Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (G), Bundeskanzler Sebastian Kurz (öVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (G)
APA/Roland Schlager
Abschied vom Krisenmodus

Regierung droht „unlösbares Dilemma“

Die Coronavirus-Krise scheint hierzulande – zumindest vorerst – unter Kontrolle gebracht worden zu sein. So kehrt nun auch in puncto Regierungskommunikation etwas Normalität ein. Für den Politologen Peter Filzmaier und die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle ist es der richtige Zeitpunkt, um sich stufenweise vom Krisenmodus zu verabschieden. Die Regierung stehe jedoch vor einem „unlösbaren Dilemma“, so Filzmaier.

Das Bild war vielen in den letzten Wochen vertraut: Die Regierung – und dabei vor allem die vier zentralen Akteure Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) – mahnt bei regelmäßigen, beinahe täglichen Pressekonferenzen im Kanzleramt zu Vorsicht. Erst unter Wahrung eines gewissen Mindestabstands, dann auch samt Masken und hinter Plexiglasschutzwänden. Parteipolitische Themensetzungen mussten hinten anstehen, ganz nach den Grundregeln der Krisenkommunikation.

Von diesem Bild verabschiedet man sich nun allmählich: Ministerauftritte dürfen wieder in den jeweiligen Ministerien stattfinden, wozu einige Minister zuletzt bereits wieder übergegangen sind. Anschober und Nehammer werden einmal wöchentlich aktuelle Updates geben. „Man versucht, schrittweise den Normalbetrieb wieder herzustellen“, heißt es dazu im Kanzleramt. Eventuell hätte man schon vor einer Woche damit beginnen können, zu etwas mehr Normalität zurückzukehren, merkt Stainer-Hämmerle an. Für Filzmaier ist es jetzt der „logische und richtige Zeitpunkt“.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (G), Bundeskanzler Sebastian Kurz (öVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (G)
APA/Helmut Fohringer
Nehammer, Kogler, Kurz und Anschober gelten als die zentralen Akteure der Krise

Schrittweise Rückkehr zur Normalität

„Man merkt ja, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt. Wenn ich die Dringlichkeit jeden Tag zu sehr betone, führt das zu Aufmerksamkeitsabnutzungen“, so Filzmaier. Auch die tägliche Nachrichtenlage sei eine andere als etwa im März. Vollkommene Normalität werde sich aber so bald nicht einstellen: Wöchentlich getaktete Pressekonferenzen – wie von den Büros von Kanzler und Vizekanzler angekündigt – seien in Normalzeiten nicht üblich, hält die Politologin etwa fest. Immerhin 73 Pressekonferenzen hat das Kanzleramt nach eigenen Angaben seit Ende Februar veranstaltet.

Die schrittweise Abkehr vom Krisenmodus sei Filzmaier zufolge nun jedenfalls wichtig, weil die Regierung zuletzt einen Strategiewechsel vollzogen hat. So liege der Fokus laut Filzmaier nun nicht mehr darauf, ein Gefühl von Angst zu kommunizieren, sondern darauf, zu mehr Eigenverantwortung aufzurufen. „Dieses Bild, ‚Ihr müsst jetzt mehr Eigenverantwortung haben, aber ich stell mich hin, um euch jeden Tag zu ermahnen‘, das passt nicht zusammen“, so Filzmaier. Ende April sorgte ein Sitzungsprotokoll der Coronavirus-Taskforce vom März, wonach die Regierung mit Angstrhetorik arbeite, für Wirbel – die Koalition wies den Vorwurf zurück.

Die Krux mit der zweiten Welle

Filzmaier weist jedoch auch auf die Problematik hin, wonach mit den nun neu geschaffenen Bildern – weg vom Kanzleramt, zurück in die Ministerien – falsche Botschaften entstehen könnten: „Das Problem ist, wenn ich so ein fixes Setting installiere, schafft das tatsächlich einen Orientierungspunkt und Vertrauen. Dann ist die Bildwirkung so stark, dass das ‚Jetzt höre ich damit auf‘ eine unglaubliche Symbolkraft bekommt und ungewollt zu falschen Botschaften wie entweder ‚Jetzt ist es vorbei‘ oder ‚Jetzt ist irgendetwas Schlimmes passiert‘ führen könnte.“

Eine vollkommen richtige Antwort auf die Krise gebe es ohnehin nicht, so Filzmaier. Denn niemand wisse, ob oder wann eine zweite Welle eintrete und inwieweit nicht nur die rigorosen Maßnahmen, sondern auch die Krisenkommunikation via Kanzleramt wieder hochgefahren werden müsste. „Das Dilemma ist natürlich, man kann nicht zwischen solchen Settings dreimal hin und her wechseln“, so Filzmaier. „Das wäre irgendwo zwischen Zickzackkurs und Jo-Jo-Effekt.“

„Das erwarte ich mir in einer pluralen Demokratie nicht“

Der Regierung sei es seit Beginn der Krise den beiden Politologen zufolge jedenfalls gelungen, geeint aufzutreten. „Es war Regierungskommunikation. In der Politik ist ja oft typisch, dass es Regierungskommunikation sein sollte, aber Parteikommunikation ist“, so Filzmaier.

Erste Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionspartnern waren in den vergangenen Wochen jedenfalls hörbar. Kogler ließ kürzlich etwa mit dem Vorschlag aufhorchen, als „Beitrag zur gerechten Krisenfinanzierung“ die Erbschaftssteuer wieder einführen zu wollen – womit er die ÖVP verstimmte. Auch in der Debatte über die Rechtmäßigkeit der Coronavirus-Gesetze und -Verordnungen waren sich die Parteien zuletzt offenbar uneins.

Stainer-Hämmerle sieht die langsame Rückkehr zu etwas mehr Normalität jedenfalls positiv: „Es ist auch gut, dass es jetzt aufhört, dieses geeinte Bild der Regierung. Das erwarte ich mir im Grunde in einer pluralen Demokratie auch nicht.“ Positiv sei auch, dass die Opposition wieder mehr zu Wort komme und „dass man wieder die Nuancen innerhalb der Regierung – das sind doch zwei sehr unterschiedliche Parteien – wieder stärker wahrnimmt.“ Vor allem die Grünen, die unter anderem wegen ihrer Positionen zu Menschenrechten und Grundrechten gewählt worden waren, hätten laut Stainer-Hämmerle ein großes Interesse daran.

Zustimmung nahm leicht ab

Die Umfragewerte gaben der Regierung im Umgang mit der Pandemie in den letzten Wochen recht, wenn auch die Zustimmung zuletzt bröckelte: Im Zuge einer Gallup-Befragung Ende April bescheinigten 78 Prozent der Befragten der Regierung, mit der Krise richtig umzugehen. Ende März waren es noch 91 Prozent. Anfang Mai lag die Zustimmung zur Regierung bei einer Umfrage des Linzer Market-Instituts bei 60 Prozent. Nur noch acht Prozent der Österreicher haben das Coronavirus im Zuge der Umfrage als „sehr bedrohlich“ eingestuft – Anfang April waren es noch 23 Prozent.