Zahlreiche Menschen im Bereich der Bar des Gartenbau Kino in Wien.
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Kinosehnsucht

Wenn das Fenster zur Welt fehlt

Patschenkino schön und gut – das aktuelle Streamingangebot ist ausufernd. Trotzdem fehlt die Kulturtechnik Kino empfindlich. Dass man den Kulturkonsum komplett nach online verlegen kann, erweist sich mitunter als eine Notlüge für Krisenzeiten – und das wird immer deutlicher. Denn das Kino fehlt auch als sozialer Ort.

Ein Leintuch, ein paar Wäscheklammern, ein Beamer und die nachbarschaftliche DVD-Sammlung: In einem Hinterhof im 5. Wiener Gemeindebezirk findet neuerdings an lauen Abenden improvisiertes Freiluftkino statt, zwischen Containern und Fahrradständern, mit sorgsamem Abstand und großem Vergnügen. „Wir haben das Hinterhofkino in der ganz strengen ‚Lock-down‘-Phase begonnen“, sagte Therese Zalud, Kulturorganisatorin und Mutter von zwei Kindern. „Wir sind diszipliniert zu Hause geblieben, aber da war doch das Bedürfnis, etwas gemeinsam zu tun.“

Den einst kahlen Hof hatte die Hausgemeinschaft schon vor ein paar Jahren zu begrünen begonnen, jetzt wurde er zu einem wertvollen Freiraum. „Es entsteht ein neues Bewusstsein für die Notwendigkeit von gemeinschaftlichem Raum“, so Zalud. „Wir wollen miteinander Filme schauen, danach reden und uns austauschen. Es braucht das Miteinander.“ Die Idee improvisierter Freiluftkinos ist längst Trend: In Berlin bringt die Initiative „Windowflicks“ Kinohungrige und Programmkinos zusammen und stellt einzelne Filme für die öffentliche Projektion zur Verfügung.

Hinterhofkino in Wien
Therese Zalud
Zwischen Mistkübel und Feuermauer: Technische Finesse ist im Hinterhofkino zweitrangig – es geht um das Gemeinsame

„Nicht eine reine Konsumationsbox“

Eine, die sich mit der Funktion von Kinos als Begegnungsorten sehr genau auseinandergesetzt hat, ist die Architektin Elke Delugan-Meissl. Das Wiener Architekturbüro Delugan Meissl Associated Architects (DMAA) nahm vor 15 Jahren an einem Wettbewerb für das EYE Filmmuseum in Amsterdam teil, welches in exponierter Lage am IJ-Fluss, gegenüber der historischen Altstadt, errichtet werden sollte. „Wir haben uns überlegt: Was macht das Erlebnis Kino für uns aus, und warum besuchen wir so ungern die populären Cineplexx-Kinos? Wir haben festgestellt, Kino benötigt auch räumliche Erfahrbarkeit sowie die Möglichkeit der Kommunikation – wir sehen das Kino auch als Ort des Austausches und der Begegnung, nicht als reine Konsumationsbox.“

DMAA konnte mit dem Entwurfskonzept den Wettbewerb gewinnen: Das EYE Filmmuseum beinhaltet nicht nur Projektions- und Ausstellungsräume, die Konzeption definiert einen zentralen Kommunikationsbereich, die „Arena“. „Das Gebäude wurde als geometrischer Körper von hoher Spannung und Dynamik konzipiert. Bewegung und Licht als essenzielle Parameter des Mediums Film manifestieren sich klar in der architektonischen Inszenierung. Diese Aspekte erschienen uns als spannende Parameter bezüglich der räumlichen Umsetzung.“

Eye Film Institut in Amsterdam
Iwan Baan
Das EYE Filmmuseum in Amsterdam ist Kino, Veranstaltungsort, Treffpunkt und Museum zugleich

Delugan-Meissl sieht die Zukunft des Kinos nicht bedroht, auch wenn die derzeitigen Bestimmungen noch länger gelten sollten. „Es heißt ja, online sei die Zukunft, das konventionelle Kino hätte keinen Bestand mehr. Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen. Ich denke schon, dass sich einiges ändern wird, aber der Wunsch nach räumlicher Differenzierung, Kommunikation sowie dem Kino als magischen Ort wird sicherlich bleiben.“

Hinweis

Dem Sehnsuchtsort Kino widmet sich die Ausstellung „Kino Wien Welt“ im Metro Kinokulturhaus. Ab 1. Juni ist sie wieder zugänglich, empfehlenswert ist der sorgfältig editierte Katalog mit zahlreichen Aufsätzen, etwa zur Arisierung Wiener Lichtspieltheater und zur sozialdemokratischen Kinopolitik in Wien. Ein Teil der Ausstellung ist auch online:

Bedrohtes Kulturgut öffentlicher Raum

Auch für Michael Loebenstein, Direktor des Österreichischen Filmmuseums, ist Kino mehr als die Großprojektion eines Films, denn das könne bei entsprechender Ausstattung auch ein Heimkino leisten, sagt er gegenüber ORF.at. „Es geht um Kino als einen sozialen Ort: das Angebot, ein Filmwerk gemeinsam, an einem besonderen Ort und in Echtzeit als Ereignis zu erleben.“ Die Gesellschaft brauche solche Orte kollektiver Neugier und gemeinschaftlichen Erlebens. „Filmmuseen tragen – wie andere nicht kommerzielle, öffentlich geförderte Einrichtungen – dazu bei, in einer von Privatisierung und Kommerzialisierung geprägten Welt die Idee eines ‚öffentlichen Raums‘ aufrechtzuerhalten.“

Parallel zum Coronavirus sieht Loebenstein eine „digitale Pandemie“ die Welt erobern: So wertvoll digitale Technologien seien, der neuen, all-ermöglichenden digitalen Streamingkultur gegenüber sei Misstrauen angebracht: „Es sind nicht Einzelkünstlerinnen und -künstler, kleine Kultureinrichtungen oder Festivals, die den Streamingmarkt beherrschen und die Regeln aufstellen. Es besteht die Gefahr, dass in Zukunft Filmgeschichte und Filmkultur von Konzernen wie Amazon, Facebook, Disney und Apple geschrieben wird, deren Interesse allein der Kommerzialisierung unserer Wünsche, Begehren und Träume gilt.“

Dem will Loebenstein so bald wie möglich im Österreichischen Filmmuseum etwas entgegensetzen. Vorstellbar sei etwa in diesem Jahr ausnahmsweise ein Betrieb in den Sommermonaten, sofern die behördlichen Auflagen, was Abstand und Hygiene betrifft, umsetzbar sind. „Menschen sollten, nach Monaten ohne Zugang zu Museen, Cinematheken und anderen Kulturorten, die Möglichkeit dazu haben, bei uns Filme im Kinosaal zu sehen. Auch dafür kriegen wir öffentliche Gelder.“