sei der Beleg dafür.

Pressekonferenz der SPÖ „Rotes Foyer“

SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner lädt anlässlich des 1. Mai zum „Roten Foyer“.

Österreich habe in der entscheidenden ersten Woche des „Shut-down“ zu wenig und zu langsam etwas gegen Massenkündigungen getan. Darauf müsse man jetzt schnell reagieren, forderte sie einmal mehr eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 auf 70 Prozent Nettoersatzrate vom letzten Einkommen. Sie stellte sich auch hinter die Forderung nach einer Arbeitszeitreduktion auf 30 Wochenstunden. Das sei aber nicht von heute auf morgen machbar, sondern ein „schrittweiser Prozess“.

Es brauche aber auch eine „gerechte und faire Verteilung der Krisenkosten“, forderte Rendi-Wagner einen Solidarbeitrag von zehn Prozent des Jahresumsatzes der großen Profiteure der Krise wie Amazon und Co., die zweistellige Milliardengewinne durch die Krise gemacht hätten und gleichzeitig kaum Steuern in Österreich und Europa zahlten. Zudem verlangen die Sozialdemokraten eine Abkehr von internationalen Abhängigkeiten bei gewissen Produkten wie Medikamenten und Schutzkleidung.

SPÖ beleuchtete in TV-Doku Geschichte des 1. Mai

Statt der traditionellen Kundgebung auf dem Rathausplatz – und vorherigem Sternmarsch aus den Bezirken – wurde zuvor bereits eine Fernsehdokumentation gezeigt, die in der tvthek.ORF.at nachzusehen ist. In der Sendung wurde die Historie der Maifeierlichkeiten beleuchtet. Auch die Spitzen der Sozialdemokratie kamen zu Wort.

EIne handvoll Besucher auf dem Rathausplatz in Wien
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Auf dem Wiener Rathausplatz versammelten sich heuer angesichts der Coronavirus-Krise ungewöhnlich wenige Menschen

Ausgestrahlt wurde die rund 90-minütige Doku ab 10.30 Uhr, also in etwa zu der Zeit, zu der auf dem Rathausplatz die Reden begonnen hätten. Begrüßt wurden die Zuseherinnen und Zuseher vom Wiener Landesparteichef und Bürgermeister Michael Ludwig, dessen Adjustierung zu Beginn – in der ersten Einstellung war er mit Mund-Nasen-Schutz zu sehen – schon auf den aktuellen inhaltlichen Schwerpunkt der Produktion hinwies: die Coronavirus-Krise.

„Hoch der 1. Mai – Heute mehr denn je!“

Der traditionelle Maiaufmarsch der SPÖ Wien kann aufgrund der Coronavirus-Pandemie heuer nicht stattfinden. Alternativ dazu präsentiert die SPÖ zum 1. Mai einen Film von Regisseur Robert Neumüller und Produzent Kurt Stocker, der die 130-jährige Geschichte des 1. Mai und die große Bedeutung für die Sozialdemokratie erzählt. Zu Wort kommen: SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, Wiens Bürgermeister und Landesparteichef Michael Ludwig, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, AK-Präsidentin Renate Anderl und die Wiener SPÖ-Frauenvorsitzende Marina Hanke.

Ludwig: „Der 1. Mai 2020 ist anders als sonst“

„Der 1. Mai 2020 ist anders als sonst“, sagte Ludwig. „Gemeinsam mit den Sozialpartnern und den Gewerkschaften werden wir darauf achten, dass nicht die Bevölkerung die Zeche zahlt, nicht jene, die jetzt schon hohe Leistung erbringen, die Heldinnen und Helden des Alltags sind, die aber wenig davon haben, dass man sie beklatscht und ihnen auf die Schulter klopft, sondern wo es darum gehen muss, die Einkommen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.“ Er warnte vor großen Interessenkonflikten und Verteilungskämpfen.

Ins selbe Horn stießen Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und die Wiener SPÖ-Frauen-Vorsitzende Marina Hanke. Verwiesen wurde dabei unter anderem auf das gemeinsam mit den Sozialpartnern umgesetzte aktuelle Kurzarbeitszeitmodell, wobei Katzian konstatierte: „Der Markt regelt jetzt gar nichts, der Sozialstaat regelt.“ Rendi-Wagner betonte in der Doku wie auch im Zuge der Pressekonferenz, dass die Krise zeige, wie wichtig der Sozialstaat sei.

Neben jenen, die wohl auch auf dem Rathausplatz aufgetreten wären, waren auch eine Reihe weiterer Personen interviewt worden. In der Sendung waren etwa eine Pflegekraft, ein Polizist, eine Kindergärtnerin, eine Lehrerin, ein Feuerwehrmann, ein Mitarbeiter der Müllabfuhr und ein Straßenbahnfahrer zu sehen. Die 130-jährige Geschichte der Maiaufmärsche wurde vom Historiker Wolfgang Maderthaner erläutert. Ein großer Teil der Doku, in der auch historisches Filmmaterial gezeigt wurde, ist im Karl-Marx-Hof gedreht worden.

Coronavirus-Skeptiker vor Kanzleramt

Wenngleich der Wiener Rathausplatz nahezu leer blieb, so versammelten sich an die 400 Menschen nach einem Aufruf der „Initiative für evidenzbasierte Coronavirus-Informationen“ vor dem Bundeskanzleramt. Gefordert wurde das sofortige Ende aller Coronavirus-Maßnahmen – mehr dazu in wien.ORF.at.

Störungsfrei ist am Freitag auch der Mayday-Demonstrationszug über die Wiener Ringstraße marschiert. Die rund 500 Teilnehmer machten sich für bekannte linkspolitische Anliegen wie das bedingungslose Grundeinkommen stark und zogen quasi ausnahmslos maskiert durch die Innenstadt.

Regierung bedankt sich bei Feiertagswerktätigen

Die ÖVP verzichtete indes auf ihre übliche Tag-der-Arbeit-Aktion, die Grünen hatten sich – wie üblich schon am 30. April – nur digital zu Wort gemeldet. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) versicherte via Facebook, „dass wir in Österreich weiterhin um jeden Arbeitsplatz kämpfen werden!“. Vizekanzler Werner Kogler erinnerte via Aussendung daran, dass die Grünen mit dem jetzt nötigen „Comeback für Arbeit und Beschäftigung“ gleichzeitig auch die Lösung der Klimakrise angehen wollten. Einige Werktätige, die auch am Feiertag im Einsatz waren, bekamen überdies Besuch von Regierungsmitgliedern.

„Sie leisten in dieser Corona-Krise Großartiges“, sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) den Polizisten – bei einer Krisenstabssitzung und einem persönlichen Besuch bei der Einheit in der Rossauer Kaserne. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) würdigte die Arbeit der Mitarbeiter im Tierpark Schönbrunn und besuchte Bäckereien in Klosterneuburg. In Graz bekam die Belegschaft des Flughafens Besuch von Arbeitsministerin Christine Aschbacher und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (beide ÖVP).

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bedankte sich mit einem Besuch eines Gemüseanbaubetriebs bei den Lebensmittelproduzenten. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) würdigte im Betreuungszentrum Himberg den „außerordentlichen Einsatz“ der Pflegekräfte. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg bedankte sich bei den am Feiertag tätigen Hotline- und Bereitschaftsdienstmitarbeiter im Außenamt. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) brachte den Mitarbeitern am Landesgericht Wien und der Justizanstalt Josefstadt ein 1.-Mai-Frühstück.

FPÖ warb für Petition gegen CoV-Maßnahmen

FPÖ, NEOS und KPÖ begingen den 1. Mai heuer – wie die SPÖ – online mit Videoprojekten. FPÖ-Parteichef Norbert Hofer, Klubobmann Herbert Kickl und Generalsekretär Michael Schnedlitz warben – nicht wie gewohnt am Urfahraner Jahrmarkt in Linz – in einer Druckerei im niederösterreichischen Himberg bei Wien vor allem um Stimmen für ihre Petition gegen die Regierungsmaßnahmen.

Die FPÖ wolle zurück in die „normale Normalität“, wiederholten Hofer, Kickl und Schnedlitz in der live über den FPÖ-YouTube-Kanal übertragenen Veranstaltung einmal mehr das Credo der Blauen. „Am heutigen Tag der Arbeit ist vielen nicht wirklich zum Feiern zumute“, betonte der Parteichef mit Verweis auf die Rekordwerte bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit.

Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gab der 1. Mai „Grund, mit Optimismus und Mut nach vorne zu blicken“. Sie sehe in der Coronavirus-Krise auch eine „enorme Chance“ – nämlich angesichts der gemeisterten großen Herausforderungen „in vielen Bereichen, aber vor allem in der Bildung, besser zu werden“, betonte sie in einer Aussendung.