Frau alleine in Großraumbüro
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Trennwand und Abstand

Großraumbüros in der Krise

Für die einen ist es ein Ort der Zusammenarbeit und offenen Kommunikation, für die anderen ein kakofonischer Alptraum: Das Großraumbüro ist seit jeher umstritten. Bisher galt es, Platz zu sparen – in Zeiten der Pandemie soll aber genau das vermieden werden. Büroarchitekten suchen nach Abhilfe. Die Krise könnte auch zu einem größeren Umdenken führen.

Eines steht jedenfalls schon jetzt fest: Nachdem das Coronavirus den Bürobetrieb erst zum Stillstand gebracht und schlagartig Homeoffice salonfähig gemacht hat, wird auch die schrittweise Rückkehr in die Bürokomplexe von den Folgen der Pandemie geprägt sein. Vor allem die von Expertinnen und Experten geforderte Wahrung des Abstands gilt bei voller Auslastung vielerorts als nahezu unmöglich.

Denn der momentane Status quo in vielen Firmen wurde lange Zeit als Errungenschaft gefeiert: Vor allem die amerikanische Bürolandschaft in den 1950ern war noch von „Cubicles“, also kleinen Büroabteilen aus halbhohen und hauchdünnen Wänden, geprägt.

Das moderne Großraumbüro riss diese Mauern nieder: Offene Flächen, Blickkontakt und Flexibilität wurden von Technologiegiganten im Silicon Valley vorgemacht und galten schnell als Vorbild für die moderne Bürokultur. Angestellte sollten von der leichteren Kommunikation profitieren, Arbeitgeber davon, dass der Wegfall baulicher Trennungen und Wechselarbeitsplätze Kosten spart.

Innenarchitekt sieht „Run“ auf Plexiglas

Für Büroarchitektinnen, -architekten und Möbelfirmen bedeutet das nun Hochkonjunktur, die „New York Times“ („NYT“) schreibt von einer „Debatte über die Neugestaltung des amerikanischen Arbeitsplatzes“. Das Thema ist freilich auch hierzulande relevant – und erfordert wohl ein Umdenken im Büro.

Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voneinander zu trennen, könnten etwa Raumteiler aufgestellt werden. Der kalifornische Innenarchitekt Primo Orpilla sagte gegenüber dem Wirtschaftsmagazin „Fast Company“, dass man davon ausgehen müsse, Trennwände aus „Plexiglas und anderen Materialien“ bald häufiger in Büros anzutreffen. Auf Plexiglas gebe es überhaupt einen „Run“, so Orpilla. „Damit schaffen wir praktisch einen gigantischen Niesschutz – wie beim Salatbuffet.“

Großraumbüro
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Die Arbeit im Großraumbüro könnte künftig anders aussehen

Die „NYT“ skizziert weitere mögliche Maßnahmen, angefangen von anderer Schreibtischpositionierung über in die Tische integrierte Desinfektionsmittelspender bis hin zu speziellen Luftfiltern. Und – bisher mancherorts undenkbar: Auch Fenster, die sich tatsächlich öffnen lassen, könnten Teil der neuen Büros sein.

Tische breiter, Wolkenkratzer teurer

„Alles war bisher darauf ausgelegt, Grenzen zwischen den Teams abzubauen“, sagt unterdessen Arjun Kaicker, der in einem von der 2016 verstorbenen Stararchitektin Zaha Hadid gegründeten Architektenbüro arbeitet. Das werde es künftig wohl nicht mehr geben, so Kaicker gegenüber dem „Guardian“. Damit könnte auch das gesamte Bürodesign vor einer Wende stehen.

„Bürotische sind im Laufe der Jahre zunehmend geschrumpft, von einst 1,8 Meter auf 1,6 Meter und jetzt 1,4 Meter“, so Kaicker. Das dürfte nicht zuletzt auch dem papierlosen Büro geschuldet sein, das die Platzanforderungen gesenkt hat. Kaicker sieht jedoch eine Rückkehr zum großen Tisch: „Ich glaube, dass wir eine Trendumkehr sehen werden, weil Menschen nicht mehr so nah aneinander sitzen wollen.“ Darüber hinaus könnten sogar entsprechende Gesetze verabschiedet werden, die mehr Abstand vorschreiben, so Kaickers Einschätzung.

Das könnte letztlich auch Auswirkungen auf die Skyline von Metropolen haben. Durch den gesteigerten individuellen Platzbedarf würden die Kosten für Wolkenkratzer steigen, die Effizienz der Gebäude aber gleichzeitig sinken. Das könnte die „wirtschaftliche Attraktivität für Bauunternehmen“ von Hochhäusern nachhaltig verringern, sagte Kaicker dem „Guardian“.

Kaffeeküchen und Aufzüge als Herausforderung

Freilich ist das Büro selbst nicht der einzige Ort in Gebäuden, der wohl umgedacht werden muss. So könnte etwa der soziale Austausch auf engem Raum in der Kaffeeküche der Pandemie zum Opfer fallen. Zumindest in der warmen Jahreszeit ließe sich das jedoch ins Freie verlagern.

Frau alleine in Großraumbüro
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Einzelne Abteile waren vor einem halben Jahrhundert nicht ungewöhnlich – und könnten nun eine Renaissance erfahren

Auch den Mindestabstand in einem Aufzug zu wahren funktioniert in vielen Kabinen nur dann, wenn man sie einzeln benutzt. Während das bei den einen sportlichen Ehrgeiz weckt, wird das für viele andere zur Zerreißprobe schon am Anfang des Bürotags, denn das ist unweigerlich mit langen Wartezeiten verbunden. Das Problem ist altbekannt – so wird etwa an seillosen Liften gearbeitet, mit denen mehrere Kabinen in einem Schacht fahren können. Das erinnert an die Paternoster-Ära, denn auch damals konnten viel mehr Menschen gleichzeitig transportiert werden.

Unklar, welchen Nutzen Maßnahmen haben

Auf eines machen Möbelhändler inmitten des neuen Hypes um Trennwände und Co. jedoch aufmerksam: „Wir sind keine Experten für ansteckende Krankheiten, wir sind nur Möbelhändler“, sagt die stellvertretende Chefin eines US-Möbelhändlers der „NYT“, die jetzt mit Firmen Lösungen für die Krise erarbeitet.

Ein Büro, in dem man sich nicht anstecken könne, sei aber unrealistisch, so Gesundheitsexperten gegenüber der „NYT“. Für Aufsehen sorgte erst vor zwei Wochen eine von der US-Gesundheitsbehörde CDC veröffentlichte Analyse von Coronavirus-Fällen in einem südkoreanischen Callcenter. Von 97 Fällen im gesamten Bürokomplex entfielen 94 auf dieselbe Ebene – über 40 Prozent der Mitarbeiter in dem Stockwerk infizierten sich.

Vor allem Kritiker des Großraumbüros dürften sich nun bestätigt sehen. Oft wurde bisher Lärm als Argument vorgebracht – in der Vergangenheit wurden dafür Rückzugsräume vorgeschlagen, selbst ein Comeback der Telefonzelle stand im Raum. „Kopfhörer sind die neuen Wände“, sagte damals ein Autor in einem Interview der „NYT“. Es bleibt abzuwarten, wie sich Büros nun kurzfristig im Zuge der Coronavirus-Krise verändern werden – selbst ein grundlegend anderes Bürokonzept, angepasst an die Gegebenheiten, scheint langfristig nicht mehr undenkbar.