EIn Soldat des Bundesheeres kontrolliert ein Fahrzeug bei der Einreise von Ungarn nach Österreich.
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Grenzübertritte

Im Dschungel der Ausnahmen

Österreich hat seine Grenzkontrollen bis 31. Mai verlängert, doch bedeutet das nicht, dass Übertritte generell verboten sind. Weiterhin ohne Hindernisse die Grenze passieren dürfen etwa Menschen, die wegen ihres Berufes nach Österreich müssen – manche von ihnen auch ohne Quarantäne oder ärztliches Attest. Wie und warum solche Ausnahmen zustande kommen, ist nicht zuletzt Auslegungssache von Verordnungen.

Für die Behörden relativ einfach zu regeln scheint die Situation auf dem Flughafen Wien-Schwechat, auf dem sowieso gerade nur wenige Flugzeuge ankommen. Noch im Flugzeug müssen Passagiere ein Formular ausfüllen, die „Erklärung zur Ein- und Durchreise“. Per Unterschrift verpflichtet man sich, eine 14-tägige Heimquarantäne anzutreten. Alternativ kann ein nicht älter als vier Tage altes ärztliches Attest vorgewiesen oder ein kostenpflichtiger PCR-Test direkt auf dem Flughafen durchgeführt werden – mehr dazu in noe.ORF.at.

Offenbar weitaus willkürlicher läuft laut Augenzeugen, die ORF.at berichteten, die Einreise per Auto und Bahn ab. Zwar würden von der Polizei die Ausweise kontrolliert, ein Quarantäneformular ausfüllen oder ein Attest herzeigen mussten drei in Wien wohnhafte Betroffene, die unabhängig von einander aus Deutschland einreisten, aber nicht. Fallen die Personen nicht dezidiert in einen der Ausnahmefälle, „sollte das eigentlich nicht vorkommen“, wie es aus dem Innenministerium gegenüber ORF.at hieß.

Formular zur Ein- und Durchreise
ORF.at
Bei der Einreise mit dem Flugzeug muss schon an Bord ein Quarantäneformular ausgefüllt werden – Alternativen: ein Attest vorab oder ein PCR-Test auf dem Flughafen

„Es muss dort (an der Grenze, Anm.) jemanden geben, der für die Gesundheitsbehörde kontrolliert“, so ein Sprecher. Zuständig sei die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde. Das Gesundheitsministerium ergänzt in einem Statement an ORF.at: „Grundsätzlich werden die Grenzkontrollen nach dem Grenzkontrollgesetz durch die Polizei durchgeführt und die Gesundheitskontrollen an den Grenzen durch die Organe der Gesundheitsbehörden.“

Offizielle Ausnahmen

Nicht die Quarantäne antreten und auch kein Attest vorweisen müssen Berufstätige im internationalen Güterverkehr, Grenzgängerinnen und Grenzgänger, Pendlerinnen und Pendler sowie medizinische und humanitäre Hilfe Leistende. „Gesundheitschecks“ würden aber dennoch durchgeführt, so die Information auf der Website des Innenministeriums. Eine Durchreise ist möglich, wenn eine Ausreise ohne Zwischenstopps sichergestellt ist.

Für die Auslegung der Ausnahmen ist das Gesundheitsministerium zuständig. „Die Umstände sind dann aber bei der Einreise glaubhaft zu machen“, so eine Sprecherin zu ORF.at. „Die Glaubhaftmachung ist gegenüber den einzelnen Organen an den Grenzübergängen zu erbringen.“ Doch dass die individuellen Angelegenheiten an den Grenzen oftmals nicht so einfach seien, bestreitet man auch im Innenministerium nicht.

Private Gründe weitaus komplexer

Komplizierter wird es etwa, handelt es sich um private Gründe, weshalb die Grenze übertreten werden muss. Das Innenministerium benennt das als „besonders berücksichtigungswürdige Gründe im familiären Kreis oder zwingende Gründe der Tierversorgung im Einzelfall, welche bei der Kontrolle glaubhaft zu machen sind“. Welche Gründe genau das sind, dazu gibt es derzeit hauptsächlich Einzelschicksale. „Eine pauschale Beurteilung ist hier nicht möglich“, so das Gesundheitsministerium.

Auf Anstoß des Bundeslands Vorarlberg etwa kann jetzt eine „Eigenerklärung an der Grenze vorgewiesen werden“, wie es in einer Presseaussendung der Landesregierung Mitte April heißt. Als besondere familiäre Gründe sind beispielsweise Besuche von Familienangehörigen bei Krankheit, Obsorgeverpflichtungen und gesetzliches Besuchsrecht. Selbiges gilt für die Versorgung von Stalltieren, beispielsweise von Pferden.

Darüber hinaus ergab eine Recherche des ORF Tirol, dass laut Gesundheitsministerium ein „Familienbesuch im engen Kreis“ durchaus auch über Grenzen hinweg möglich ist – als Beispiel diente ein konkreter Fall von Familienmitgliedern, die sich in Deutschland und Österreich aufhalten. Das sei schon seit 1. Mai möglich. Betroffene klagen über unklare Kommunikation – mehr dazu in tirol.ORF.at. Ähnliche Lockerungen wurden auch in Vorarlberg umgesetzt – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Jagdpächter und Grenzbauern

Die speziellen Ausnahmen in puncto Grenzübertretung ohne Quarantäne und ohne Attest sind jedenfalls zahlreich. Jüngstes und auf den ersten Blick durchaus verwunderliches Beispiel einer Ausnahme sind Jagdpächterinnen und -pächter aus dem Ausland. Zustande kam diese Ausnahme, da die Landesregierung in Vorarlberg einen entsprechenden Antrag an den Bund gestellt hatte. Die Erleichterungen haben mit der Jagdzeit zu tun, die am 15. Mai beginnt, heißt es wiederum aus dem Tiroler Landesjägerverband. Es geht darum, den vorgegebenen Abschussplan zu erfüllen – mehr dazu in tirol.ORF.at

Feld an der Slowenisch-österreichischen Grenze im Gebiet von Spielfeld
APA/Erwin Scheriau
Manche Felder liegen sowohl in Österreich als auch in einem angrenzenden Land

Die Ausnahme gilt nun für alle Bundesländer. Eine entsprechende E-Mail des Innenministeriums, versandt vom Staatlichen Krisen- und Katastrophenmanagement, Koordinationsstab Covid-19, liegt ORF.at vor. In dieser heißt es: „Die im gültigen Jagdpachtvertrag genannten Personen dürfen im Rahmen des sogenannten ‚gewerblichen Verkehrs‘ unter Vorlage einer Kopie des Jagdpachtvertrages, einer gültigen Jagdkarte und eines gültigen Reisedokuments am Grenzübergang einreisen.“ Und weiter: „Nach Rechtsauskunft des Gesundheitsministeriums kann die vom Bundesland Vorarlberg gewählte Vorgehensweise in Bezug auf ausländische Jagdpächter bundesweit zur Anwendung kommen.“

Selbiges wie für Jagdpächterinnen und -pächter gilt übrigens auch für Grenzlandwirtschaften. Ausländische Bauern und Bäuerinnen, die Felder in Österreich zu bewirtschaften haben, dürfen ohne Probleme über die Grenze. „Auch sie werden als PendlerInnen bzw. als gewerblicher Verkehr angesehen und für zulässig erachtet“, hieß es aus dem Gesundheitsministerium.

Studierende fallen unter „Pendler-Berufsverkehr“

Und auch Studierende aus dem Ausland dürfen wieder nach Österreich einreisen bzw. pendeln, unabhängig von Herkunftsland und Uni, bestätigte das Gesundheitsministerium. Der Grund: Studierende aus dem Ausland werden in der Verordnung als „Pendler-Berufsverkehr“ zusammengefasst. Anstoß gab ein Anliegen aus Südtirol, da viele junge Südtirolerinnen und Südtiroler zum Studieren nach Tirol pendeln. Laut Hochschülerschaft seien rund 6.700 alleine in Tirol betroffen – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Droht mit all diesen Ausnahmen nun ein europäischer Fleckerlteppich an Sondergenehmigungen, wer einreisen darf und wer in Quarantäne bzw. ein ärztliches Attest vorweisen muss? Ob es außer den genannten sonstige, bisher nicht bedachte Ausnahmen gebe, dazu konnten weder Innen- noch Gesundheitsministerium pauschale Aussagen treffen. Hingewiesen wurde dagegen mehrfach auf die „Glaubhaftmachung“ an Gründen. Außerdem gilt das freilich nur für die Einreise nach Österreich. Im umgekehrten Fall, also etwa für einen Grenzübertritt nach Deutschland, müssen die dortigen Gesetze beachtet werden.