208,8 Meter unter dem Meeresspiegel: An der Adria hätte man in solchen „Höhen“ definitiv schon mehr als nur nasse Füße. Am See Genezareth markiert die Marke den Punkt, wo man ebensolche am Ufer bekommt. Bei diesem Pegelstand erreicht der tiefstgelegene Süßwassersee der Erde seine maximale Kapazität – das Wasser beginnt großflächig über die Ufer zu treten. Das letzte Mal war das Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Fall. Nun fehlt nicht mehr viel dazu. Es sei ein Pegel von 208,9 Metern unter dem Meeresspiegel gemessen worden, teilte die israelische Wasserbehörde am Freitag mit.
Bereits jetzt standen an manchen Uferbereichen Wiesen und Bäume unter Wasser. Seit Wochen war der Wasserstand in dem See, der zugleich eine der wichtigsten Wasserquellen Israels darstellt, gestiegen. Dafür sorgten ungewöhnlich starke Regenfällen, die in den vergangenen Monaten über dem Land niedergingen. Dazu kam zuletzt Schmelzwasser, das von den besetzten Golanhöhen talwärts floss.
Spekulationen über Dammöffnung
In israelischen Medien war seit Beginn des Frühjahrs spekuliert worden, ob der Degania-Damm am Südende des Sees geöffnet werden müsse. Das letzte Mal war das 1995 der Fall. Davon profitieren könnte vor allem die Fauna und Flora im und um den Jordan. Wenngleich es Befürchtungen gibt, dass der Fluss solche Wassermengen gar nicht mehr fassen kann.
Der Grenzfluss, der vom Norden Israels bis zum Toten Meer fließt, führt zunehmend weniger Wasser. Sowohl Israel als auch das benachbarte Jordanien entnehmen viel Wasser. In den vergangenen Jahren floss nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Menge in das Tote Meer. Das wiederum ließ den Salzwassersee in der Wüste Jahr für Jahr weiter schrumpfen.
Rote und schwarze Linie
Aber auch der See Genezareth hatte in den vergangenen Jahren mit Niedrigwasser zu kämpfen. 2017 war der Wasserstand nach jahrelanger Dürre auf ein Rekordtief gesunken. 214 Meter unter dem Meeresspiegel zeigte der Pegelstand damals an. Als eine Maßnahme gegen die Austrocknung des Sees beschloss Israel im Jahr darauf, entsalztes Meerwasser einzuleiten.
Ein niedriger Wasserstand stellt beim See Genazereth ein noch größeres Problem dar als bei vielen anderen Süßwassergewässern. Der See wird aus unterirdischen Quellen auch mit Salzwasser gespeist. Ist der See gut genug gefüllt, verhindert der Wasserdruck, dass über diesen Weg zu viel Salzwasser nachfließt. Sinkt der Wasserspiegel aber zu weit, fällt der Gegendruck zunehmend weg. Dem See würde dann die komplette Versalzung drohen.
Erreicht der Pegel deshalb die rote Linie von 213 Metern unter dem Meeresspiegel, wird die Wasserentnahme stark reduziert. Noch einmal 1,87 Meter darunter liegt die schwarze Linie – der tiefste gemessene Wasserstand. 1926 sank der Pegel das letzte Mal so tief. Laut der israelischen Wasserbehörde ist das die Grenze, unter die der Wasserstand auf keinen Fall sinken darf.
Voller See – leere Ufer
Zurzeit ist das Binnengewässer von solchen Werten freilich weit entfernt. Das zeigen auch zahlreiche Bilder, auf denen etwa von Wasser umspülte Palmen zu sehen sind. „Die Strände sind jetzt wieder da, wo sie sein sollen“, sagte Idan Greenbaum, Vorsitzender des Regionalrats des nördlichen Jordantals, bereits im April gegenüber der israelischen Tageszeitung „Haaretz“. „Alles sieht ordentlich und geordnet aus“, so Greenbaum.
Mit eigenen Augen konnten sich davon bisher aber nur die wenigsten überzeugen. Noch gelten in Israel im Zuge der Coronavirus-Krise strenge Ausgangsbeschränkungen, die nur langsam gelockert werden. Normalerweise ist der See Genezareth für Israelis ein beliebtes Ausflugsziel. Das Gewässer, das in der biblischen Überlieferung eine zentrale Rolle spielt, zieht jedes Jahr auch zahlreiche ausländische Touristinnen und Touristen an. In den vergangenen Wochen gehörte der See hingegen weitgehend den Einheimischen – und den Tieren und Pflanzen, die dieses Jahr nicht nur einen ungewöhnlich wasserreichen, sondern auch ruhigen Frühling erlebten.