Ungarischer Premier Victor Orban und Außenminister Péter Szijjártó
Reuters/Tatyana Zenkovich
„Fake News“-Vorwurf

Ungarn bestellt fünf Botschafter ein

Das ungarische Notstandsgesetz sorgt nun auch für diplomatische Konsequenzen: Außenminister Peter Szijjarto bestellte die Vertreter fünf nordeuropäischer Länder ein. Sie hatten ihre Sorge über die politische Entwicklung unter Premier Viktor Orban gemeinsam mit dem Europarat ausgedrückt. Sie sehen sich nun mit dem Vorwurf von „Fake News“ konfrontiert – ein Angriff, den die Regierung wiederholt auch gegen Medien erhob.

Szijjarto bestellte am Montag die akkreditierten Botschafter von Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden in das Außenministerium ein. Der Grund sei die „Verbreitung von Falschnachrichten über Ungarn“, wie die ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtete. Nach Angaben von Szijjarto haben die Außenminister dieser Länder in einem gemeinsamen Schreiben dem wegen des ungarischen Notstandsgesetzes besorgten Generalsekretär des Europarates ihre Unterstützung zugesagt und sich teils auch einzeln erklärt.

„Sie haben Falschnachrichten über Ungarn verbreitet, nicht die Wahrheit gesagt“, kritisierte der Minister. Es seien erneut die „bis zur Langeweile bekannten Lügen über den Ausbau der Diktatur, über das Streben nach unbegrenzter Befugnis“ vorgebracht worden.

Haft für „Fake News“ über Regierung

Premier Orban hatte sich Ende März vom Parlament mit umfassenden Sondervollmachten ausstatten lassen. Mit ihnen kann er bis auf Weiteres ohne Befristung und ohne parlamentarische Kontrolle auf dem Verordnungsweg regieren. Orban kann zudem den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern.

Neue Strafbestimmungen drohen Journalisten mit dem Gefängnis, wenn sie Tatsachen so wiedergeben, dass sie größere Menschengruppen „beunruhigen“. Bis zu fünf Jahre stehen auf die Verbreitung falscher Berichte sowohl über die Pandemie als auch über das Handeln der Regierung. Den Vorwurf von „Fake News“ hat die ungarische Regierung in der Vergangenheit immer wieder gegen unabhängige Medien erhoben.

Kritik von vielen Seiten

Die Sorge vor undemokratischen Entwicklungen in Ungarn ist nicht neu: Kritiker warfen Orban schon zuvor vor, mit der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit im Parlament den Großteil der Medien gleichgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten und die Wissenschafts- und Lehrfreiheit eingeschränkt zu haben. Die EU und auch andere Institutionen kritisierten die Regierung Orbans deswegen scharf. Das Notstandsgesetz verschärft die Lage erneut.

„Das neue Gesetz und die damit einhergehende unbefristete Ermächtigung sind gefährliche Waffen“, kritisierte das ungarische Helsinki-Komitee in einer Stellungnahme. Vierzehn EU-Mitgliedsstaaten warnten Anfang April in einer offensichtlich auf Ungarn bezogenen Erklärung vor nachhaltigen Eingriffen in die Grundrechte im Zuge der Pandemiekrise. Die Unterzeichnerstaaten zeigten sich „tief besorgt“ über Risiken für die Rechtsstaatlichkeit, die durch „bestimmte Notfallmaßnahmen“ entstehen könnten.

Auch dreizehn der zur Fraktion der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament gehörenden Parteien verlangten „zumindest“ die Suspendierung der ungarischen Regierungspartei FIDESZ aus der Fraktion. Die EVP hatte bereits im März vergangenen Jahres die Mitgliedschaft der FIDESZ-Partei ausgesetzt. Eine endgültige Entscheidung hat sie bisher aber nicht getroffen.

Ungarn nun „hybrides Regime“

Die US-Bürgerrechtsorganisation Freedom House sieht Ungarn nicht mehr als Demokratie an, sondern als „hybrides Regime“, so der vergangene Woche vorgestellte Bericht „Nations in Transit 2020“. Die Bewertung des Landes ist seit 2010, als Orban die parlamentarische Zweidrittelmehrheit erlangte, stetig gesunken. Zur Kategorie „hybrides Regime“ gehören in der Liste von Freedom House von den ex-kommunistischen Ländern Osteuropas und der früheren Sowjetunion nur die Nicht-EU-Länder der Balkanregion sowie die ex-sowjetischen Staaten Moldau, Georgien und die Ukraine. Damit ist Ungarn das erste EU-Land, das bei Freedom House eine derart schlechte Kategorisierung seines demokratischen Systems erhält.

All die Kritik und internationalen Berichte scheinen Orban nicht zu beeinflussen. Auch ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU und mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs hatten kaum Konsequenzen. „Ich habe es gegenwärtig für wichtig gehalten, dass ich diese Schutzmaßnahmen persönlich leite. Nicht weil ich etwas vom Gesundheitswesen verstehe, das kann man mir nicht nachsagen. Aber mein gesunder Menschenverstand ist an der richtigen Stelle“, sagte Orban zur Begründung des Notstandsgesetzes.

„Sollen sich um eigene Angelegenheiten kümmern“

Auch Außenminister Szijjarto vertritt gegenüber dem Ausland eine harte Linie: Die Ungarn seien eine Nation mit mehr als 1.000-jähriger Geschichte, man lehne jegliche scheinheilige Bevormundung ab, sagte er am Montag. Die Außenminister der fünf Länder sollten sich nicht einbilden, „besser als die Ungarn zu wissen, was die Ungarn wollen, und sollen sich ruhig um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern“.