TUI-Kreuzfahrtschiff „Mein Schiff 3“ im Hafen von Cuxhaven (Deutschland)
APA/AFP/Morris Mac Matzen
„Die Hölle“

Nerven liegen blank auf TUI-Kreuzfahrtschiff

Noch immer sitzen rund 2.900 Crewmitglieder in Quarantäne auf dem TUI-Kreuzfahrtschiff „Mein Schiff 3“ im deutschen Cuxhaven fest. Die Lage spitzt sich zu, bereits neun Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter wurden positiv auf das Coronavirus getestet. ORF.at liegen mehrere Aussagen von Crewmitgliedern vor, die davon berichten, dass die Stimmung an Bord zu kippen droht.

Zwei Besatzungsmitglieder aus Honduras zerstörten Einrichtungsgegenstände an der Rezeption, weil es auf dem abgeriegelten Schiff keine Zigaretten mehr gab. Es kam zu einem Polizeieinsatz. In einer Durchsage des Kapitäns – ORF.at liegt eine Aufnahme vor – heißt es, neue Zigaretten würden angeliefert. Diese sind mittlerweile eingelangt, zusammen mit Hygieneartikeln.

Dass die Nerven trotzdem blank liegen, ist auch dem Kapitän bewusst. Er bat die Crew, sich „nicht an Spekulationen auf Social Media“ zu beteiligen, was von vielen als Social-Media-Verbot verstanden wurde. Tatsächlich wird in einer WhatsApp-Gruppe, der aktuelle und ehemalige Crewmitglieder angehören, nur noch wenig öffentlich gepostet. Doch in persönlichen Messages wird die Situation als unangenehm – und teilweise schon dramatisch – beschrieben.

„Genug ist genug“

Trotz der Warnung des Kapitäns postete jemand ein Video von dem Polizeieinsatz – von dem man jedoch nicht viel sieht. Dafür sind Stimmen aus dem Hintergrund zu hören, die brüllen: „Enough is enough! Send people home!“ („Genug ist genug! Schickt die Leute nach Hause!“)

„Es ist dramatisch“

Ein weibliches Crewmitglied teilt in einer schriftlichen Message mit: „Es ist dramatisch. Plötzlich wurde aus unserem Paradies die Hölle. Es wird herumgebrüllt, sie haben sogar schon die Rezeption zerlegt und alle suchen Schuldige für die Situation. Das Einzige, was mich beruhigt, ist, dass ich bereits negativ getestet wurde.“ In den nächsten Tagen werden immerhin 1.200 Crewmitglieder nach Indonesien und in die Ukraine geflogen, so die Lage in Sachen Infektionen stabil bleibt.

Für die anderen heißt es weiter warten. Die meisten von ihnen dürfen das Schiff bereits seit 50 Tagen nicht verlassen. „Social Distancing“ ist für viele kaum möglich, weil noch 20 Prozent der Crewmitglieder in Doppelzimmern, teils ohne Fenster, untergebracht sind. TUI gab gegenüber ORF.at an, dass, je mehr Crewmitglieder nach Hause reisen, desto mehr Einzelkabinen frei werden. Laut einer Zeugenaussage tauchte ein Mitarbeiter, der eigentlich in Isolation sein sollte, sogar in der Kantine auf, bevor er zurück auf sein Zimmer eskortiert wurde. Auch sonst sei es schwierig bis unmöglich, in der Kantine auf Distanz zu achten.

Eine Detailansicht zeigt Kabinen des TUI-Kreuzfahrtschiffs „Mein Schiff 3“
APA/AFP/Morris Mac Matzen
Die Kabinen werden nun von Crewmitgliedern bewohnt. Nicht alle haben Fenster, manche sind doppelt belegt.

Kritik an Krisenmanagement von TUI

Kritik an TUI wird von ehemaligen und aktuellen Crewmitgliedern aus verschiedenen Gründen laut. Zu lange hätten die Verantwortlichen gehofft, das Sommergeschäft doch noch retten zu können. Die Schiffe hätten viel früher evakuiert werden müssen, dann wären alle längst zu Hause. Außerdem hätten die Crewmitglieder nicht auf einem Schiff konzentriert werden sollen, was die Lage noch verschlechtert habe in Sachen Infektionsgefahr.

Empörung wurde auch laut, weil nach Aufkommen der ersten Verdachtsfälle Hunderte Crewmitglieder in ihre Heimat (auch nach Österreich) und zu ihren Familien zurückgeschickt wurden, ohne dass man ihnen vor der Ankunft zu Hause von den Verdachtsfällen berichtet hat – „in Absprache mit den Behörden“, wie es von TUI gegenüber ORF.at hieß. Dadurch wurden die Mitbewohner der heimgekehrten Crewmitglieder gefährdet. E-Mails mit Informationen über einen Coronavirus-Fall an Bord kamen – zumindest teilweise – erst nach der Heimkehr an.

TUI hoffte auf „Wiederaufnahme des Schiffsbetriebes“

Konfrontiert mit der Kritik verwies TUI gegenüber ORF.at auf die „dynamische“ Lage, die sich ständig verändert habe seit Ende März, Stichwort Einreisebedingungen einzelner Länder, die mehrfach adaptiert wurden. TUI gestand aber ein, auf ein früheres Ende der Maßnahmen gehofft zu haben.

„Dort, wo es möglich war, hat TUI Cruises bereits erste Crewmitglieder mit den für die vorerst letzten Gäste gecharterten Flugzeugen nach Hause geflogen, so zum Beispiel 150 Crewmitglieder ab Barbados. Die Reederei hat sich zudem vorbehalten, zunächst zu prüfen, ob eine zeitnahe Wiederaufnahme des Schiffsbetriebes möglich sein könnte – hierfür wäre es zwingend notwendig gewesen, alle Crewmitglieder mit laufenden Verträgen an Bord zu behalten“, so TUI.

Erleichterung über milde Krankheitsverläufe

Unterdessen wurden alle Crewmitglieder an Bord auf das Coronavirus getestet, neun davon positiv. „Sie befinden sich in Isolation, es geht ihnen gut und sie sind symptomfrei. Auch das am 30.4. positiv getestete Besatzungsmitglied, welches sich weiterhin auf der Isolierstation der Helios Klinik Cuxhaven befindet, ist mittlerweile symptomfrei“, hieß es am Mittwochnachmittag in einer Aussendung von TUI. Wybcke Meier, Geschäftsführerin von TUI Cruises: „Wir freuen uns über die guten Nachrichten und arbeiten weiter daran, der Besatzung die Rückreise in ihre Heimatländer zu ermöglichen.“