Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
APA/dpa/Tobias Hase
„Heilsamer Zwang“

Steinmeier für Debatte über Einschränkungen

In jenen Ländern, in denen auf die erste intensive Phase des Kampfs gegen die Pandemie nun Lockerungen folgen, wird immer offener über die Notwendigkeit der verhängten Maßnahmen und das weitere Vorgehen diskutiert. Neben Österreich ist das etwa auch in Deutschland der Fall. Dort plädiert Präsident Frank-Walter Steinmeier nun offensiv für eine solche Debatte. Denn das erzeuge einen „heilsamen Zwang“.

Steinmeier befürworte die politische Auseinandersetzung über diese Frage. „Das erzeugt der Politik gegenüber den heilsamen Zwang, täglich zu begründen, wie lange solche Maßnahmen verantwortbar sind“, sagte Steinmeier der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Er sehe „mit großem Respekt“, wie die Politik versuche, „die Balance“ zwischen dem Schutz der Bevölkerung und möglichen Erleichterungen zu finden. Dass es mittlerweile weniger Neuinfektionen in Deutschland gebe, sei das Ergebnis „von klugem Krisenmanagement, gepaart mit Verantwortung und Disziplin der Menschen“. Wenn die Beschränkungen jetzt aber zu schnell fallen würden, „hätten wir einen Pyrrhussieg erzielt“, warnte Steinmeier.

Deutschland hat – mit einigen Tagen Verzögerung – weitgehend ähnliche Maßnahmen wie Österreich gesetzt. Kommuniziert wurden die Maßnahmen aber deutlich gelassener. Die Einschränkung von Grundrechten war dabei stärker Thema. Kanzlerin Angela Merkel nannte die Pandemie wörtlich eine „demokratische Zumutung“.

Krise „wird Spuren ziehen“

Die Demokratie werde durch die Maßnahmen von Bund und Ländern zur Eindämmung der Pandemie nicht gefährdet, sagte Steinmeier. Die Gesellschaft brauche zwar ihre Grundfreiheiten „wie die Luft zum Atmen“. Die Demokratie nehme Schaden, wo die Krise missbraucht werde, um autoritäre Strukturen zu verstärken. Dafür gebe es Beispiele in Europa. „Ich sehe aber nicht, dass diese Sorge bei uns gerechtfertigt ist“, betonte Steinmeier.

Zugleich warnte das deutsche Staatsoberhaupt vor zu viel Optimismus: „Diese Krise wird Spuren ziehen, da gibt es kein Schönreden.“ Deutschland stehe aber „wirtschaftlich und gesellschaftlich auf einem guten Fundament, um diese Krise zu überstehen“.

Demo mit Tausenden in Stuttgart

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag laut Veranstalterangaben in Stuttgart gegen Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus. Bei der als „überparteilich“ bezeichneten Demonstration auf dem Cannstatter Wasen forderte Initiator Michael Ballweg die Einhaltung der Grundrechte wie Versammlungsfreiheit und Glaubensfreiheit. Nach einem anfänglichen Verbot der Stadt hatte die Initiative demonstrieren dürfen, weil das Bundesverfassungsgericht einem Eilantrag gegen das Verbot stattgab.

Ballwegs regelmäßigen Demos erhalten Zulauf: Vergangene Woche waren es noch wenige hundert auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Bundesweit fanden ähnliche Demos statt. Kritiker befürchten eine Vereinnahmung der Initiative durch Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten.

Am 1. Mai hatte es in Berlin und anderen Städten Demos zum Tag der Arbeit gegeben. Dabei kam es zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Letztlich war es aber „einer der friedlichsten, wenn nicht der friedlichste 1. Mai“, so die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik.

Proteste in USA mehren sich

In mehreren US-Bundesstaaten, in denen die Maßnahmen noch nicht gelockert werden, kam es unterdessen zu Protesten. Im ländlichen Bezirk Modoc im Nordosten Kaliforniens widersetzten sich die örtlichen Behörden der Anordnung des Gouverneurs. Sie erlaubten Schulen, Kirchen und Geschäfte am Freitag, wieder zu öffnen. Sheriff William Dowdy erklärte: „Das ländliche Kalifornien muss offen sein.“

Am Huntington-Strand im Süden von Los Angeles versammelten sich Hunderte Demonstranten, um gegen die erneute Schließung des Strandes zu protestieren.

Bewaffnete drangen in Parlament von Michigan ein

Während einer Protestaktion gegen Beschränkungen wegen der Pandemie waren am Donnerstag im Bundesstaat Michigan bewaffnete Demonstranten ins Parlament in der Hauptstadt Lansing eingedrungen. Mehrere hundert Menschen versammelten sich US-Medien zufolge im Eingangsbereich des Gebäudes, das auch Amtssitz der demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer ist. Zum Teil bewaffnet, maskiert sowie Plakate und Fahnen schwenkend forderten sie das Ende des Notstands in dem Bundesstaat. Am Wochenende sind weitere Proteste geplant, etwa im Bundesstaat Maryland – obwohl die Infektionszahlen dort nicht abnehmen.