Zwei junge Frauen auf der Straße
ORF.at/Carina Kainz
Zweite Stichprobenstudie

Dunkelziffer offenbar niedriger als zuletzt

Höchstens 11.000 Coronavirus-Infizierte zusätzlich zu den Erkrankten in Spitälern hat es Ende April in Österreich gegeben. Zu diesem Schluss kommt eine Stichprobenuntersuchung, die am Montag durch ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann vorgestellt wurde. Eine ähnliche Studie wies für Anfang April noch eine fast sechsmal höhere Dunkelziffer aus.

Nach der ersten repräsentativen Stichprobenuntersuchung auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 durch das Sozialforschungsinstitut SORA von Anfang April lief die zweite Studie zur Abschätzung der Dunkelziffer der Infizierten zwischen 21. und 24. April. Bei einem Konfidenzintervall von 95 Prozent seien zu diesem Zeitpunkt höchstens 10.823 Personen bzw. 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung über 16 Jahre zusätzlich zu den Hospitalisierten mit dem Virus infiziert gewesen. Das Konfidenzintervall (also minimaler und maximaler Wert) ist das Spektrum, in dem sich die reale Zahl der Infizierten mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit bewegt.

Die Statistik Austria wählte für die Studie eine repräsentative Stichprobe von 2.800 Personen ab 16 Jahren aus und führte die Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) sowie der Medizinischen Universität Wien durch. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig, letztlich konnten von 1.432 Personen verwertbare Proben mittels Mund-Nasen-Rachen-Abstrich abgenommen werden, auf deren Testergebnissen die nunmehrige Schätzung beruht.

Grafik über die Anzahl der maximalen Coronavirus-Infizierten
Grafik: Statistik Austria/ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Unbemerkt hohe Immunisierung vermutlich „Illusion“

Bei zusätzlichen Antikörpertests in 27 besonders betroffenen Gemeinden habe sich zudem herausgestellt, dass dort nur etwa jeder 20. Bürger mit dem Virus in Kontakt gekommen sei, so die Studie. In Gemeinden mit vielen bekannten Infizierten sei die akute Prävalenz zwar deutlich höher als im Durchschnitt, aber in absoluten Zahlen gesehen immer noch verhältnismäßig gering. Aus methodischer Sicht sei es allerdings nicht zulässig, „diese Werte für Österreich zu verallgemeinern“, heißt es in der Zusammenfassung der Statistik Austria.

„Die Vorstellung, dass das Virus gleichsam unbemerkt die Bevölkerung erfasst und dort eine hohe Immunisierung hinterlässt, die möglicherweise als Bremse bei einer weiteren Infektionswelle wirkt, diese Vorstellung scheint doch Illusion zu sein“, folgerte Faßmann dennoch.

Virologin Elisabeth Puchhammer, Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) und Matea Paskvan (Statistik Austria)
APA/Herbert Pfarrhofer
Der Rückgang seit der ersten Dunkelzifferstudie sei „beruhigend“, so Faßmann

Höchster Wert bei knapp 11.000 Infizierten

Der ersten Dunkelzifferstudie zufolge waren zwischen 1. und 6. April in Österreich zwischen 10.200 und 67.400 Personen mit dem neuen Coronavirus infiziert. Der wahrscheinlichste Wert lag bei 28.500 Infizierten, was 0,33 Prozent der Bevölkerung entspricht. Nun liegt der höchste Wert bei 10.823 Infizierten, was lediglich rund 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 16 Jahren ausmacht. Waren in der ersten Studie noch Kinder dabei, wurden in der zweiten nur über 16-Jährige getestet.

Rechnet man die Werte der ersten Studie auf in Privathaushalten wohnhafte Personen ab 16 Jahren um, lag der Höchstwert in der ersten Studie bei 60.287 Infizierten. „Wir sehen einen deutlichen Rückgang, und das beruhigt“, sagte Faßmann zu den aktuellen Ergebnissen.

Günther Mayr (ORF) über die Dunkelzifferstudie

Die zweite Dunkelzifferstudie hat ergeben, dass die Anzahl der Infizierten geringer ist als angenommen. ORF-Wissenschaftsredakteur Günther Mayr analysierte das Ergebnis in der ZIB 13.

Mehr Angst vor finanziellen Problemen als vor Infektion

Bei der zweiten Studie wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch über ihr Befinden, ihre Ängste und Einstellung zu den Pandemiemaßnahmen befragt. Die Ängste unterscheiden sich stark je nach aktueller Situation der Befragten: So gaben 19 Prozent der Personen mit Kindern, die noch nicht in die Schule gehen, an, Angst vor finanziellen Problemen zu haben, und 14 Prozent befürchten innerfamiliäre Konflikte.

Bei den Personen, die durch Vorerkrankungen zu einer Risikogruppe zählen, fürchten wiederum zwölf Prozent, selbst am Coronavirus schwer zu erkranken, was bei allen anderen Gruppen eher als wenig wahrscheinlich eingeschätzt wurde (zwei Prozent).

Große Mehrheit findet Maßnahmen angemessen

Weit über 90 Prozent empfinden Maßnahmen wie Quarantäne in Krisengebieten, Abstandhalten, Veranstaltungsverbote und das Tragen von Masken als angemessen. Hier zeige sich, dass die „Akzeptanz grundsätzlich hoch ist“, sagte Matea Paskvan, Studienprojektleiterin der Statistik Austria, im Rahmen der Pressekonferenz. Geringer ist die Zustimmung zur allgemeinen Schließung von Geschäften (finden nur 69 Prozent angemessen) und zum Aufenthalt im Freien nur in Ausnahmefällen (56 Prozent).

Rund zwei Drittel der Österreicher lassen sich die Stimmung durch die Pandemie nicht verderben: 64 Prozent empfinden zumindest meistens gute Laune, Ruhe und Entspannung. Deutlich geringer ist das psychische Wohlbefinden allerdings bei Menschen mit mäßiger bis schlechter Gesundheit (33 Prozent) und bei Menschen mit Kindern vor dem Schulalter (58 Prozent).

NEOS: „Weiter im Blindflug unterwegs“

NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker geht mit der Studie hart ins Gericht. „Die von der Bundesregierung durchgeführten Antikörpertests in den Risikogebieten liefern genau gar keine verwertbaren und zielführenden Ergebnisse“, so Loacker. Die Studie gebe null Überblick über die Gesamtsituation und helfe in der aktuellen Situation niemandem weiter. „Hier hat die Bundesregierung leider verabsäumt, eine größere Erkenntnis über die Lage in Österreich zu bekommen. Österreich ist weiter im Blindflug unterwegs.“

Dass die Zahl der akut Infizierten zurückgeht, wisse man schon von den tatsächlichen PCR-Tests, so Loacker, und alles andere, was den Immunstatus betrifft, könne nicht aus dieser Ministudie abgeleitet werden. NEOS forderte, dass weitere Lockerungen von einer repräsentativen, bundesweiten Antikörperstudie begleitet würden.